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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 2.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.8804#0048
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UNTERHALTUNGSBEILAGE DER WOCHENSCHRIFT „LACHEN LINKS“

Adolf Uzarskt / Piefkeshausen

Er schlug seinem Braunen einen aufmun-
ternden L>ieb aus das breite Linierquartier
und fuhr, von Lein Möllmann mit bewun-
dernden und sehnsüchtigen Blicken bis zur
letzten Ecke verfolgt, über den Bahnhofsplatz
in die Viktoriastraße.-

Es regnete lange Bindfaden. Sie peitschten
dem Anbekannten ins Gesicht, spritzen ihm
vom Lut des Lerrn Knöllecke und von allen
Wagenteilen auf den schönen karrierten Sport-
paletot, liefen ihm kalt vom Lals den Rücken
hinunter und sammelten sich in seinen
Schuhen zu kleinen Wasserlachen.
Quitschend und spritzend holperte der
Wagen durch dieViktoriastraße, über-
querte den Kaiser-Wilhelm-Platz
und bog in die Kronprinzenstraße ein.
Mißmutig ließ der Braune mit
knarrendem Grollen einige trockene
Aepfel in die Nässe fallen, zu-
sammengeduckt saß Lerr Knöllecke und
suchte nach den letzten Gründen, um
seinen Lohn auf eine einzigdastehende
Löhe zu bringen, hier und da ver-
schoben sich hinter den Fenstern die
Gardinen, den Piefkeshausener Bür-
gern und Bürgerinnen Raum gebend,
die kopfschüttelnd und von kaum zu dämmen-
derReugier geplagt der merkwürdigen Wagen-
fahrt und dem noch merkwürdigeren Lerrn
nachsahen, der sich in vornehmster Laltung
und mit gleichmütigstem Gesicht durch den
unaufhörlichen Regen fahren ließ.

Lerr Knöllecke fuhr durch die Kronprinzen-
straße, auch noch durch die kaum noch als
Lauptstraße anzusprechende Prinz-Leinrich-
Straße, hielt dann vor Pillewind's LotA
undsagte: „So! Daswaren dieLauptstraßen!"

Lerr Pillewind kam eigenhändig mit einem
Regenschirm auf die Straße gelaufen, machte
eine tiefe Verbeugung (denn auch seine Gäste
kamen nie in einer Droschke, obwohl er der
vornehmste Gasthof von Piefkeshausen war),

riß eifrig den Kutsche.nschlag auf— —---

„Fahren Sie dasselbe noch einmal!" sagte
der Fremde, winkte Lerrn Pillewind ein
wohlwollendes „Nachher, nachher!" zu, schlug
die Beine übereinander und lehnte sich groß-
artig in die vollgesogenen Polster zurück. —

Lerr Knöllecke warf Lerrn Pillewind einen
vielsagenden Blick zu, gab seinem Braunen
einen Schlag, der für ein ganzes Lippodrom
ausgereicht hätte und fuhr dann die Prinz-
Leinrich-Straße wieder zurück zur Kron-
prinzenstraße. -Die bis hierhin so gut-

herzige Leserin und der nur selten kritische
Leser werden gewiß mit Lesen innehalterp
vielleicht sogar (was sehr bedauerlich wäreß
das Buch ärgerlich zuklappen, und ausrusen:
So ein Blödsinn! — Wenn dieser Verfasser
Sowieso (oder wie er heißt) nichts Vernünf-
tiges schreiben kann, sollte er lieber was
anderes tun! — Lat man jemals gehört —
- - - - — — Lier hakt der Verfasser ein:
Eben, meine Lerrschasten. wenn alle Leute
bei strömendem Regen in einer Droschke spa-
zierenfahren würden, wäre es höchst lächerlich,

davon zu reden, es sogar drucken zu lassen.
Liber hier ist etwas nie Gehörtes und darum
erzählt es der Verfasser. Zwar weiß er selbst
noch nicht, warum dieser merkwürdige Lerr
so merkwürdig ist, aber er hofft, es beim
Weiterschreiben herauszubringen und dann
mitteilen zu können. Sollte sich im weiteren
Verlauf der Fremde als ein armer Blöd-
sinniger Herausstellen, so ist immer noch Zeit,

