15 Mi nuten Pause
UNTERHALTUNGSBEILAGE DER WOCHENSCHRIFT „LACHEN LINKS"
Adolf Uzarskt / Piefkeshausm
M i t Genehmigung des Delphin-Verlag
Erstes Kapitel
Der Fremde
rübsinnig und naß saßen die Spatzen unter
^ dem vorspringenden Dach des Bahnhoss
von Pieskeshausen und sahen, wahrscheinlich
in tiefer Wehmut, wie der unaufhörlich gie-
ßende Regen zwei wirklich wunderschöne
Pferdeäpfel in einen verschwemmenden Dreck
verwandelte.
Der Verfasser dieser Geschichte, der einen
besonderen Wert daraus legt, die Ereignisse
so genau wie möglich zu schildern, gibt nach
reiflicker Aeberlegung zu, daß diese Spatzen
auch Schwalben gewesen sein können. Denn
gerade der Zoologie hat er unter allen Wissen-
schaften die wenigste Unordnung in seinen so-
wieso schon bedenklich durcheinanderlaufenden
Gehirnwindungen anzurichten erlaubt; viel-
leicht, weil er aus Erfahrung weiß, daß schon
ein einziges Stück Rindvieh genügen kann,
den klarsten Kops in Verwirrung zu bringen.
Aber zwei feststehende Tatsachen, nämlich, daß
erstens es kaum jemals einer Sckwalbe ein-
sallen würde, in Pieskeshausen leben zu wollen,
und daß zweitens die betreffenden Spatzen
oder Schwalben unverkennbar nach den beiden
Pserdeäpfelnschielten,scheinen doch entschieden
für die erste Annahme des Verfassers zu
sprechen, daß cs nämlich Spatzen waren. Doch
ist das ganze nicht der Rede wert, denn, um
es ganz offen zu sagen: die Spatzen haben mit
der Geschichte gar nichts zu tun, und der Ver-
fasser hat sie hier nur an den Federn herbei-
gezogen, um auf eine ihm anscheinend und merk-
würdigerweise höchst originell dünkende "Art
zu sagen, daß es regnete.-
Wer Pieskeshausen kennt, weiß, daß es
dort immer regnet und daß dieser immer-
währende Pieskeshausener Regen, ja, daß
Pieskeshausen selbst kaum einer besonderen
Erwähnung wert ist und höchstens geeignet
erscheint, eine Reihe der bemitleidenswertesten
Gemütsbewegungen auszulösen. Doch können
wir weder an Pieskeshausen vorbei, noch
aus dem Regen trocken herauskommen, denn
wenn Sie,' reizende Leserin, und werter Leser,
diese Geschichte für würdig genug halten, Ihre
Ihnen leider angeborene Langeweile auf eine
angenehme und ihren armen Kopf nicht all-
zusehr in Anspruch nehmende Art zu unter-
brechen, so müssen Sie schon gestatten, daß
die kommenden Erlebnisse und Abenteuer mit
Regen und in Pieskeshausen beginnen.-
Denn als der große Zeiger derBahnhofsuhr
seinen auf der Zahl 4 stehenden kleineren
Kollegen und Mitläufer schon ungefähr ein-
geholt hatte und mit einem wackelnden Ruck
auf die 3 sprang tauchte am Ende der Schienen-
kurve langsam und wie kaum noch zu einiger
Anstrengung fähig der fahrplanmäßige Zug
auf und hielt eine viertel Minute später keuchend
und stöhnend vor dem Bahnhof.-
Ein Schaffner steckte für einen kurzen Augen-
blick den Kopf zum Fenster heraus, ries, mehr
aus Pflichtgefühl und Gewohnheit als aus
Notwendigkeit „Pieskeshausen" und zog sich
dann rasch mit mißmutigem Fluchen über die
Lartnäckigkeit der nässenden Naturerscheinung
in das schützende Gehäuse zurück. — Der Sta-
tionsvorsteher,ebensosehraufdieLaltung seiner
schönen roten Dienstmütze wie seiner Gesund-
heit bedacht, sprang unter möglichster Ver-
meidung allzugroßer Pfützen und mit zehn
Schritten über den Bahnsteig und wollte ge-
rade ohne unnötiges Verweilen das nötige
Zeichen zur Weiterfahrt geben, als sich ein
Abteil 2. Klasse von innen öffnete und ein
junger, vornehm gekleideter Lerr langsam
und, wie zum Trotz gegen den Regen, mit
imponierender Gleichgültigkeit den Zug ver-
ließ. Ohne Eile schlug er den Kragen seines
