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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 2.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.8804#0072
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UNTERHALTUNGSBEILAGE DER WOCHENSCHRIFT „LACHEN LINKS"

Adolf Uzarski / Ptcfkcshausen

„0 Gott!" schrie Frau Pillewind und sank
auf einen Stuhl.

„Pastetchen, Luhn, Käse und eine Flasche
Sekt!" —

„Wo soll ich das denn Herkriegen?" jam-
merte Frau Pillewind, „jetzt, so in 'ner hal-
ben Stunde? — — Jean, achte aus dem
Büffeh!" und watschelte mit „O Gott, o Gott"
in die Küche. —

Die soeben noch so große Stille hatte sich
mit einem Schlage in ihr Gegenteil verkehrt.
Alles schrie aufgeregt durcheinander, überall

saßen mit zusammengestecktenKöpfenGruppen,

die das seltene Ereignis von allen erdenk-
lichen Seiten beleuchteten, stolz ging Lerr
Pillewind von Tisch zu Tisch. •— Langsam
lichteten sich dann die Reihen und gegen halb
elf verschwanden die letzten Gäste, um ihren
sehnsüchtig harrenden Familien mitvonPille-
wind's gutem Bier schweren Zungen von
dem Lerrn Baron, dem Apartement und dem
vornehmen Abendessen zu erzählen

Als mitten in der Nacht, nachdem Frau
Pillewind als letztes mit von der Bügelhitze
rotheißem Kopf den Anzug des Lerrn Baron
von Klingelpütz in die ihm gebührende ele-
gante Form zurückgebügelt hatte, das Ehe-
paar sich zum wohlverdienten Schlummer zu-
rückzog, legte Lerr Pillewind auf der Treppe
zärtlich seine breite Land auf die pompös
ausladende Rückenverlängerung seiner braven
Gattin und flüsterte: „Weißt du, Matchen^
wenn der Lerr Baron lange hier bleibt,
machen wir in der schlechten Zeit nächstes
Jahr unsere Bude zu und gehen zwei Monate
nach Borkum oder an die Riviära!" —

Fünftes Kapitel
Bekanntschaften

Am andern Morgen gegen zehn Ahr steckte
Lerr Baron Edgar von Klingelpütz seinen
Kops zur Tür hinaus und rief: „Franz!" —

Franz lief, so schnell seine alten Kellner-
beine das erlaubten, die Treppe hinunter,
hängte sich in der Küche vorsiwtig den neu-
gebügelten Anzug über den Arm, stolperte
die Treppe wieder hinauf und warf einen
schnellen Blick durch des Lerrn Baron
Schlüsselloch, bevor er eintrat. —

Der Lerr Baron hatte sich wieder ins Bett
gelegt, gähnte zweimal, wobei er ein fortge-
setztes „hu hu hu hu" ausstieß, und fragte
dann: „Was ist denn das in aller Lerrgotts-
srühe schon für'n Spektakel?"

„Wir machen denAbortmangzurecht!" sagte
Franz und hängte den Anzug über den Stuhl. —

„So!-hu hu hu —" gähnte Lerr von

Klingelpütz zum dritten Mal, „na also!-

Bringen Sie mir heißes Wasser zum Ra-
siereil und in einer halben Stunde ein an-

fiänd'ges Frühstück •-Kakao, Brötchen,

Butter, Ausschnitt und zwei Spiegeleier!"

„Jawohl, Lerr Baron!" sagte Franz, flü-
sterte nebenan, „er sagt, wir sollen feinen
solchen Spektakel machen," und holperte nach
unten. —

Lerr und Frau Pillewind richteten schon
seit dem frühen Morgen das Apartement ein.
Ächzend und nicht wenig schwitzend schassten
sie die Möbel aus ihren im zweiten Stock ge-
legenen Privaträumen die Treppe hinunter
in die für das Apartement vorgesehenen
Zimmer, wobei Lerr Pillewind immer wieder
betonte, daß man für eine solche Arbeit „gut
gefrühstückt" haben müsse. — Die schweren
Möbel, wie das Bertikow, den Ausziehtisch,
den flandrischen Sofaumbau und den Wasch-
tisch mit der echten Marmorplatte hatten sie
schon mit Franz hinuntergeschafft und alles
war gut gegangen bis auf das Bertikow,
dessen Muschelaufsatz leider auf der Treppe
abgebrochen war. Lange hatte man hin und
her überlegt, ob man auch das Klavier hin-
unterbringen sollte, war aber schließlich doch
davon abgekommen, weil Frau Pillewind
meinte, der Lerr Baron würde sicher nur
auf einem Flügel spielen. — Fetzt trugen sie
die kleineren Möbel, Ausstattungsstücke und
Bilder hinein und die sorgsame Wirtin über-
legte mit tiefsinnig verkniffenem Gesicht, wie
man das alles nun zu einein möglichst vor-
nehmen Gesamteindruck zurechtbauen könne.

