15 Minuten Pause
UNTERHALTUNGSBEILAGE DER WOCHENSCHRIFT „LACHEN LINKS“
Adolf Uzarskt / Ptefkeshauft»
(M i t Zeichnungen d e s Verfassers.)
Es gibt Worte, die auf einen Menschen ie
nach seiner Veranlagung und seinen Lieb-
habereien eine gerade zauberhafte Wirkung
ausüben. Lein Möllmann hatte es das Wort
„Wagen" angetan. Schon in frühen Jahren,
wenn er hinter den Scheiben der elterlichen
Stube auf der Fensterbank saß und die vor-
überfahrende Pferdebahn ihn zu einem, seine
Mutter mit Besorgnis für sein junges Leben
erfüllenden Arme- und Beinestrampeln und
ekstatisch gelallten „Pängebang, Pängebang!"
begeisterte, drehte sich sein Interesse um alles,
was aufRädcrn lies und von einemPserdfdem
man fo hübsch die Peitsche um die Ohren
knallen konnte) gezogen wurde. Im Sprechen
und Denken fortgeschritten, hatte er dieser
Vorliebe durch den Wunsch Ausdruck ge-
geben, „A-B-Mann" zu werden. Mit den
Jahren waren dann seine Ansprüche gestiegen,
und nachdem er eine Zeitlang die Tätigkeit
eines Bierkutschers, dann eines Sprengwagen-
mannes als das höchsterreichbare Glück ge-
träumt hatte, war er nun zur Liebe seiner
ersten Kindheit zurückgekommen mit) lebte in
dem Gedanken, Pferdebahnkutscher werden
zu wollen. —
Kein Wunder deshalb, daß ihn der Wunsch
des Fremden nach einem Wagen lebendig
machte. — Natürlich würde er den Wagen
holen, er wußte schon, bei Knöllecke, „Lauderei
und Fuhrgeschäst", der hatte einen, sogar
zwei Wagen, für Hochzeiten und Begräbnisse.
!lnd vielleicht würde iynLerrKnöllecke-
„Einen Wagen — — eine Droschke! —
Lause schnell!" — — unterbrach der Reisende
einigermaßen ungeduldig den Gedankengang
des jungen Lerrn. —
Der stand langsam auf-Donnerkiel! —
Eine Droschke II Lerr Knöllecke würde ihn
als den Überbringer dieser Bestellung sicher
mit aus dem Bock fahren lasten — Lein Möll-
mann sprang auf, sagte schnell „Ich hol'n!" —
und lief im nächsten Augenblick mit langen,
spritzenden Sprüngen die Bahnhofstraße hin-
unter. —
Der Fremde drehte sich um, blieb vor einer
anscheinend seit ihrer Fabrikation nie gerei-
nigten Tür einige Gedanken lang stehen und
betrat dann den hinter ihr liegenden Raum,
den ein über ihr angebrachtes Schild als
„Wartcsaal 1. und 2. Klasse" bezeichnete.—
Dieser Wartesaal entsprach durchaus den
Anschauungen, die man als ein sich mehr wie
einmal im Monat waschender Mensch von
unseren Wartesälen har. Ein dem ganzen
Bahnhof anhaftender, hier konzentriert sich
bemerkbar machender mussiger Geruch nach
verdorbenem Leim und abgestandenem Bier,
unzählige, aus der verschossenen und in der
Nähe des Kanonenofens vielfach geplatzten
Tapete klebende, tote Fliegen, von Staub
graue Stoffdekerationen, ein von der petro-
leumstinkenden Längelampe herunterbaumeln-
der Fliegenfänger, Spinnweben überall, und die
rauch-und rußbedeckte Strickdecke, gaben diesem
Wartesaal das Anseben einer ebenso wertlosen
wie nie gesäuberten Antiquität.-
Erst nachdem der vornehme Reisende meh-
rere Male ungeduldig mit einem leeren, kle-
brigen Bieralase auf den Blechbeichlag des
Schanktisches geklopft hatte,erschien schlurfend
hirrter einer Stoffportiere die Wirtin. Nichts
in der Welt hätte besser und passender das
Prunkstück des Wartesaales darstellen können,
wie Frau Prümm. Eine herrliche Fülle, deren
speckig-schwappende Zeberschneidungen sich an
Gesicht und Lals durch dunkle Verkrustringen
interessant von dem weißen Fett abhoben, ein
manchen jungen Lerrn mit Neid erfüllender
schwarzer Schnurrbart, das spärliche, aus
dem winzigen Laarknüzchen herausbaumelnde,
mit einem Ende Schuhriemen verknotete Zöps-
chen, das vorne zu kurze, hinten zu lauge,
mit abgetretenen und nachschleisenden Stoß-
kanten verzierte Kleid und die ehemals viel-
leicht weiße, nun mit unzähligen Spuren
sämtlicher Arten menschlicher Verrichtung ge-
schmückte Schürze machten diese Dame zu
einer einerseits offenbar gut durch den Winter
gekommenen, andresseits bestimmt seit dem
letzten Sommer nicht mehr gereinigten Se-
henswürdigkeit.
