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des Praxiteles sei befriedigend nicht zu erfassen, weil
unsTheile der Gestalt fehlen, die uns erst zeigen müssten,
was denn dieser Hermes thue. Besässen wir das To-
tal, dann — so glauben wir — wäre alles klar und
der Widerstreit der Ansichten verschwände von selbst.
Hier, beim Antinous dagegen, der uns in manchen
Bildwerken vom Scheitel bis zur Zehe nahezu unver-
sehrt erhalten ist und der, als Statue wie als Büste,
in der Regel eben lediglich das Porträt einer sich
selbst überlassenen, still stehenden Person veranschau-
licht, — hier, sage ich — nun was? . . .
Ich habe — und zwar in ganz anderer Absicht als
um das vorliegende Schriftchen auszuarbeiten — die
Antinous-Litteratur, so weit sie mir erreichbar war 1),
durchgenommen und zu meiner höchsten Verwunderung
gefunden, dass fast ein Jeglicher (von den blossen Ab-
schreibern natürlich abgesehen) 2) über den Gemüthsaus-
druck des Antinous anderer Meinung sei. Mich wun-
derte zunächst, dass noch Niemand diesen Umstand
bemerkt hat. Keinem scheint der Gemüthsausdruck im
Antlitz des Antinous, so viele ihrer auch sind, die dar-
über geschrieben haben, eine Schwierigkeit zu bereiten.
Jeder nimmt an, ihn in Worten auszudrücken, sei das
*) Verschlossen bleiben musste mir der Inhalt einer kleinen Abhand-
lung Victor Rydberg's in dessen Romerska dagar, Stockholm 1877,
p. 117 —131. Die merkwürdiger Weise noch in keinem deutschen Buche
citierte Schrift Riencourt's: Dissertation sur le culte d'Antinous et de Comus,
Paris 1723, 40, war in Berlin, Göttingen, München nicht aufzutreiben.
2) Z. B.: Conversationslexikon für bildende Kunst. Leipzig, Rom-
berg's Verlag. Bd. 1, 1843, S. 417. Winckelmann abgeschrieben! —
Alfr. v. Mollin, Die Kunst in der heidnischen und christlichen Welt bis
zum Tode des Michel Angelo. Leipzig 1870, S. 127 flg., schreibt Gre-
gorovius und Stahr aus ! — Ernst Eckstein, Italiens Kunstschätze, Bd. I:
Rom, Leipzig 1876, S. 154, schreibt Overbeck ab I
des Praxiteles sei befriedigend nicht zu erfassen, weil
unsTheile der Gestalt fehlen, die uns erst zeigen müssten,
was denn dieser Hermes thue. Besässen wir das To-
tal, dann — so glauben wir — wäre alles klar und
der Widerstreit der Ansichten verschwände von selbst.
Hier, beim Antinous dagegen, der uns in manchen
Bildwerken vom Scheitel bis zur Zehe nahezu unver-
sehrt erhalten ist und der, als Statue wie als Büste,
in der Regel eben lediglich das Porträt einer sich
selbst überlassenen, still stehenden Person veranschau-
licht, — hier, sage ich — nun was? . . .
Ich habe — und zwar in ganz anderer Absicht als
um das vorliegende Schriftchen auszuarbeiten — die
Antinous-Litteratur, so weit sie mir erreichbar war 1),
durchgenommen und zu meiner höchsten Verwunderung
gefunden, dass fast ein Jeglicher (von den blossen Ab-
schreibern natürlich abgesehen) 2) über den Gemüthsaus-
druck des Antinous anderer Meinung sei. Mich wun-
derte zunächst, dass noch Niemand diesen Umstand
bemerkt hat. Keinem scheint der Gemüthsausdruck im
Antlitz des Antinous, so viele ihrer auch sind, die dar-
über geschrieben haben, eine Schwierigkeit zu bereiten.
Jeder nimmt an, ihn in Worten auszudrücken, sei das
*) Verschlossen bleiben musste mir der Inhalt einer kleinen Abhand-
lung Victor Rydberg's in dessen Romerska dagar, Stockholm 1877,
p. 117 —131. Die merkwürdiger Weise noch in keinem deutschen Buche
citierte Schrift Riencourt's: Dissertation sur le culte d'Antinous et de Comus,
Paris 1723, 40, war in Berlin, Göttingen, München nicht aufzutreiben.
2) Z. B.: Conversationslexikon für bildende Kunst. Leipzig, Rom-
berg's Verlag. Bd. 1, 1843, S. 417. Winckelmann abgeschrieben! —
Alfr. v. Mollin, Die Kunst in der heidnischen und christlichen Welt bis
zum Tode des Michel Angelo. Leipzig 1870, S. 127 flg., schreibt Gre-
gorovius und Stahr aus ! — Ernst Eckstein, Italiens Kunstschätze, Bd. I:
Rom, Leipzig 1876, S. 154, schreibt Overbeck ab I