Aeberziehers hoch, zog dann erst einen nicht
zu großen Lederloffer aus dem Kupee, klappte
die Türe zu und ging endlich, nach zwei kurz-
orientierenden Blicken, mit Gemächlichkeit
über den Bahnsteig zur Bahnhofstür, über
der in Schablonenschrift das Wort „Ausgang"
gemalt stand.-
Der Stationsvorsteher blieb vor Erstaunen
mitten in der größten Wasserlache stehen. Er
kannte Pieskeshausen und seine Bewohner
lange genug, um ohne ileberlegung zu wissen,
daß dieser junge Lerr ein Fremder war, und
er war ebensosehr überzeugt, daß der Reisende
sich in seinem Reiseziel unbedingt geirrt haben
müsse.-
Zugegeben, daß sein Erstaunen durchaus
berechtigt war, so muß man doch nicht glauben,
daß es unter normalen Umständen ihn nicht
hätte bemerken lassen, wie ihm das Pfützen-
wasser durch die Schuhe in die Strümpfe zog.
Aber hier war etwas, was entschieden als
außergewöhnlich zu bezeichnen war, außer-
gewöhnlich für Lerrn Stationsvorsteher Mo-
scheik wie für Pieskeshausen. Nämlich — mit
zwei Worten gesagt — die unzweifelhafte
Vornehmheit des Fremden!-
Oft genug hatte Lerr Moscheik beobachten
können, wie sich die Pieskeshausen besuchen-
7
es, München
den Fremden — wenn'man die immer wieder-
kehrcnden Weinreisenden und Feuerversiche-
rungsagenten überhaupt noch Fremde nennen
konnte — bei Regenweiter benahmen, wie
sie, noch halb im Zuge, mit unvornehmer Last
den Schirm aufspannten, wie sie auf das
„Sauwetter" und die doch daran ganz un-
schuldige Stadt (die, wenn es irgend in ihrer
Macht gelegen hätte, sicher auf die Lieferung
einer angemessenen Quantität Sonnenschein
bedacht gewesen wäre) schimpften und wie
sie nicht schnell genug den nassen Bahnsteig
überspringen konnten. — Wie anders dieser
Fremde! — Wenn wahre Vornehmheit über-
haupt schon nach einem kurzen Blick auf Klei-
dung, Laartracht usw. nicht verkannt werden
kann, bei diesem jungen Lerrn war sie schon
allein durch die Tatsache, daß er auf einen
Schirm verzichtete — lwas als Gipfel einer
wahrhaften Vornehmheit anzusehen ist, da
man nicht delikater sagen kann, daß es einem
nicht darauf ankommt, weil man Anzüge genug
hat) — unmöglich zu übersehen.-
Das Erstaunen des Lerrn Stationsvor-
stehers ist deshalb durchaus begreiflich, und
man hätte sich wundern müssen wenn er sich
nicht gewundert hätte. Doch war seine Ver-
wunderung genau so, wie man sie von ihm
erwarten konnte, und so groß, daß er etwas
tat, was eigentlich für einen Stationsvor-
steher unerhört ist — und niemand konnte
- mehr von der hohen Würde seines Amts
überzeugt sein, wie Lerr Moscheik — er rich-
tete das Wort an den fremden Reisenden.
„Pieskeshausen!??" — sagte Lerr Moscheik.
„Ganz recht," sagte der vornehme Fremde
mit einem Blick auf die großen Buchstaben
unter dem Dach, „man kann es gut lesen!" —
und ging weiter.-
Zweites Kapitel
Introduktion
Der vornehme Reisende ging durch die
dumpfmuffige, mit Warnungstafeln. Fahr-
plänen und einem Automaten geschmückte
Bahnhofshalle, blieb am Ausgang — oder
auch Eingang, je nachdem — stehen und sah
einige Augenblicke überlegend in die wenig
einladende Regenlandschaft hinaus. Dann
wandte er sich an einen Jungen, der auf der
obersten Treppenstufe saß und lebhaft in-
UNTERHALTUNGSBEILAGE DER WOCHENSCHRIFT „LACHEN LINKS"
Adolf Uzarskt / Piefkeshausm
M i t Genehmigung des Delphin-Verlag
Erstes Kapitel
Der Fremde
rübsinnig und naß saßen die Spatzen unter
^ dem vorspringenden Dach des Bahnhoss
von Pieskeshausen und sahen, wahrscheinlich
in tiefer Wehmut, wie der unaufhörlich gie-
ßende Regen zwei wirklich wunderschöne
Pferdeäpfel in einen verschwemmenden Dreck
verwandelte.