„Guten Tag." sagte der Fremde, „kann ich
eine Tasse Kaffee bekommen?" —
Die Sehenswürdigkeit nickte, daß ihre
Speckwülste aus-und niederschwappten wie die
Linterbacken eines galoppierenden Schweines
und schlurfte wortlos in demselben zögernden
Zeitmaß, wie sie erschienen war, wieder hinaus.
Llnser junger Leld, denn das soll er für
diese Geschichte werden, sofern der Verfasser
sie zu Ende schreibt und ihm überhaupt keine
vernünftigere Arbeit einsällt, unser junger
Leld drehte sich um und setzte sich vorsichtig
an einen Tisch in der Nähe des Fensters,
nachdem er mit einem Aeberzieherende den
dicksten Staub des Stuhles abgeschlagen hatte.
Dann sah er mit einem verlorenen Blick das
Fenster an (wobei zu sagen ist, daß er nicht
hinaussah, weil dieses wie auch die beiden
anderen Fenster zum Linaussehen seit langem
nicht mehr geeignet waren» und dachte. Was
er dachte, kann man natürlich nicht sagen
20
1. Fortsetzung.
weil das Denken bekanntlich die merkwürdige
Eigenschaft hat, von andern, manchmal von
dem Denkenden selbst nicht verstanden zu
werden. Deshalb wollen wir uns nur darauf
beschränken, vorsichtig sestzustellen, daß er
denkend aussah. Obwohl man sich auch da
manchmal sehr täuschen kann. —
Nachdem er so eine kurze Zeit für sich allein
gesessen hatte lund die ebenso hübschen wie
neugierigen Leserinnen hin und her überlegt
haben, was dieser junge Lerr und ob er über-
haupt denkt), schlurfte die Wirtin wieder
herein und stellte vor den Fremden eine
Flüssigkeit hin, die in der nur deutschen
Bahnhofswirtschaften eigentümlichen Sprache
„Kaffee" genannt wird. —
Die gute Frau, die das Getränk, da sie
es selbst fabriziert hatte, genau genug kannte,
um zu wissen, daß außer der Eigenschaft des
heißen Wassers, nämlich heiß zu sein, dieser
Kaffee nichts hatte, was irgendwie mit gut
oder einem anderen schmückenden Beiwort
posiliverNaturhättebezeichnet werden können,
fühlte sich angesichts der offenbaren und in
diesem Raume ganz seltenen Vornehmheit
des Gastes ausnahmsweise gedrungen, ihm
durch ein versüßendes Gespräch über die
ersten niederschmetternden Eindrücke beim Ge-
nuß der ominösen Flüssigkeit hinwegzuhelfen.
„Es siebt riach Regen aus!" sagte sie mit
einer Stimme, die wie durch zwei Speckseiten
gepreßt klang. —
„Ja," nickte der Fremde, und man sah ihm
den krainpfhaften Versuch an, den Inhalt
derTasse zu definieren, „aber es riecht wie — —
wie-," er zog die Stirne kraus, wischte
mit seinem aus der Brusttasche gezogenen
Batisttaschentuch — besser Tüchlein — einen
an derInnenseiteprangenden breiten Daumen-
abdruck weg, schlürfte vorsichtig zwei Tropfen,
und setzte dieTasse ehrschnell wieder hin,hustete,
beendete den Satz mit: „wie Spülwasser!" —
Die reizende Dame, die mit Recht der übri-
gens von der Mehrzahl ihrer Berufsgenos-
sinnen vertretenen Meinung war, daß von
einer anständigen Wirtin — und nun gar
einerBahnhosswirtin —nichtverlangt werden
könne, für anständiges Geld auch eine an-
ständige Tasse Kaffee zu verkaufen, verlor
mit einem Schlage jeden Respekt vor der
ihr entschieden zu kritischen Vornehmheit und
wollte gerade mit einem kräftigen Schwung
das von ihr so harmlos und gutgemeinte
Gespräch auf ein energischeresNiveau bringen,
als der Anbekannte ihre Absicht, die er wohl
ahnen mochte, klug zerstörte-und uns
dadurch leider die Möglichkeit nimmt, die
sicher ebenso interessante wie geharnischte
Meinungsäußerung der Dame zu hören-
durch die Frage:
„Sagen Sle mal, was gibt es denn hier
alles für Leute?" —
Er hätte eine bessere und von ihr lieber
beantwortete Frage an Frau Prümm nicht
stellen können Denn in der Kenntnis der
Verhältnisse anderer Leute — und das waren
UNTERHALTUNGSBEILAGE DER WOCHENSCHRIFT „LACHEN LINKS“
Adolf Uzarskt / Ptefkeshauft»
(M i t Zeichnungen d e s Verfassers.)
