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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0416
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Vereitelte Zukunftspläne.

von luftigen Hypothesen und Systemen, sondern nur durch geduldige
Arbeit am Secier- nnd Mikroskopiertisch, in chemischen und Physio-
logischen Werkstätten. Tüchtige, herrliche Worte, begleitet von der
Morgengabe, die der junge anatomische Forscher der pathologischen
Wissenschaft brachte, den glänzenden Entdeckungen der Leukaemie und
Embolie, die zu den größten der Medizin gehören.

Unwiderstehlich zog es nns jetzt nach Berlin, aber der Tag
unsrer Heimreise war bereits auf den 1. März festgesetzt und meine
verfügbaren Mittel reichten nur eben noch bequem bis nach Hause.
Mein Freund war besser daran. Großmütig schlug er mir vor, seinen
elenden Mammon mit ihm zu teilen und mich nicht von ihm zu trennen.
Sein Besitz reiche auf etliche Monate sür uns beide, wir wollten nicht
eher heimkehren, bis wir Virchows Bekanntschaft gemacht hätten.

Während ich noch schwankte, ob ich auf das Anerbieten ein-
gehen solle oder nicht, entlud sich das politische Gewitter, das schon
lange im Westen gedroht hatte. Am 23. Februar hatte Guizot
seine Entlassung von Louis Philippe verlangt und erhalten. Abends
fiel in Paris der verhängnisvolle Schuß aus der Menge, die sich
vor dem Ministerium des Aeußeren gestaut hatte, die bedrohte Wache
erwiderte ihn mit einer Salve aus 50 Gewehren. Verwundete und
Leichen bedeckten das Pflaster. Dieses Blutbad kostete dem König
den Thron. Am 24. morgens legte er seine Krone nieder und entfloh
nach England.

Am 25. oder 26. vormittags gingen wir unsern täglichen Weg
in das Krankenhaus. Oppolzers erster Assistent kam uns frohlockend
entgegen: „Gnte Botschaft, meine Herrn! Louis Philippe ist gestürzt,
die Republik proklamiert!" Wir gingen in unsre Wohnung zurück und
rüsteten uns zur Abreise. Von Berlin war nicht mehr die Rede. Es
trieb uns heim an den Rhein. Am letzten Februar reisten wir ab.
 
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