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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0378
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Umschau iu Wien.

Haizinger*) und ihre anmutige Tochter ans erster Ehe, Luise Neu-
mann, spüter Gräfin von Schönfeld, „ein gar lieber Narr", wie unsere
Wiener Bekannten meinten.

Erst spät gelang es uns, Nestroy zu sehen. Er trat in einem
seiner Stücke im Karlstheater auf, mit ihm spielte Scholz, dessen ko-
mische Kraft kaum ihresgleichen hatte. Scholz erschien am Ende des
ersten Aktes, er hatte nnr über eine Mauer auf die Bühne herein-
zuschauen und ein paar Worte zu rufen: „Ha! da ist er!" Sobald
sein drolliges Gesicht erblickt wnrde, brach das Publikum, ehe er noch
den Mund aufthat, in ein riesiges Gelüchter aus, das nach dem Fallen
des Vorhanges noch lange anhielt.

Nach dem Theater machten wir eines Abends in ungewöhnlicher
Weise die Bekanntschaft eines der Primarärzte am allgemeinen Kranken-
hause. Wir waren begleitet von einem jungen befreundeten deutschen
Kollegen, der die Sucht hatte, Citate in die Unterhaltung einzuflechten,
namentlich aus den Schriften Lichtenbergs, für den er schwärmte, aber
auch aus medizinischen Werken. Das Theater hatte uns heiß nnd
durstig gemacht und wir kehrten deshalb am Schottenthor in einer
Wirtschaft ein, wo man gutes Bier schenkte. Das Lokal war stark
gefüllt, mit Mühe fanden wir an einem kleinen Tische, woran ein
Herr in reiferen Jahren bereits beim Bier saß, drei freie Plätze. Wir
begrüßten ihn, er dankte uns rnhig und ernst, wir setzten nns nieder
und unterhielten uns über die gehörte Oper. Unser Frennd verteidigte
eben eine gewagte Behanptung und citierte zur Bekräftigung des Ge-
sagten wieder einmal seinen Lieblingsschriftsteller. Da fiel plötzlich der
Herr in die Unterhaltung mit den Worten ein: „Entschuldigen Sie,
das Citat ist nicht ganz richtig, den Ausspruch hat nicht Lichtenberg
gethan, sondern Jean Paul Richter." Unser Freund machte ein saures
Gesicht, wagte jedoch nicht zu widersprechen. Wir wandten uns jetzt
zu medizinischen Dingen und es währte nicht lange, so citierte er in
einer anatomischen Frage Rokitanskys Handbuch. Zu unserem Er-
staunen unterbrach ihn der Unbekannte, der immer mit gleichem
Ernste unsrem Gespräche zuhörte, abermals: „Sie erlauben, Roki-

*) Bad. Biographien, Bd. 1, S. 332.
 
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