hämisch der Abbau entgegen. Frö-
stelnd steckte er die Künde in dieMantel-
taschen, wo er die soeben empfangene
Lohntüte fühlte. Zog sie heraus, sah sie
sich der Abwechslung halber zum 14.
Male an. Gehalt für Monat August
Mk. 120.—. Abzüge für Lohnsteuer,
Arbeitsertragssteuer, Substanzvermin-
derungssteuer, Notsteuer, Friedensver-
tragsabwehrsteuer, Krankenkasse und
Anfallversicherung, alles zusammen Mk.
68,24. Blieben ihm also gerade noch
Mk. 51,76. Ein Betrag, dessen Wert
nur der ermessen kann, der weiß, daß
sein Chef mit dieser Summe die Kosten
eines Soupers zu decken pflegt.
So stand er also mit einer Aner-
kennung über zehnjährige treue Dienste
und Mk. 51,76 vor der schon oben be-
schriebenen Tür. Schiebedanz wußte
nicht recht, was er zu dieser Zeit mit
sich ansangen sollte. Sonst hatte er ge-
rade jetzt geruhsam an seinem Pulte ge- *
sessen und angefangen, seine Stullen zu
verzehren. Dann besprach er auch wohl
mit seinem Pultgegenüber, dem alten
Hauptbuchhalter Speichellecker den letz-
ten Lustmord oder gab sich zufriedenen
Betrachtungen darüber hin, welche von den
Bürodamen die nächste sein würde, die sich
der Gunst des Prokuristen Marcuse rühmen
dürfte. Dies alles siel nun von heute ab an-
gesichts des vollzogenen Abbaus aus.
Schiebedanz nahm sich vor, auch das
Mittagessen ausfallen zu lassen. Denn wer
kann wissen, wie lange er mit seinem Ver-
mögen ausreichen müßte. Zum Ausgleich
dafür wollte er sich etwas gönnen, wozu
ihm die Arbeit der letzten 10 Jahre nie
Zeit gelassen hatte. Er wollte flanieren, einen
Bummel machen! Ließ sich die zart wär-
menden Sonnenstrahlen auf sein leicht ver-
eistes Gemüt fallen, betrachtete mit erheb-
licher, anerzogencr Ehrfurcht die dickbepelzten
Damen und Perren, die in ihren Autos
über den spiegelblanken Asphalt dahinsausten.
Erst bei anbrechender Dunkelheit fand sich
Schiebedanz nach Pause. Er hatte wohl
doch einen etwas schweren Kopf, bald schlief
er ein.
Automatisch wachte er am anderen Morgen
um halbsieben auf. Schon wollte er hastig
in die Posen fahren, als ihm einfiel, daß
er ja dank des Abbaus es gar nicht nötig
habe, so zeitig aufzustehen. Er war ja rest-
los abgebaut. Also mußte er doch wohl
erst versuchen, eine neue Stellung zu er-
halten. Am zehn Ahr ging er hoffnungs-
froh zu Bergmann & Co., Maschinenbau.
Die kannten ihn ja aus seiner alten Stellung,
wußten, was er für ein tüchtiger Arbeiter
war. Perr Bergmann war sehr nett. „Nanu,
Perr Schiebedanz, was führt Sie denn zu
uns?" Schiebedanz erkärte die ihm nicht
ganz angenehmen Vorgänge und erlaubte
sich die bescheidene Anfrage, ob im Pause
Bergmann & Co. nicht für ihn ein Posten
oder wenigstens ein Postchen frei wäre.
Perr Bergmann sah ihn ein wenig erstaunt,
dann belustigt an, sagte schließlich; „Aber
lieber Schiebedanz, Sie sind wirklich naiv!
Im Kunstsalon
Zeichnung von Georg Witte
„Ich möchte ein passendes Äochzeitsgeschenk!"
„Vielleicht ein Gemälde, gnäd'ge Frau?"
„Nein, es soll ein Kunstgegenstand sein!"
