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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 2.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.8804#0030
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Besuch bei

Kannibalens

Deutsches Sittenbild
aus der Gegenwart.

Ich brauchte nicht lange
zu suchen. Das Laus war

ohneweitereskenntlich.weil

sich im Erdgeschoß eine Po-
lizeiwache befand. Aus
dem ersten Stockwerk hing
ein Stuhl mit weißer
Schürze, daneben eine
Fahne: „Leute frisches

Blut u. Menschenfleisch."

Ein SchupomailN wies
mirdenWeg. „Gehen Sie
nur hinauf, der Mann ist
total harmlos. Er schlachtet
bloß Menschen, sonst luter
nichts polizeiwidriges."

An der Tür grüßte mich
ein Schild: „Denkhaar,

Rind- und Menschenmetz-
ger. Prämiiert auf der
Weltausstellung Wem-
bley. Anerkennungsschrei-
ben erster Au oritäten."

Lerr Denkhaar öffnete
mir persönlich. „Warten
Sie, ich will nur erst einen
Topf Eingemachtes weg-
stellen." Er zog einen Zopf
gesülzter Menschenfüße,
deren Zehen lieblich aus
dem Geläe hervorschauten,
ins Schlafzimmer unters
Bett. Dann führte er mich
in die behaglich mit grünen
Plüschmöbeln ausgestat-
tete Wohnstube. Ein
schmuckes Dienstmädchen
servierte eine garnierte Schüssel, auf der
appetitlich sechs Nasen und ebensovielePaar
Ohren lagen, ich mußie jedoch zu meinem
Bedauern ablehnen, da ich eben erst gefrüh-
stückt hatte.

Lerr Denkhaar genoß zwei Ohren auf
Toast, die er mit einem Schluck blutroten

des deutsch-österreichischen Alpenvereins: „Es lebe der Antisemitis-
>nus", zu singen nach der Melodie: „Auf den Bergen wohnt die

Freiheit!"

Er lächelte geschmeichelt.
Ich solle nur loslegen. Ob
ich etwas dagegen habe,
wenn er beim Gespräch et-
was Schabefleisch durch
den Wolf drehe.

O gar nicht „Mer das
deutsche Volk kennen lernen
will, suche es bei der Arbeit
auf," hatschonnreinKaiser
gesagt. — Wie denn die
Geschäfte gingen?

Lerr Denkhaar runzelte
die Stirn. O, leidlich.
Wenn nur nicht sich die
verdammten Behörden
dazwischen mengten!

Ach so, die Polizei . . .

Lerr Denkhaar spuckte
verächtlich aus. „Ach, was,
Polizei. Die Steuerbe-
hörde natürlich. Denken
Sie, Lerr von Linden-
hecken, man hat mich zur
Amsatzsteuer veranlagt.
Man schätzt mich auf
dreihundert Schlachtungen
jährlich. Ist das nicht lach-
haft? Net e Zustände seit
der Revolution. Ja, wenn
wirdenKaiser noch hätten.
Oder wenigstens Luden-
dorff! Der Mann ist
mir außerordentlich . . ."

In diesem Augenblick
erscholl durchdringendes
Wehgeschrei aus dem Ne-
benzimmer. Ich fuhr entsetzt
auf. Aber Lerr Denkhaar
drückte mich beruhigend in den Sessel zurück.
„Is ja nichts! Meine Gesellen schlachten
grad einen fetten Landwerksburschen. Ick
muß leider noch Lausschlachtungen vor-
nehmen, erst im nächsten Jahr bekomme ich
e nen Stand auf dem städtischen Schlacht-
hof. Könnte da die Presse nicht etwas

„Recht ist's, Frau Regierungsrat, daß es aus ist mit dem Bau-
haus!" — „Recht ist's! Alleweil ist unfern Männern ein
Brauhaus lieber als ein Bauhaus!"

Das Eigengetüm

Burgunder anfeuchtete. Dabei betracht te
er voller Entzücken meine Lände und
murmelte: „Was Sie für allerliebste

Wurstfinger haben."

Ich setzte Lerrn Denkhaar den Zweck
meines Kommens auseinander. Ich wolle
ihn interviewen.

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