Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lachen links: das republikanische Witzblatt — 2.1925

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8804#0259
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
die Beilage mit dem Feuilleton, das die be-
lehrenden Aufsätze enthielt. Sie stopften
ylächtig. Lange hatte er daran zu knibbern.

Aber dann war es soweit.

Der Ziegenbock, also politisiert, benahm
sich plötzlich streng nach völkischer Vorschrift.
Er stellte sich auf die Hinterbeine und stieß
Laute aus, ^>ie sich zwar etwas unbeholfen
anhörten. Aber man erkannte das „Heil!
Heil!" der Innung wieder. Dann hieb er
mit den Hörnern in die Luft, schlug mit den
Hufen gravitätisch und trainierte sich all-
mählich zum brauchbaren Mitglied der völ-
kischen Partei heran.

Nach hundert theoretischen Stößen trabte
er kriegerisch davon. Auf das nahe Garten-
restaurant batte er's abgesehn, wo die Früh-
lingSgäfte bei Beefsteak mit Kartoffelsalat
saßen.

Gottverflucht, was machte er für Augen,
als er den Tischen nahe kam. Es saßen viel
semitische Gäste da. Zuerst stiegen ihm
Zweifel auf, ob er'S allein schaffen werde.
Versuchsweise trabte er an den erstbesten
Tisch und trieb diverse Bäuche ein. Einen
jüdischen Herrn im Kneifer, der sich beim
Ober beschweren wollte, bekam er am Hosen-
boden zu fasten und riß ihn der Länge nach
auf, daß das Gesäß herauskam.

Das half schon mächtig. Panikartig
flüchtete man teils in den Saal, teils auf
die Bäume oder anders wohin.

Vor einigen jüdischen Herrschaften blieb
die Ziege stehen und machte mit Anmut
schön. Das waren allem Anschein nach ge-
taufte Juden. Sie riefen „Bravo!" und
forderten den Bock auf, eingeschriebenes
Mitglied der völkischen Partei zu werden.

Nun kam der' Wirt mit barschen Schrit-
ten auf mich zu: „Was haben Sie denn

mit dem Tier gemacht? — Wir haben Sie
wohl beobachtet."

Ich leugnete, mit dem Tier irgend was
gemacht zu haben und forderte vom Wirt
ein neues Exemplar des „Mannhaften".

„Er hat es mir aus der Hand gefressen",
sagte ich.

„Sie sind wohl ganz und gar toll", be-
hauptete der Wirt. „Was war denn in der
Zeitung drin?"

„Das kann ich Ihnen nicht sagen. — Ich
wollte ja erst zu lesen anfangen." Ich gab
dem Wirt schonungslos zu verstehen, daß
sein Ziegenbock völkische Gebräuche ange-
nommen habe.

Der Wirt war nicht so beglückt, wie ich
erwartet hatte. „Sehn Sie denn nicht, daß
ich hauptsächlich auf jüdische Gäste zu rech-
nen habe?" schrie er mich an.

Ob ich es sah. Ich machte ihm rasch einen
plausiblen Vorschlag.

„Gestatten Sie, daß ich ihm dieses Blatt
zu freffen gebe?" Ich zog eine noch unver-

sehrte Zeitung aus der Tasche. „Das ist eine
garantiert demokratische Zeitung. Wenn er
die aufhat, wird er keinem Juden mehr zu
Leibe gehen. Er wird dann überhaupt nie-
mand mehr zu Leibe gehen. — Sie wissen
doch, die Demokraten — — —"

Da traten die getauften Juden von vorhin
dazwischen und riefen wie toll:

„Ausgeschlossen — sowas gibt's nicht.
Wir protestieren im Namen des deutschen
Geistes!"

Dann nahm einer von ihnen das Wort:
„WaS wollen Sie für den Bock haben? Wir
sind Mitglieder der Hakenkreuzgilde, GauZ6.
Wir haben in unserm Bezirk keinen ein-
zigen vernünftigen Führer. Verkaufen Sie
uns das Tier, ja?"

Der Wirt machte das dümmste Gesicht,
dessen ein Mensch fähig ist.

Als Antwort legte er den Bock in Ketten.
Der tobte ungemein. — -

„Einen Augenblick, mein Herr." Der
Wirt wandte sich plötzlich an mich. Er
schwabble über vor Liebenswürdigkeit.
„Darf ich Sie mal ans Büfett bitten."

Ich ging ans Büfett. Vorher aber
flüsterte ich den getauften Juden zu: „War-
ten Sie eine Sekunde. Ich kann Ihnen
einen vernünftigen Führer verschaffen. Was
sage ich: einen? — Soviel Sie wollen."

Am Büfett reichte mir der Wirt ein Glas
Cherry. Und wir stießen an.

„Kann ich Ihnen die Zeitung, von der
Sie vorhin sprachen, abkaufen?" fragte er
nach einer Weile. „Ich möcht's doch mal
versuchen."

Ich schenkte sie ihm, wünschte einen guten
Erfolg und lief hinaus zu den getauften
Juden.

Karikaturen

lich weiß ich, aber ich, ich trage sie eben unter
dem Helm!" („Le Rire“, Paris)

„Also", sprach ich feierlich zu ihnen, „mtt
diesem Bock hier ist nichts zu machen. Er
ist sein einziger, und er braucht ihn wegen
deS Nachwuchses. Aber Sie können sich
doch einen andern kaufen — — "

Ihre abwehrenden Gesten glättete ich, in-
dem ich fortfuhr: „Aus jedem Ziegenbock,

den Gott werden ließ, können Sie im Hand-
umdrehen einen völkischen Führer machen.
Überhaupt müssen Sie alle verfügbaren
Ziegenböcke zu Anhängern Ihrer Partei
machen. Und das so schnell als möglich. Eh
Ihnen eine andere Partei zuvorkommt. -
Natürlich gibt es ein Mittel. Sehr ein-
fach. -"

Die getauften Juden waren gespannt wie
eine Drahtseilbahn. Sachlich vertraute ich
ihnen mein Erlebnis an. -

Sie drückten mir die Hand und ließen
mich im Namen des antisemitischen Deutsch-
land hochleben. Dann setzten sie sich an den
Tisch und verfaßten ein Telegramm an den
Gauvorstand zwecks Ankaufs aller greif-
baren Ziegenböcke. Sie hofften mit Hilfe
der kommenden Führer regierungsfähig zu
werden. — —

Ich trennte mich hinterrücks.

Im Tal erblickte ich zum letzten Mal den
stürmischen Bock. Er fraß und verdaute wie
eh und je und war nicht mehr ein bißchen
völkisch.

Nachschrift: Um keine falschen Hoff-
nungen zu wecken: Ziegenböcke eignen sich
aber bloß zur Führung der extremen Par-
leien, linke wie rechts. Zur Politik der
Mitte herangezogen, reagieren sie in der bis-
herigen funktionellen Weise: fressend und ver-
dauend, fressend und verdauend.

des Auslands

„Der ewig« Abgott!"

(„Notenkraker“, Amsterdam)

255
 
Annotationen