Wissen Sie denn nicht, daß jetzt überall
restlos abgebaut wird? Wir sanieren
uns im Abbau, wir leben im Zeitalter des
Abbaus. Die Not der Industrie schreit
zum Pimmel! Die guten Zeiten, wo jeder
von uns am Sonntag sein Luhn im Topf
hatte, sind vorbei. Sehen Sie, ich wollte
mit meiner Familie im Perbst nach Ägypten
fahren, zu dem ollen Tutankamen. Aber
ich habe zu meiner Frau gejagt: „Ottilie,
wir leben in schwerer Zeit, da heißt es
sparen. Nicht nur im Betrieb, sondern
auch an uns. Du wirst mit Italien auch
zufrieden sein." And was soll ich Ihnen
@ ^ f P Zeichnung
o\ U ^ | v von ft. RLisch
der neue englische Premier.
29
sagen? Die Frau war zufrieden! So
bringt eben jeder einzelne von uns
Opfer. Nur nicht den Mut verlieren.
Wird alles einmal wieder anders sein.
Mal rauf, mal runter, wissen Sie,
immer Karussell"
Schiebedanz kroch in sich zusammen.
In seinem Kopf führten die Worte:
Tutankamen, Opfer bringen, rauf
und runter, einen wi!den Tanz auf.
Mühsam fand er sich zum Paus
heraus. Ein wild gewordener Auto-
führer, der seinen Perrn für die längst
fällige Nentenhausse ein wenig zu
schnell zur Börse führte, schrie ihn
an. Schiebedanz hörte nichts. Tutan-
kamen .... Tutankamen . . . .!
Ach wie froh war er, daß er etwas
hatte, wo er sich dran klammern konnte.
Opfer bringen? Ja, das war wohl in
dieser Zeit das wichtigste.
Schiebedanz ging auf einen ihm
entgegenkommenden Perrn zu. Sagte
feierlich zu ihm: „Paben Sie schon
JhrTutankamen-Opfer gebracht?" Der
Perr sah ihn verdutzt an, schob ihn
bei Seite. Kein Mensch schien auf
ihn, den Schiebedanz, hören zu wollen.
Die Welt schien jeder besseren Einsicht
wirklich verschlossen. Schlecht waren die
Menschen, keiner hatte Lust, Opfer zu
bringen.
Ain Potsdainer Platz stieg er auf den
Verkehrsturm zum Schutzmann hinauf.
Fragte ihn, ob er nicht wüßte, daß Opfer
gebracht werden müssen. Er solle sofort
nach Pause gehen und sein Tutankamen-
Opfer bringen! Als aber auch der Re-
präsentant der staatlichen Ordnung nicht
auf ihn hören wollte, tat Schiebedanz das,
was am nächsten Morgen der Chef der
Püttenwerke Knallprotzen und der von der
Firma Bergmann & Co. zu ihrem größten
Erstaunen in ihren Morgenzeitungcn lesen
konnten:
„Am Potsdamer Platz überfiel gestern
nachmittag der stellungslose Büroangestellte
Iosua Schiebedanz in einem Anfall reli-
giösen Wahnsinns den Polizeibeamten
Müller III. Der Beamte war gezwungen,
seine Piebwaffe zu benutzen. Sch. entriß
ihm jedoch diese, warf den Beamten zu
Boden und verletzte ihn durch wilde Stiche
schwer. Dabei rief der Täter gellend, daß
endlich nun ein Opfer gebracht würde, wo-
für es dringend Zeit sei. Perbeieilende
Pilfe brachte den Tobenden in Gewahrsam,
von wo er der Landesirrenanstalt zugeführt
wurde. Die Motive der Tat sind völlig
unerklärlich und dürften es wohl auch
bleiben. Immerhin sind solche Vorkomm-
nisse ein trauriges Zeichen für die geistige
Verwirrtheit der unteren Volksschichten.
Bei dem Schwinden jeglichen Autori-
tätsbegriffs, bei der Demoralisierung in-
folge des republikanischen Gedankens . . .
usw. usw."
Schiebedanz sitzt jetzt in Ruhe in Zelle 53.