die dann nutzlose Arbeit-da es soviel

Blödsinnige gibt, daß über sie zu schreiben

mehr als Blödsinn wäre-abzubrechen

und die zum Glück erst wenigen Seiten zu
den übrigen wertlosen Schreibversuchen des
Verfassers zu legen. Als der Wagen zum
zweiten Male die Kronprinzenstraße durchfuhr,
hatte das Gerücht von dem seltsamen Fremden
die vorherige regnerische Einsamkeit und Leere
durch Gruppen von Piefkeshausenern ersetzt,
die an Ecken und in Lauseingängen, das Er-
eignis lebhaft diskutierend, herumstanden.
Fenster öffneten sich, überall tauchten Schirme
auf, erstaunte und neugierige Zurufe schwirr-
ten über dieStraße-es wurdelebendig.—

Links und rechts auf den Trottoirs versuchten
rüstige Damen und Lerren mit dem Wagen
Schritt zu halten und machten manchmal pos-
sierliche Sprünge, um nicht zurückzubleiben;
langsamere Nachzügler trippelten hinterher,
Klügere kehrten um und gingen zu Pillewinds
Lotel, um dort bei einem Glase Bier das
Ereignis zu besprechen und die spätere An-
kunft des Fremden trocken abzuwarten; die
Damen im ersten Stock und Dienstmädchen
im Dachfenster bewunderten mit klopfendem

3. Fortsetzung.
Lerzen und bedauerten gleichzeitig den vor-
beifahrenden, hübschen jungen Mann, und
ein Schwarm von viertel- und halbwüchsigen
Jungen unter der Führung Lein Möllmanns
lief wie der zusammengeknäulte Schwanz eines
Windvogels hinter dem Wagen her. Immer
größer wurde die Schar der Neugierigen.
Auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz herrschte schon
ein Verkehr wie nur an Sonntagen während
der Kirche; als der Wagen in die Viktoria-
straße einbog, kamen ihm Dutzende von schirm-
bewaffneten Leuten entgegen.-

„Schneller!" sagte der Fremde. Lerr
Knöllecke knallte dem Braunen ein
paar Kräftige über, und fuhr zurück
zu Pillewind's Lotel. —

Die halbe Stadt hatte sich hier ver-
sammelt. Schirm an Schirm standen
die Leute, jung und alt, um den
merkwürdigen Lerrn zu sehen, und
Lerr Pillewind hatte Mühe genug,
sich durchzudrängeln und mit Lilse
von Lerrn Wachtmeister Allenkamp
eine Gasse für den Gast freizu-
machen. —

Mit einem bei dem Sauwetter
immerhin zu lobenden eleganten
Bogen und Peitschenknall fuhr Lerr Knöllecke
an Pillewind's Lotel vor und hielt hier
mit einem so schneidigen Ruck, daß dem
plötzlich zurückgezerrten Braunen einige
höchst mißbilligend knarzende Töne ent-
fuhren. — Lerr Pillewind riß mit mehr
Glück als vor zwanzig Minuten den Wa-
genschlag auf, nahm mit eigener Land den
triefenden Koffer und machte eine Verbeugung
nach der andern mit „Bittesehr" und „Bitte-
schön". —

„Zahlen Sie dem Mann seinen Lohn und
setzten Sie es mir auf die Rechnung!" —
sagte mit großartiger Landbewegung der
Fremde, sah sich kurz ringsum und ging dann
durch die sich drängende Menge und an dem
auf der Treppe schweifwedelnden Oberkellner
vorbei in das Lotel. — —-

Viertes Kapitel
Pillewind's Lotel

„Geben Sie mir ein Apartemang!" sagte
der seine Gast, als eine halbe Minute später
Herr Pillewind eilfertig nachgestolpert kam.

„Unser bestes Zimmer, sofort!" — dienerte
Lerr Pillewind. „Kein Zimmer, ein Apar-
temang!" verbesserte der Fremde mit Be-
tonung. „Schlafzimmer, Wohnzimmer und
Empfangszimmer-und natürlich Bade-

zimmer!" fügte er hinzu. —

Lerrn Pillewind ging beinahe der sowieso
schon etwas prustende Atem aus — „Ja —

— natürlich-- ein Apartemang", stotterte

er, „gewiß — — das heißt-wir sind

so im Moment nicht darauf eingerichtet-

so selten-entschuldigen Sie!-aber

vielleicht — — wenn Sie sich diese Nacht
mit unserem besten Zimmer bequemen wollten
-wir werden dann morgen früh-

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