Der Verfasser dieser Geschichte, der einen
besonderen Wert daraus legt, die Ereignisse
so genau wie möglich zu schildern, gibt nach
reiflicker Aeberlegung zu, daß diese Spatzen
auch Schwalben gewesen sein können. Denn
gerade der Zoologie hat er unter allen Wissen-
schaften die wenigste Unordnung in seinen so-
wieso schon bedenklich durcheinanderlaufenden
Gehirnwindungen anzurichten erlaubt; viel-
leicht, weil er aus Erfahrung weiß, daß schon
ein einziges Stück Rindvieh genügen kann,
den klarsten Kops in Verwirrung zu bringen.
Aber zwei feststehende Tatsachen, nämlich, daß
erstens es kaum jemals einer Sckwalbe ein-
sallen würde, in Pieskeshausen leben zu wollen,
und daß zweitens die betreffenden Spatzen
oder Schwalben unverkennbar nach den beiden
Pserdeäpfelnschielten,scheinen doch entschieden
für die erste Annahme des Verfassers zu
sprechen, daß cs nämlich Spatzen waren. Doch
ist das ganze nicht der Rede wert, denn, um
es ganz offen zu sagen: die Spatzen haben mit
der Geschichte gar nichts zu tun, und der Ver-
fasser hat sie hier nur an den Federn herbei-
gezogen, um auf eine ihm anscheinend und merk-
würdigerweise höchst originell dünkende "Art
zu sagen, daß es regnete.-
Wer Pieskeshausen kennt, weiß, daß es
dort immer regnet und daß dieser immer-
währende Pieskeshausener Regen, ja, daß
Pieskeshausen selbst kaum einer besonderen
Erwähnung wert ist und höchstens geeignet
erscheint, eine Reihe der bemitleidenswertesten
Gemütsbewegungen auszulösen. Doch können
wir weder an Pieskeshausen vorbei, noch
aus dem Regen trocken herauskommen, denn
wenn Sie,' reizende Leserin, und werter Leser,
diese Geschichte für würdig genug halten, Ihre
Ihnen leider angeborene Langeweile auf eine
angenehme und ihren armen Kopf nicht all-
zusehr in Anspruch nehmende Art zu unter-
brechen, so müssen Sie schon gestatten, daß
die kommenden Erlebnisse und Abenteuer mit
Regen und in Pieskeshausen beginnen.-
Denn als der große Zeiger derBahnhofsuhr
seinen auf der Zahl 4 stehenden kleineren
Kollegen und Mitläufer schon ungefähr ein-
geholt hatte und mit einem wackelnden Ruck
auf die 3 sprang tauchte am Ende der Schienen-
kurve langsam und wie kaum noch zu einiger
Anstrengung fähig der fahrplanmäßige Zug
auf und hielt eine viertel Minute später keuchend
und stöhnend vor dem Bahnhof.-
Ein Schaffner steckte für einen kurzen Augen-
blick den Kopf zum Fenster heraus, ries, mehr
aus Pflichtgefühl und Gewohnheit als aus
Notwendigkeit „Pieskeshausen" und zog sich
dann rasch mit mißmutigem Fluchen über die
Lartnäckigkeit der nässenden Naturerscheinung
in das schützende Gehäuse zurück. — Der Sta-
tionsvorsteher,ebensosehraufdieLaltung seiner
schönen roten Dienstmütze wie seiner Gesund-
heit bedacht, sprang unter möglichster Ver-
meidung allzugroßer Pfützen und mit zehn
Schritten über den Bahnsteig und wollte ge-
rade ohne unnötiges Verweilen das nötige
Zeichen zur Weiterfahrt geben, als sich ein
Abteil 2. Klasse von innen öffnete und ein
junger, vornehm gekleideter Lerr langsam
und, wie zum Trotz gegen den Regen, mit
imponierender Gleichgültigkeit den Zug ver-
ließ. Ohne Eile schlug er den Kragen seines