Er beschäftigt sich nur noch mit philoso-
phischenProblemen. Vor dem Abbau scheint
er gesichert zu sein.
stelnd steckte er die Künde in dieMantel-
taschen, wo er die soeben empfangene
Lohntüte fühlte. Zog sie heraus, sah sie
sich der Abwechslung halber zum 14.
Male an. Gehalt für Monat August
Mk. 120.—. Abzüge für Lohnsteuer,
Arbeitsertragssteuer, Substanzvermin-
derungssteuer, Notsteuer, Friedensver-
tragsabwehrsteuer, Krankenkasse und
Anfallversicherung, alles zusammen Mk.
68,24. Blieben ihm also gerade noch
Mk. 51,76. Ein Betrag, dessen Wert
nur der ermessen kann, der weiß, daß
sein Chef mit dieser Summe die Kosten
eines Soupers zu decken pflegt.
So stand er also mit einer Aner-
kennung über zehnjährige treue Dienste
und Mk. 51,76 vor der schon oben be-
schriebenen Tür. Schiebedanz wußte
nicht recht, was er zu dieser Zeit mit
sich ansangen sollte. Sonst hatte er ge-
rade jetzt geruhsam an seinem Pulte ge- *
sessen und angefangen, seine Stullen zu
verzehren. Dann besprach er auch wohl
mit seinem Pultgegenüber, dem alten
Hauptbuchhalter Speichellecker den letz-
ten Lustmord oder gab sich zufriedenen
Betrachtungen darüber hin, welche von den
Bürodamen die nächste sein würde, die sich
der Gunst des Prokuristen Marcuse rühmen
dürfte. Dies alles siel nun von heute ab an-
gesichts des vollzogenen Abbaus aus.
Schiebedanz nahm sich vor, auch das
Mittagessen ausfallen zu lassen. Denn wer
kann wissen, wie lange er mit seinem Ver-
mögen ausreichen müßte. Zum Ausgleich
dafür wollte er sich etwas gönnen, wozu
ihm die Arbeit der letzten 10 Jahre nie
Zeit gelassen hatte. Er wollte flanieren, einen
Bummel machen! Ließ sich die zart wär-
menden Sonnenstrahlen auf sein leicht ver-
eistes Gemüt fallen, betrachtete mit erheb-
licher, anerzogencr Ehrfurcht die dickbepelzten
Damen und Perren, die in ihren Autos
über den spiegelblanken Asphalt dahinsausten.
Erst bei anbrechender Dunkelheit fand sich
Schiebedanz nach Pause. Er hatte wohl
doch einen etwas schweren Kopf, bald schlief
er ein.
Automatisch wachte er am anderen Morgen
um halbsieben auf. Schon wollte er hastig
in die Posen fahren, als ihm einfiel, daß
er ja dank des Abbaus es gar nicht nötig
habe, so zeitig aufzustehen. Er war ja rest-
los abgebaut. Also mußte er doch wohl
erst versuchen, eine neue Stellung zu er-
halten. Am zehn Ahr ging er hoffnungs-
froh zu Bergmann & Co., Maschinenbau.
Die kannten ihn ja aus seiner alten Stellung,
wußten, was er für ein tüchtiger Arbeiter
war. Perr Bergmann war sehr nett. „Nanu,
Perr Schiebedanz, was führt Sie denn zu
uns?" Schiebedanz erkärte die ihm nicht
ganz angenehmen Vorgänge und erlaubte
sich die bescheidene Anfrage, ob im Pause
Bergmann & Co. nicht für ihn ein Posten
oder wenigstens ein Postchen frei wäre.
Perr Bergmann sah ihn ein wenig erstaunt,
dann belustigt an, sagte schließlich; „Aber
lieber Schiebedanz, Sie sind wirklich naiv!
Im Kunstsalon
Zeichnung von Georg Witte
„Ich möchte ein passendes Äochzeitsgeschenk!"
„Vielleicht ein Gemälde, gnäd'ge Frau?"
„Nein, es soll ein Kunstgegenstand sein!"
