Die Lauplsache
Es war 1919. In Berlin wurde ein
wenig Krieg gespielt. Ich war S ldat,
denn ich hatte mich freiwillig der Regie-
rung zur Verfügung ge ellt.
Erhöhte Alarmbereitschaft l.ielt uns
dauernd in Atem. Ich hatte zwei Stunden
Wache geschoben und ging in die Kan-
tine. Dort war reger Betrieb. Vorn
an der Tür saß einsam ein alter Kor-
pora!. Ich setzte mich zu ihm. Still
trank er sein Bier und trommelte me-
chanisch mit den Fingern auf der Tisch-
platte.
Ich unterbrach das Schweigen: „Na-
nu, so still und verlassen?"
„Sinnt . . war seine Antwort.
„Woran denken Sie denn?"
„Ick?"
„Ja!"
„An die jute, alte Zeit."
„War die denn so schön?"
„Smm . . . Wissen Sie denn nich,
wat heute los is?"
„Nee!"
„Der Kaiser hat heut Ieburtstach."
„Sooo."
Früher gings an diesem Tage hoch
Neues vom zerstreuten Professor
„Jetzt Hab' ich doch tatsächlich vergessen,
meinen Schirm zu Lause zu lassen!"
her. Da wars ooch noch schön. Da
wurdeTheaterjespielt und festejeschwooft.
Sojar der Oberst machte denn mit. And
Vier jab's — sch net Bier — und janz
umsonst. And jetzt? Nischt is. Schlechtst
Bier, wat man noch bezahlen muß. Aber
det Volk hat 'n ja wechge^agt."
„Aber erlauben Eie mal, der Mann ist
doch ausgekn ffen."
„Det sind Märchen, junger Mann!"
„Nana."
„Schließlich spielt det ja alles keene
Rolle. Aber Freibier hätten wir heute,
Kamerad, Freibier unddetisdieLaupt-
sache!"
Auch eine Antwort
Ein Geistlicher sprach an der Bahre
eines Toten, den er als Gläubigen
rühmte, und kam dabei auch auf die
Macht des Glaubens zu sprechen, der
sogar Tote erwecken könne. Da rief
ihm ein Leidtragender zu: „Versuchen
Sie cs, Ehrwürden! Ich bin ungläubig!"
Worauf der Jesuit die Lände hob und
sagte: „And, sehen Sie, ich bin gläu-
big, und nur dec Angläubige darf Gott
versuchen!"
5) ans Larbeck: Schrift st ellers Schicksalslied
Ich bin ein melancholisches Vehikel
und dufte herzzerreißend nach Benzin.
Ich bin ein überflüssiger Artikel
und rutsche wie ein Bettler auf den Knien.
Ich hänge meine sturmerprobte Larfe
nach dem gerade opportunen Wind.
Ich dien' dem wochcntäglichen Bedarfs
und bin der Zeit gehorsam wie ein Kind.
Einst eiferte ich wett mit den Giganten
als revolutionäres Kraftgcnie.
Jetzt sitz' ich in der Laube bei den Tanten,
und meine Muse singt ihr Tirili.
„Chuzbe"
FeiwelLonigstock ist
als regelmäßiger Be-
sucher der Leipziger
Messe bei der dortigen
Kaufmannschaft sehr
beliebt, weil er große
Einkäufe gegen sofor-
tige Kasse zu machen
pflegt. Störend wirkt
nur der — gelinde ge-
sagt — unangenehme
Geruch, der ihm ent-
strömt und das Ver-
weilen in seiner Nähe
zur Qual macht. Ein
Ladeninhaber, dessen
Stammkunde Lonig-
stock ist, überlegt sich
lange, wie er, schon mit
Rücksicht auf die an-
deren Käufer, diesem
Aebel steuern könne.
Endlich glaubt er ein
geeignetes Mittel ge-
funden zu haben: Er
winkt einemseiner Lehr-
linge und Abt ihm den
strikten Auftrag, sobald
Ä ül s £1 G b C X tll C q 0 Zeichnung von L. Rüsch
X ( ((< \_/ V Y
In seiner neuesten Oper übertrifft der Maestro sich selber: da spielt er persönlich
sämtliche Rollen und Instrumente, inszeniert, dirigiert, dichtet und komponiert,
kurz — er entwickelt sich zu einem ganzen Strauß von Persönlichkeiten!
39
Lonigstock wieder den
Laden betrete, sofort
nach der im ersten Stock
desGeschäftshauses ge-
legenen Privatwoh-
nung zu eilen, dort ein
Fläschchen Kölnisches
Wasser zu holen und es
allen anwesenden Käu-
fern unter die Nase zu
ha ten,um so den schlech-
ten Geruch nach Mög-
lichkeit zu verbessern.
Als der Gefürchtete
bald darauf erscheint,
stürzt der Lehrjunge
gleich nach oben und
kehrt mit der Parfüm-
flasche zurück, die er
allen Versammelten mit
Ausnahme des Lonig-
stock hinreicht. Dieser
sieht zuerst verblüfft,
dann ärgerlich dem zu,
schließlich platzt er los:
„So 'ne Chuzbe! Allen
gibt er zu riechen, bloß
mirnicht! Dabeikommt
die ganze Szimche
(Freude) von mir!"
