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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 2.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.8804#0067
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Vielwich tigerals Köln amRhein
Wird immer diePartei uns seinl
5 9l!t.

Szene: Die Wandelgänge des Reichstags.

Zeit: Rach acht Monaten weiterer volks-
parteilicher Regierungskrisen.

Abgeordneter Stresemann irrt, alle Zeichen
geistiger Verwirrung im Antlitz, händeringend
durch die Gange. (Vergleiche König Lear!)

Stresemann: Run schwand die Zeit,
Einsam über die Leide. sda muß ich gehn
Run werden sie, was planlos ist geschehen,
Weitsehend planvoll mir zusammenknüpfen,
Lind eine Klage furchtbar draus bereiten.
Dagegen ich verstummen muß. So Hab' ich
Im eignen Retz verderblich mich verstrickt,
Lind jetzt nur noch, gequält vom Strahl des

(Lichts,

Matt, trostlos, reulos starr' ich in das Nichts.
(Die Lände unter lauten Klagerufen zur
Decke erhebend:)

Das Hab' ich von der Krisenmacherei,
Blamoren ist die Deutsche Volkspartei.

Die größte Krise fängt im Schädel an.

Weil ich vor Krisen nicht mehr weiter kann,
Bei mir, dem großen Gustav Stresemann!
Echo (verhallend) Bei mir — offen Gustav
Stresemann ....

(Anter dem Wehgejwrei der Parteifreunde
fällt der Vorhang. Allgemeine Bestürzung.)

F i n i s.

Geisterstunde

Der bedeutende Politiker Berthold Stulle
saß nächtens vor seinem Diplomatenschreib-
tisch und war im Begriff, mit einem Leit-
artikel niederzukommen, in dem er nach tief-
schürfenden Überlegungen zu dem Ergebnis

kam, daß-ein knackendes Geräusch

unterbrach ihn. Er drehte sich um. Ein Geist
stand im Zimmer und verbeugte sich. Worauf
Stulle mit gewohnter Verve unter dem
Schreibtisch verschwand. Es entwickelte sich
folgender Dialog:

Geist: Guten Abend! Ich sehe Sie mit
einiger Berechtigung erschrecken, denn Geist-
Erscheinungen kommen unter nationalen
Politikern im allgemeinen nicht vor. Aber
fürchten Sie sich nicht. Ich bin der Geist,
der Ihre Politik ins Buch der Weltge-
schichte schreibt.

Stulle: (kommt mit gewohnter
Verve wieder hervor) Ah, dann
sind Sie wohl der Geist
unserer Politik?

Geist: Nein, ein Paradoxon bin ich nicht.
Ich wollte mich nur mal informieren über
einige Morde und Verleumdungen . . .

Stulle: hausieren Sie auch mit diesen
jüdischen Phrasen?

Geist (höflich): Ich vernehme mit Inter-
esse Ihren Fachausdruck für Tatsachen.
Aber würden Sie mir meine Fragen —

Stulle: Was Sie einen Mord nennen,
das ist eine Exekution an einem Verbrecher!

Geist: Endlich eine wirklich humane Exe-
kution. Denn sie setzt die Verbrecher instand,
ein idyllisches Dasein im Ausland zu führen.

Stulle: Vaterländische Belange! Be-
greifen Sie denn nicht das hohe Wesen des
Patriotismus?

Geist: Entschuldigen bitte! Leider tticht.
Sie müssen bedenken, ich bin ein Geist.

Stulle: Aber Sie sehen doch ein, daß es
vollkommen undeutsch ist, wenn ein Sattler-
geselle an der Spitze des Reiches steht.

Geist: Das ist klar. Kein Mensch hat es
je für möglich gehalten, daß Deutschland noch
einmal soweit kommen würde: Bei Tape-
ziergehilfen ist das natürlich >twas anderes.
Das war von je der Beruf, aus dem sich
die bedeutendsten Staatsmänner rekrutierten.
Cäsar, Talleyrand, Cicero, Richelieu, Pe-
rikles, Oxenstjerna waren alles Tapezier-
gehilfen. Die ganze Weltgeschichte ist
sozusagen ein einziges Tapiffoir.

Stulle: Sehr richtig! (Wärmer)

Sie haben einfach fabelhafte Ideen.

Bitte nehmen Sie doch 'n Kognak! —

Laben Sie nicht mal ein paar Ideen übrig?
Das ist nämlich das einzige, was uns fehlt.

Geist: And ob!

Stulle: Wir haben zwar ein
paar erstklassige Parteidevisen
(öffnet einen Schran!), sym-
bolisiert durch diese Statu-
etten hier (greift hinein).

Sehen Sie hier z.

B. „Dergerade
Charakter".

Geist: Aber der sieht ja wie 'n Korken-
zieher aus?

Stulle: Interessante Auffassung! Die
Gestalt hat er bekommen durch seine Art,
jich aus denMordprozeffen herauszuwinden.
Ferner hier (greift wieder hinein) den „stäh-
lernen Mannesmui". Edel wie der Name,
was?

Geist: 'n bißchen komische Beine hat er.

Stulle: Ehrennarben! Die Beine hat
er sich beim Schuellauf an der schwedischen
Grenze gebrochen. Aber die Schweden haben
ihm bald wieder welche gemacht.

Geist: And dann hat er ja gar keinen
Kopf mehr?

Stulle: Naturalismus! Lat doch nie
einen gehabt!

Geist: Was liegt denn dafüreinSchnitt-
musterbogen?

Stulle: Schnittmusterbogen? Wo? Ach
das! Das sind doch „nationaleIdeengänge",
ein Fridolinspiel für Kinder bis zu 70Iahren
lind darüber. Wer eine Idee bis zum Ende
herausfinden kann, wird Minister.

Zeichnung von Herbert Anger

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