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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 2.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.8804#0100
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UNTERHALTUNGSBEILAGE DER WOCHENSCHRIFT „LACHEN LINKS'

Adolf Uzarskt / Pieskeshausen

Er, Kuhbach, getraue sich wohl, einen guten
Walzer von einem schlechten zu unterscheiden,
vielleicht auch Polka und Kreuzpolka — — und
so ginge es übrigens den anderen Lerren

auch — — aber in den modernen Tänzen-

und die Jugend bevorzuge nun einmal diese
Tänze, obwohl er vom Standpunkt des Pä-
dagegen und als tiesinnerlich sittlicher Mensch
bei manchen dieser Tänze — — er wolle
nicht sagen, bei allen — — doch lebhafte
Bedenken-

„Das mache ich!" erklärte mit Begeisterung
Lerr von Klingelpütz, „verlassen Sie sich da

ganz auf mich-ich werde Ihnen da

ein paar Tänze hinlegen-!! — na, Sie

werden staunen!-Kennen Sie Shimmy?"—

Lerr Oberlehrer Dr. Kuhbach bedauerte
sehr, die Bekanntschaft dieses Lerrn —-

„Es ist der neueste Tanz!" erklärte Lerr
von Klingelpütz. „Warten Sie mal, ich werde
Ihnen mal die erste Figur vortanzen!" stand
auf, rückte einige Stühle weg und begann
nach der gesungenen Melodie: „Terämtäm-
tämtätätemtämtämtämtä"-mit den merk-

würdigsten Bewegungen nach vor- und rück-
wärts zu schreiten, in die Knie zu sinken,
die Arme zu schwenken, seinen Körper nach
links und rechts, nach vorne und hinten zu
werfen — —-

Stumm und von soviel Eleganz und Liebens-
würdigkeit vollständig benommen, saßen die
drei Lerren da, und der Verfasser sindet,
daß er dieses Kapitel gar nicht besser schließen
kann.--

Sechstes Kapitel
Aufregungen

Wie ein Kriegsgerücht — — um den ab-
geklapperten Vergleich mit dem Lauffeuer
nicht zu gebrauchen-wie ein Kriegs-

gerücht liefen dank der Letzerschen Diskretion
und den begeisterten Berichten der Lerren
Schmitz-Pustkuchen, Kuhbach und Meinecke
mit unverständlicher Schnelligkeit die erstaun-
lichsten Nachrichten durch ganz Piefkeshausen,
machten, von phantasievollen Damen ausge-
schmückt und mit mancherlei Zutaten behängt,
den Lerrn Baron zu einem Prinzen, wußten
merkwürdige Dinge von einem Staatsgeheim-
nis und einer verhängsnisvollen Frau aus
allerhöchsten Kreisen zu erzählen, und daß
hinter all diesem eine ganz große und jeden-
falls ebenso interessante wie pikante Affäre

stecke, und brachten eine hochgradige Auf-
regung in die Stadt, wie sie in dem sonst so
ruhigen Piefkeshausen nie, auch nicht von den
ältesten Leuten, gesehen worden war. —
Zwar platzte am nächsten Tage zum Leid-
wesen verschiedener Leute die Mehrzahl dieser
Riesenballone, aber was übrig blieb, war,
wenn auch nicht mehr so geheimnisvoll, jeden-
falls so außerordentlich erfreulich und schmei-
chelhaft für Pieskeshausen und seine Ein-
wohner, daß die Aufregung nicht um ein Laar
geringer wurde, im Gegenteil, je näher das
Stiftungsfest rückte, immer höher stieg. Man
muß aber auch mit Recht fragen, ob es etwas
Aufregenderes geben kann, wie das Zusammen-
treffen folgender Tatsachen: 1. eines Barons,
der dazu 2. auch noch eine Frau sucht, 3. eines
Stiftungsfestes, bei dem 4. dieser Lerr Baron
höchstselbst zugegen sein wird, 5. eines Tanz-
tourniers, bei dem 6. derselbe Lerr Baron
wiederum höchstselbst den Preisrichter machen
wird!! — Wirklich, das übertraf alles, was
junge Damen sich in ihren verstiegendsten
Träumereien ausmalen konnten, und man kann

sich deshalb-den reizenden Leserinnen

wird das am wenigsten Schwierigkeiten machen

— — einigermaßen vorstellen, wie es in
Piefkeshausen an den beiden Tagen bis zum
Stiftungsfest zuging. Die Anmeldungen und
Gesuche um Erwerbung der Mitgliedschaft
liefen beim Vorstand der Gesellschaft „Sozie-
tät" so überzahlreich ein, daß er sich gezwungen
sah, im lokalen Teil des „Pieskeshausener
Echo" eine Notiz zu veröffentlichen, worin er