„Es ist nur gut," sagte sie, „daß wir neben-
an das Badezimmer habeil. Den Adee können
wir ihm natürlich nicht herausschaffen, aber
vornehme Lerrschaften haben das immer zu-
sammen und er braucht dann auch nicht so
weit die Treppe herunter zu lausen." —

Als Franz das heiße Rasierwasser brachte,
war LerrBaron von Klingelpütz aufgestanden,
saß in seinem blauseidenen Pyjama vor dem
Spiegel und untersuchte sein Gesicht nach
Pickeln. „Schön," nickte er, schlug ein hübsches
Näpfchen voll Seifenschaum und begann sich
sorgfältig zu rasieren, wobei er seine fleischige
Zunge gegen die Backen und unter die Lippen
drückte und die bekannten komischen Gesichter
schnitt. Dann zog er seinen Pyjama aus,
wusch sich prustend und stöhnend von oben
bis unten, rieb sich ab, bis er aussah wie ein
gesottener Krebs, war lange mit dem Kämmen
und Pomadisieren seines Laares beschäftigt,
putzte seiil gesundes Gebiß und gurgelte mit
zurückgelegtem Kopf, lvobei er zu seiner ei-

3. Fortsetzung,
genen Erheiterung sämtliche Stufen der Ton-
leiter tremolierend erklingen ließ, zog zwischen-
durch ein hübschgeblümtes Lemd, Strümpfe
und die von Franz spiegelblank gewichsten
Stiesel an, suchte lange nach einem passenden
Schlips, besprenkelte sein Taschentuch mit zwei
Tropfen „Jockey-Club" und besah sich endlich,
als Franz nach genau einer halben Stunde
das Frühstück auf den Tisch setzte, wohlge-
fällig im Spiegel, der das Bild eines voll-
kommenen und überaus angenehm duftenden
Gentleman mit glitzerndem Vergnügen zurück-
warf. —

Nachdem Lerr Baron von Klingelpütz mit
beneidenswertem Appetit vier Brötchen und
ein halbes Pfund Aufschnitt gegessen hatte
und sich eben anschickte, mit Lilfe von zwei
weiteren Brötchen die beiden Spiegeleier Nach-
folgen zu lassen, erlaubte sich Lerr Pillewind,
mit vielen ergebensten Kratzfüßen nach dem
werten Befinden des Lerrn Baron und wie
er geschlafen habe zu erkundigen. —

„Danke, mein Lieber!" nickte gnädig Lerr
von Klingelpütz und ließ mit einem gedickten
Schwupp das erste Spiegelei in sich Hinunter-
gleiten, „danke, es ging!" —

„Ich hoffe", sagteLerr Pillewind, „daß wir
den Lerrn Baron heute morgen nicht gestört

haben-wir haben nämlich das Aparte-

mang-"

„Schön!" unterbrach der Lerr Baron die
vorgehabte längere Erklärung, „bringen Sie
mir doch mal die Zeitung von heute!" —

Lerr Pillewind lief auf den Flur, schrie

„Franz, die Zeitung von heute morgen •-

schnell!" nahm dem heraufstolpernden Franz
das „Piefkeshausener Echo" ab und trug es
eigenhändig zu seinem vornehmen Gast. Es
juckte ihn, mit einem wirklichen Baron wie
mit seinesgleichen plaudern zu können, und
da er es überhaupt für seine Pflicht hielt,
seine Gaste geschickt zu unterhalten, nahm er
die Zeitung als den gegebenen Anknüpfungs-
punkt und begann: „Mit unserer Politik, das
ist doch wirklich furchtbar traurig. Wenn ich
da an früher denke, wo wir noch die tüchtigen
adligen"-

„Ich esse heute mittag unten! — Sorgen
Sie bitte für 'n seines Menu!" sagte Lerr
von Klingelpütz und legte sich mit der Zeitung
und einer Zigarette auf das Sofa, ohne von
Pillewind weiter Notiz zu nehmen. — Der
blieb einige Sekunden nach Luft schnappend
stehen, quetschte endlich ein tiefuntertäniges
„Zu Befehl, Lerr Baron!" heraus und ver-
ließ dann aus den Fußspitzen das Zimmer. —
„Matchen," sagte er nebenan zu seiner Gattin,
die damit beschäftigt war, einen geeigneten
Platz für eine hübsche gipserne Nachbildung
des Niederwalddenkmals zu suchen, „Malchen,
er ist furchtbar stolz! — Aber das freut einen
doch — woran sollte man sonst so ganz vor-
nehme Lerrschaften erkennen!?" —

Lerr Baron Edgar von Klingelpütz schien
für den politischen Teil des „Piefkeshausener
Echo" kein besonderes Interesse zu haben. Er
überflog mit gelangweiltem Gesicht die erste

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