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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0420
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Die Heimrcise von Prag im März 1848.

stand geübt. Er lachte: „Jch merke wohl, wie es um euch steht,
ihr seid von den Freiheitshelden, die nicht schießen können. Nun, da
nehmt ihr eben, wenn es losgeht, die Glockenschläger und verteidigt
damit die Barrikaden! — Na, Kinder," fuhr er nach einer kleinen
Pause fort, „seid mir nicht böse! Jch denke, unser König läßt es nicht
zum äußersten kommen und bewilligt die bescheidenen Wünsche seiner
treuen Leipziger. Aber es ist Zeit zum Frühschoppen, ohne ihn geht
es in diesen bewegten Zeiten nicht ab. Jch will euch mit unsrem
sächsischen Mirabeau bekannt machen, Robert Blum, unsrem Volks-
tribunen, wir werden hören, was für nenste Nachrichten von Dresden
eingelaufen sind und was darauf weiter beschlossen wird." — Er führte
uns in ein Bierhaus, wo in einem Nebenzimmer ein Dutzend junger
Bürger und Studenten Robert Blum erwarteten. Bald darauf kam
dieser eilig herein, setzte sich zu uns nnd teilte die Parole aus. Sie
lautete friedlich, die Glockenschläger dnrften ruhig hüngen bleiben.
Das ungewöhnlich häßliche, aber ausdrncksvolle Gesicht des großen
Volksmanns und Patrioten ist mir unvergeßlich geblieben. — Wir
verweilten zwei Tage in Leipzig, nahmen Abschied von Scharf und
hörten nie wieder von ihm. Er litt an Gallensteinen, vielleicht ist er
diesem Leiden früh erlegen.

Unser Heimweg führte über Halle weiter nach Weimar, wo wir
den Manen unsrer größten Dichter und ihres edlen fürstlichen Freundes
den Tribut frommer Verehrung darbrachten. Von da eilten wir nach
Eisenach und feierten am 8. März ein angenehmes Wiedersehen mit
unsrem Freunde Schwanitz, der hier in seiner Vaterstadt als „Stadt-
gerichts-Accessist" praktizierte, uns auf die Wartburg begleitete und
abends in eine Bürgerversammlung mitnahm. Sie wurde in dem
großen Saale der „Erholnng" abgehalten, worin drei Monate später
das von 1500—1800 Musensöhnen beschickte Studenten-Parlament
tagte, das ebenso fruchtlos über eine Verfassung der deutschen Studenten-
schaft beriet, wie das Frankfurter in der Paulskirche über die deutsche
Reichsverfassung. Die Bürgerversammlung beschloß einstimmig, eine
von den angesehensten Bürgern der Stadt bereits gutgeheißene und
von Schwanitz verlesene Adresse an den Großherzog von Weimar zu
schicken, worin ihm die Wünsche des Volkes vorgelegt wurden; es
 
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