erklärte, daß er sich außerstande
sähe, nach den bestehenden Sat-
zungen weitere Mitglieder aufzu-
nehmen. Das sozialdemokratische
„Volksblatt" scheute sich leider
nicht, einen verhetzenden Artikel
gegen diese Notiz zu bringen, in
dem es den § 4 der Satzungen:
„Mitglieder werden können nur
solche Personen, die infolge
ihres Bildungsganges und ihrer
bürgerlichen Stellung vom Vor-
stand der Generalversammlung
vorgeschlagen werden können"
mitteilte und daran einige sehr
gehässige Bemerkungen knüpfte, die in keiner
Weise geeignet waren, die in Pieskeshausen
sowieso stark herrschenden Gegensätze und
die Gemüter der „infolge ihres Bildungs-
ganges und ihrer bürgerlichen Stellung"
nicht in Frage Kommenden zu beruhigen. —
Lerr Tanzlehrer Leichentritt (der seinem
Namen, wo er konnte, noch ein t einflickte),
wußte kaum noch, wo ihm der Kopf stand.
Wie ein irrsinnig gewordenes Quecksilber-
männchen lies er durch die Reihen der Damen,
schrie sich heiser und hopste immer wieder die
ersten vier Schritte eines Foxtrott oderBoston.

— „Jawohl, meine Damen," krächzte er und
fuhr sich verzweifelt über die Glatze, „jawohl,
so ist es! — Das ganze Jahr annonciert man

— — — also nochmal von vorne: eins, zwei

und drei, so das linke Bein-eins, zwei

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7. Fortsetzung.

und drei-den rechten Fuß nach hinten

schleifen-und niemand meldet sich!

— Jetzt wollen die Damen in zwei Tagen

Foxtrott und Shimmy lernen-— eins

zwei und drei •-zwei Schritte vor, einen

zurück-eins, zwei und drei — — —

ich habe nur einen Verstand —-jetzt eine

viertelPirouette-und nur zwei Beine!

— -halt, das Ganze nochmal von vorne

— -da ist es unmöglich, in so kurzer Zeit

-also: eins, zwei und drei-so

das linke Bein-wo gerade diese Tänze

so sehr schwer sind — — — eins, zwei und
drei, den rechten Fuß nach hinten schleifen

-eins, zwei und drei — —" — Die Damen

schwitzten und hatten alle Mühe, nur über-
haupt in der Balance zu b!eiben. Mütter,
deren Alter und etwas aus derFacon geratene
Figuren es kaum erlaubten, sich diesen gewiß
reizenden, aber doch eben nur in jüngeren
Jahren kleidsamen Verrenkungen preiszuge-
ben, hüpften einträchtig mit ihren Töchtern
herum; junge Mädchen, denen es unendliche
Schwierigkeiten zu machen schien, rechts und
links, vorne und hinten nicht zu verwechseln,
quälten sich krampfhaft, einige Grazie in ihre
Bewegungen zu legen; alle aber hatten den
festen Willen, vor dem Tanztournier und
ihrem hochgeborenen Preisrichter mit Ehren
zu bestehen. —

Draußen im Vorsälchen saß schon die zweite
Abteilung und wartete auf ihre Stunde. An-
geduldig schaukelten die Damen mit den
Beinen, trippelten aufgeregt mit den Füßen,
tauschten anzügliche Bemerkungen über ihre
sich drinnen mühenden Genossinnen aus, wenn
die krächzende Verzweiflung des Lerrn Leichen-
tritt sich in überlauten Tönen Lust machte,
und waren eine wie die andere überzeugt,
daß keine die Sache so leicht begreifen würde
wie sie selbst. —

Die Toilettenfrage war, wie immer und
hier ganz besonders, ein Kapitel für sich. Junge
Damen, deren Verhalten ihren Eltern bisher
kaum Anlaß zu Klagen gegeben hatte, waren
plötzlich wie vom Teufel besessen und brachten
ihre bemitleidenswerten Angehörigen an
den Rand der vollkommensten Verzweiflung.
Das niedliche, immer mit Stolz getragene
weiße Ballkleid war plötzlich nicht mehr
gut genug und wurde schimpfend in die Ecke
geworfen; die reizenden Schühchen wurden
mit Namen bedacht, wie sie wohl für die aus-
getretenen Latschen eines Landstreichers passen
mochten, und die Armbänder, die Lalsketten
waren „ordinär, ärmlich, etwas für Dienst-
mädchen" usw. — —

Junge Frauen, deren Stolz es bisher ge-
wesen war, ihre nichtverheirateten Freun-
dinnen aus ihr Verheiratetsein neidisch zu
machen, setzten nun auf einmal alles daran, den
jetzt zum ersten Male mit wirklichem Be-
dauern empfundenen Verlust ihrer Jungfräu-
lichkeit als nicht geschehen vorzutäuschen.--

Mütter, die bisher zufrieden gewesen waren,
dem Glück und der Jugend ihrer Töchter halb
mit Wehmut, halb mit Stolz zuzusehen, be-
 
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