Es gibt Worte, die auf einen Menschen ie
nach seiner Veranlagung und seinen Lieb-
habereien eine gerade zauberhafte Wirkung
ausüben. Lein Möllmann hatte es das Wort
„Wagen" angetan. Schon in frühen Jahren,
wenn er hinter den Scheiben der elterlichen
Stube auf der Fensterbank saß und die vor-
überfahrende Pferdebahn ihn zu einem, seine
Mutter mit Besorgnis für sein junges Leben
erfüllenden Arme- und Beinestrampeln und
ekstatisch gelallten „Pängebang, Pängebang!"
begeisterte, drehte sich sein Interesse um alles,
was aufRädcrn lies und von einemPserdfdem
man fo hübsch die Peitsche um die Ohren
knallen konnte) gezogen wurde. Im Sprechen
und Denken fortgeschritten, hatte er dieser
Vorliebe durch den Wunsch Ausdruck ge-
geben, „A-B-Mann" zu werden. Mit den
Jahren waren dann seine Ansprüche gestiegen,
und nachdem er eine Zeitlang die Tätigkeit
eines Bierkutschers, dann eines Sprengwagen-
mannes als das höchsterreichbare Glück ge-
träumt hatte, war er nun zur Liebe seiner
ersten Kindheit zurückgekommen mit) lebte in
dem Gedanken, Pferdebahnkutscher werden
zu wollen. —
Kein Wunder deshalb, daß ihn der Wunsch
des Fremden nach einem Wagen lebendig
machte. — Natürlich würde er den Wagen
holen, er wußte schon, bei Knöllecke, „Lauderei
und Fuhrgeschäst", der hatte einen, sogar
zwei Wagen, für Hochzeiten und Begräbnisse.
!lnd vielleicht würde iynLerrKnöllecke-
„Einen Wagen — — eine Droschke! —
Lause schnell!" — — unterbrach der Reisende
einigermaßen ungeduldig den Gedankengang
des jungen Lerrn. —
Der stand langsam auf-Donnerkiel! —
Eine Droschke II Lerr Knöllecke würde ihn
als den Überbringer dieser Bestellung sicher
mit aus dem Bock fahren lasten — Lein Möll-
mann sprang auf, sagte schnell „Ich hol'n!" —
und lief im nächsten Augenblick mit langen,
spritzenden Sprüngen die Bahnhofstraße hin-
unter. —
Der Fremde drehte sich um, blieb vor einer
anscheinend seit ihrer Fabrikation nie gerei-
nigten Tür einige Gedanken lang stehen und
betrat dann den hinter ihr liegenden Raum,
den ein über ihr angebrachtes Schild als
„Wartcsaal 1. und 2. Klasse" bezeichnete.—
Dieser Wartesaal entsprach durchaus den
Anschauungen, die man als ein sich mehr wie
einmal im Monat waschender Mensch von
unseren Wartesälen har. Ein dem ganzen
Bahnhof anhaftender, hier konzentriert sich
bemerkbar machender mussiger Geruch nach
verdorbenem Leim und abgestandenem Bier,
unzählige, aus der verschossenen und in der
Nähe des Kanonenofens vielfach geplatzten
Tapete klebende, tote Fliegen, von Staub
graue Stoffdekerationen, ein von der petro-
leumstinkenden Längelampe herunterbaumeln-
der Fliegenfänger, Spinnweben überall, und die
rauch-und rußbedeckte Strickdecke, gaben diesem
Wartesaal das Anseben einer ebenso wertlosen
wie nie gesäuberten Antiquität.-
Erst nachdem der vornehme Reisende meh-
rere Male ungeduldig mit einem leeren, kle-
brigen Bieralase auf den Blechbeichlag des
Schanktisches geklopft hatte,erschien schlurfend
hirrter einer Stoffportiere die Wirtin. Nichts
in der Welt hätte besser und passender das
Prunkstück des Wartesaales darstellen können,
wie Frau Prümm. Eine herrliche Fülle, deren
speckig-schwappende Zeberschneidungen sich an
Gesicht und Lals durch dunkle Verkrustringen
interessant von dem weißen Fett abhoben, ein
manchen jungen Lerrn mit Neid erfüllender
schwarzer Schnurrbart, das spärliche, aus
dem winzigen Laarknüzchen herausbaumelnde,
mit einem Ende Schuhriemen verknotete Zöps-
chen, das vorne zu kurze, hinten zu lauge,
mit abgetretenen und nachschleisenden Stoß-
kanten verzierte Kleid und die ehemals viel-
leicht weiße, nun mit unzähligen Spuren
sämtlicher Arten menschlicher Verrichtung ge-
schmückte Schürze machten diese Dame zu
einer einerseits offenbar gut durch den Winter
gekommenen, andresseits bestimmt seit dem
letzten Sommer nicht mehr gereinigten Se-
henswürdigkeit.