Aeberziehers hoch, zog dann erst einen nicht
zu großen Lederloffer aus dem Kupee, klappte
die Türe zu und ging endlich, nach zwei kurz-
orientierenden Blicken, mit Gemächlichkeit
über den Bahnsteig zur Bahnhofstür, über
der in Schablonenschrift das Wort „Ausgang"
gemalt stand.-
Der Stationsvorsteher blieb vor Erstaunen
mitten in der größten Wasserlache stehen. Er
kannte Pieskeshausen und seine Bewohner
lange genug, um ohne ileberlegung zu wissen,
daß dieser junge Lerr ein Fremder war, und
er war ebensosehr überzeugt, daß der Reisende
sich in seinem Reiseziel unbedingt geirrt haben
müsse.-
Zugegeben, daß sein Erstaunen durchaus
berechtigt war, so muß man doch nicht glauben,
daß es unter normalen Umständen ihn nicht
hätte bemerken lassen, wie ihm das Pfützen-
wasser durch die Schuhe in die Strümpfe zog.
Aber hier war etwas, was entschieden als
außergewöhnlich zu bezeichnen war, außer-
gewöhnlich für Lerrn Stationsvorsteher Mo-
scheik wie für Pieskeshausen. Nämlich — mit
zwei Worten gesagt — die unzweifelhafte
Vornehmheit des Fremden!-
Oft genug hatte Lerr Moscheik beobachten
können, wie sich die Pieskeshausen besuchen-
7
es, München
den Fremden — wenn'man die immer wieder-
kehrcnden Weinreisenden und Feuerversiche-
rungsagenten überhaupt noch Fremde nennen
konnte — bei Regenweiter benahmen, wie
sie, noch halb im Zuge, mit unvornehmer Last
den Schirm aufspannten, wie sie auf das
„Sauwetter" und die doch daran ganz un-
schuldige Stadt (die, wenn es irgend in ihrer
Macht gelegen hätte, sicher auf die Lieferung
einer angemessenen Quantität Sonnenschein
bedacht gewesen wäre) schimpften und wie
sie nicht schnell genug den nassen Bahnsteig
überspringen konnten. — Wie anders dieser
Fremde! — Wenn wahre Vornehmheit über-
haupt schon nach einem kurzen Blick auf Klei-
dung, Laartracht usw. nicht verkannt werden
kann, bei diesem jungen Lerrn war sie schon
allein durch die Tatsache, daß er auf einen
Schirm verzichtete — lwas als Gipfel einer
wahrhaften Vornehmheit anzusehen ist, da
man nicht delikater sagen kann, daß es einem
nicht darauf ankommt, weil man Anzüge genug
hat) — unmöglich zu übersehen.-
Das Erstaunen des Lerrn Stationsvor-
stehers ist deshalb durchaus begreiflich, und
man hätte sich wundern müssen wenn er sich
nicht gewundert hätte. Doch war seine Ver-
wunderung genau so, wie man sie von ihm
erwarten konnte, und so groß, daß er etwas
tat, was eigentlich für einen Stationsvor-
steher unerhört ist — und niemand konnte
- mehr von der hohen Würde seines Amts
überzeugt sein, wie Lerr Moscheik — er rich-
tete das Wort an den fremden Reisenden.
„Pieskeshausen!??" — sagte Lerr Moscheik.
„Ganz recht," sagte der vornehme Fremde
mit einem Blick auf die großen Buchstaben
unter dem Dach, „man kann es gut lesen!" —
und ging weiter.-
Zweites Kapitel
Introduktion
Der vornehme Reisende ging durch die
dumpfmuffige, mit Warnungstafeln. Fahr-
plänen und einem Automaten geschmückte
Bahnhofshalle, blieb am Ausgang — oder
auch Eingang, je nachdem — stehen und sah
einige Augenblicke überlegend in die wenig
einladende Regenlandschaft hinaus. Dann
wandte er sich an einen Jungen, der auf der
obersten Treppenstufe saß und lebhaft in-