Wissen Sie denn nicht, daß jetzt überall
restlos abgebaut wird? Wir sanieren
uns im Abbau, wir leben im Zeitalter des
Abbaus. Die Not der Industrie schreit
zum Pimmel! Die guten Zeiten, wo jeder
von uns am Sonntag sein Luhn im Topf
hatte, sind vorbei. Sehen Sie, ich wollte
mit meiner Familie im Perbst nach Ägypten
fahren, zu dem ollen Tutankamen. Aber
ich habe zu meiner Frau gejagt: „Ottilie,
wir leben in schwerer Zeit, da heißt es
sparen. Nicht nur im Betrieb, sondern
auch an uns. Du wirst mit Italien auch
zufrieden sein." And was soll ich Ihnen
@ ^ f P Zeichnung
o\ U ^ | v von ft. RLisch
der neue englische Premier.
29
sagen? Die Frau war zufrieden! So
bringt eben jeder einzelne von uns
Opfer. Nur nicht den Mut verlieren.
Wird alles einmal wieder anders sein.
Mal rauf, mal runter, wissen Sie,
immer Karussell"
Schiebedanz kroch in sich zusammen.
In seinem Kopf führten die Worte:
Tutankamen, Opfer bringen, rauf
und runter, einen wi!den Tanz auf.
Mühsam fand er sich zum Paus
heraus. Ein wild gewordener Auto-
führer, der seinen Perrn für die längst
fällige Nentenhausse ein wenig zu
schnell zur Börse führte, schrie ihn
an. Schiebedanz hörte nichts. Tutan-
kamen .... Tutankamen . . . .!
Ach wie froh war er, daß er etwas
hatte, wo er sich dran klammern konnte.
Opfer bringen? Ja, das war wohl in
dieser Zeit das wichtigste.
Schiebedanz ging auf einen ihm
entgegenkommenden Perrn zu. Sagte
feierlich zu ihm: „Paben Sie schon
JhrTutankamen-Opfer gebracht?" Der
Perr sah ihn verdutzt an, schob ihn
bei Seite. Kein Mensch schien auf
ihn, den Schiebedanz, hören zu wollen.
Die Welt schien jeder besseren Einsicht
wirklich verschlossen. Schlecht waren die
Menschen, keiner hatte Lust, Opfer zu
bringen.
Ain Potsdainer Platz stieg er auf den
Verkehrsturm zum Schutzmann hinauf.
Fragte ihn, ob er nicht wüßte, daß Opfer
gebracht werden müssen. Er solle sofort
nach Pause gehen und sein Tutankamen-
Opfer bringen! Als aber auch der Re-
präsentant der staatlichen Ordnung nicht
auf ihn hören wollte, tat Schiebedanz das,
was am nächsten Morgen der Chef der
Püttenwerke Knallprotzen und der von der
Firma Bergmann & Co. zu ihrem größten
Erstaunen in ihren Morgenzeitungcn lesen
konnten:
„Am Potsdamer Platz überfiel gestern
nachmittag der stellungslose Büroangestellte
Iosua Schiebedanz in einem Anfall reli-
giösen Wahnsinns den Polizeibeamten
Müller III. Der Beamte war gezwungen,
seine Piebwaffe zu benutzen. Sch. entriß
ihm jedoch diese, warf den Beamten zu
Boden und verletzte ihn durch wilde Stiche
schwer. Dabei rief der Täter gellend, daß
endlich nun ein Opfer gebracht würde, wo-
für es dringend Zeit sei. Perbeieilende
Pilfe brachte den Tobenden in Gewahrsam,
von wo er der Landesirrenanstalt zugeführt
wurde. Die Motive der Tat sind völlig
unerklärlich und dürften es wohl auch
bleiben. Immerhin sind solche Vorkomm-
nisse ein trauriges Zeichen für die geistige
Verwirrtheit der unteren Volksschichten.
Bei dem Schwinden jeglichen Autori-
tätsbegriffs, bei der Demoralisierung in-
folge des republikanischen Gedankens . . .
usw. usw."
Schiebedanz sitzt jetzt in Ruhe in Zelle 53.
Er beschäftigt sich nur noch mit philoso-
phischenProblemen. Vor dem Abbau scheint
er gesichert zu sein.