„Guten Tag." sagte der Fremde, „kann ich
eine Tasse Kaffee bekommen?" —
Die Sehenswürdigkeit nickte, daß ihre
Speckwülste aus-und niederschwappten wie die
Linterbacken eines galoppierenden Schweines
und schlurfte wortlos in demselben zögernden
Zeitmaß, wie sie erschienen war, wieder hinaus.
Llnser junger Leld, denn das soll er für
diese Geschichte werden, sofern der Verfasser
sie zu Ende schreibt und ihm überhaupt keine
vernünftigere Arbeit einsällt, unser junger
Leld drehte sich um und setzte sich vorsichtig
an einen Tisch in der Nähe des Fensters,
nachdem er mit einem Aeberzieherende den
dicksten Staub des Stuhles abgeschlagen hatte.
Dann sah er mit einem verlorenen Blick das
Fenster an (wobei zu sagen ist, daß er nicht
hinaussah, weil dieses wie auch die beiden
anderen Fenster zum Linaussehen seit langem
nicht mehr geeignet waren» und dachte. Was
er dachte, kann man natürlich nicht sagen
20
1. Fortsetzung.
weil das Denken bekanntlich die merkwürdige
Eigenschaft hat, von andern, manchmal von
dem Denkenden selbst nicht verstanden zu
werden. Deshalb wollen wir uns nur darauf
beschränken, vorsichtig sestzustellen, daß er
denkend aussah. Obwohl man sich auch da
manchmal sehr täuschen kann. —
Nachdem er so eine kurze Zeit für sich allein
gesessen hatte lund die ebenso hübschen wie
neugierigen Leserinnen hin und her überlegt
haben, was dieser junge Lerr und ob er über-
haupt denkt), schlurfte die Wirtin wieder
herein und stellte vor den Fremden eine
Flüssigkeit hin, die in der nur deutschen
Bahnhofswirtschaften eigentümlichen Sprache
„Kaffee" genannt wird. —
Die gute Frau, die das Getränk, da sie
es selbst fabriziert hatte, genau genug kannte,
um zu wissen, daß außer der Eigenschaft des
heißen Wassers, nämlich heiß zu sein, dieser
Kaffee nichts hatte, was irgendwie mit gut
oder einem anderen schmückenden Beiwort
posiliverNaturhättebezeichnet werden können,
fühlte sich angesichts der offenbaren und in
diesem Raume ganz seltenen Vornehmheit
des Gastes ausnahmsweise gedrungen, ihm
durch ein versüßendes Gespräch über die
ersten niederschmetternden Eindrücke beim Ge-
nuß der ominösen Flüssigkeit hinwegzuhelfen.
„Es siebt riach Regen aus!" sagte sie mit
einer Stimme, die wie durch zwei Speckseiten
gepreßt klang. —
„Ja," nickte der Fremde, und man sah ihm
den krainpfhaften Versuch an, den Inhalt
derTasse zu definieren, „aber es riecht wie — —
wie-," er zog die Stirne kraus, wischte
mit seinem aus der Brusttasche gezogenen
Batisttaschentuch — besser Tüchlein — einen
an derInnenseiteprangenden breiten Daumen-
abdruck weg, schlürfte vorsichtig zwei Tropfen,
und setzte dieTasse ehrschnell wieder hin,hustete,
beendete den Satz mit: „wie Spülwasser!" —
Die reizende Dame, die mit Recht der übri-
gens von der Mehrzahl ihrer Berufsgenos-
sinnen vertretenen Meinung war, daß von
einer anständigen Wirtin — und nun gar
einerBahnhosswirtin —nichtverlangt werden
könne, für anständiges Geld auch eine an-
ständige Tasse Kaffee zu verkaufen, verlor
mit einem Schlage jeden Respekt vor der
ihr entschieden zu kritischen Vornehmheit und
wollte gerade mit einem kräftigen Schwung
das von ihr so harmlos und gutgemeinte
Gespräch auf ein energischeresNiveau bringen,
als der Anbekannte ihre Absicht, die er wohl
ahnen mochte, klug zerstörte-und uns
dadurch leider die Möglichkeit nimmt, die
sicher ebenso interessante wie geharnischte
Meinungsäußerung der Dame zu hören-
durch die Frage:
„Sagen Sle mal, was gibt es denn hier
alles für Leute?" —
Er hätte eine bessere und von ihr lieber
beantwortete Frage an Frau Prümm nicht
stellen können Denn in der Kenntnis der
Verhältnisse anderer Leute — und das waren