Es war 1919. In Berlin wurde ein
wenig Krieg gespielt. Ich war S ldat,
denn ich hatte mich freiwillig der Regie-
rung zur Verfügung ge ellt.
Erhöhte Alarmbereitschaft l.ielt uns
dauernd in Atem. Ich hatte zwei Stunden
Wache geschoben und ging in die Kan-
tine. Dort war reger Betrieb. Vorn
an der Tür saß einsam ein alter Kor-
pora!. Ich setzte mich zu ihm. Still
trank er sein Bier und trommelte me-
chanisch mit den Fingern auf der Tisch-
platte.
Ich unterbrach das Schweigen: „Na-
nu, so still und verlassen?"
„Sinnt . . war seine Antwort.
„Woran denken Sie denn?"
„Ick?"
„Ja!"
„An die jute, alte Zeit."
„War die denn so schön?"
„Smm . . . Wissen Sie denn nich,
wat heute los is?"
„Nee!"
„Der Kaiser hat heut Ieburtstach."
„Sooo."
Früher gings an diesem Tage hoch
Neues vom zerstreuten Professor
„Jetzt Hab' ich doch tatsächlich vergessen,
meinen Schirm zu Lause zu lassen!"
her. Da wars ooch noch schön. Da
wurdeTheaterjespielt und festejeschwooft.
Sojar der Oberst machte denn mit. And
Vier jab's — sch net Bier — und janz
umsonst. And jetzt? Nischt is. Schlechtst
Bier, wat man noch bezahlen muß. Aber
det Volk hat 'n ja wechge^agt."
„Aber erlauben Eie mal, der Mann ist
doch ausgekn ffen."
„Det sind Märchen, junger Mann!"
„Nana."
„Schließlich spielt det ja alles keene
Rolle. Aber Freibier hätten wir heute,
Kamerad, Freibier unddetisdieLaupt-
sache!"
Auch eine Antwort
Ein Geistlicher sprach an der Bahre
eines Toten, den er als Gläubigen
rühmte, und kam dabei auch auf die
Macht des Glaubens zu sprechen, der
sogar Tote erwecken könne. Da rief
ihm ein Leidtragender zu: „Versuchen
Sie cs, Ehrwürden! Ich bin ungläubig!"
Worauf der Jesuit die Lände hob und
sagte: „And, sehen Sie, ich bin gläu-
big, und nur dec Angläubige darf Gott
versuchen!"
5) ans Larbeck: Schrift st ellers Schicksalslied
Ich bin ein melancholisches Vehikel
und dufte herzzerreißend nach Benzin.
Ich bin ein überflüssiger Artikel
und rutsche wie ein Bettler auf den Knien.
Ich hänge meine sturmerprobte Larfe
nach dem gerade opportunen Wind.
Ich dien' dem wochcntäglichen Bedarfs
und bin der Zeit gehorsam wie ein Kind.
Einst eiferte ich wett mit den Giganten
als revolutionäres Kraftgcnie.
Jetzt sitz' ich in der Laube bei den Tanten,
und meine Muse singt ihr Tirili.
„Chuzbe"
FeiwelLonigstock ist
als regelmäßiger Be-
sucher der Leipziger
Messe bei der dortigen
Kaufmannschaft sehr
beliebt, weil er große
Einkäufe gegen sofor-
tige Kasse zu machen
pflegt. Störend wirkt
nur der — gelinde ge-
sagt — unangenehme
Geruch, der ihm ent-
strömt und das Ver-
weilen in seiner Nähe
zur Qual macht. Ein
Ladeninhaber, dessen
Stammkunde Lonig-
stock ist, überlegt sich
lange, wie er, schon mit
Rücksicht auf die an-
deren Käufer, diesem
Aebel steuern könne.
Endlich glaubt er ein
geeignetes Mittel ge-
funden zu haben: Er
winkt einemseiner Lehr-
linge und Abt ihm den
strikten Auftrag, sobald
Ä ül s £1 G b C X tll C q 0 Zeichnung von L. Rüsch
X ( ((< \_/ V Y
In seiner neuesten Oper übertrifft der Maestro sich selber: da spielt er persönlich
sämtliche Rollen und Instrumente, inszeniert, dirigiert, dichtet und komponiert,
kurz — er entwickelt sich zu einem ganzen Strauß von Persönlichkeiten!
39
Lonigstock wieder den
Laden betrete, sofort
nach der im ersten Stock
desGeschäftshauses ge-
legenen Privatwoh-
nung zu eilen, dort ein
Fläschchen Kölnisches
Wasser zu holen und es
allen anwesenden Käu-
fern unter die Nase zu
ha ten,um so den schlech-
ten Geruch nach Mög-
lichkeit zu verbessern.
Als der Gefürchtete
bald darauf erscheint,
stürzt der Lehrjunge
gleich nach oben und
kehrt mit der Parfüm-
flasche zurück, die er
allen Versammelten mit
Ausnahme des Lonig-
stock hinreicht. Dieser
sieht zuerst verblüfft,
dann ärgerlich dem zu,
schließlich platzt er los:
„So 'ne Chuzbe! Allen
gibt er zu riechen, bloß
mirnicht! Dabeikommt
die ganze Szimche
(Freude) von mir!"