Die Lichtseite
Zeichnung von S. Morgan
ErichWeinert /Herrn Hubermaiers Hinöenburgerlebnis
Herr Hubermaier saß im Familienkreise
Nach eines Frühschoppens Müh und Last,
Und hatte sich grade wiederkäuenderweise
Mit den Münchener Neuesten Nachrichten
befaßt.
Meistens las er nur die Rubrik: Für
Rentner!
Aber heute nahm er zuerst das Hauptblatt vor.
Ein. Schauer ging durch seine zwo Komma
vierzig Zentner:
Reichspräsidenteneinzug am Sendlinger Tor!
Schweigend begibt er sich in den SonntagSrock,
Feierlich wählt er die blauweißkarierte
Krawatte
Und dekoriert sich mit dem Medaillenberlock,
Wo er noch seinerzeit von König Luitpold
hatte.
Herr Hubermaier fühlt seine Volksseele
kochen
Und begibt sich mit aufgewertetem Schwung
Auf den Schauplatz verheißungsvoller Epochen
Mit festlich poliertem Blech und Be-
geisterung.
Da stehn in alter bajuvarischer Größe
Dekoriert« Mühen- und Schützenvereine
Spalier.
Ganz in der Ferne schmettern Fanfarenstöße.
Stillgeftanden! Nicht euch! Gleich ist er
hier!
Herr Hubermaier nimmt Flügelfühlung
Mit einem Krieger- oder Kaninchenzüchterverein.
Er hat zwar einen Hang nach innrer Durch-
spülung,
Doch durch seine Adern rollt ein energisches
Nein.
Ein Herr von der Reichswehr kommt offiziell
vorbeigeschnaubt
Mit festtäglich installierter Faffade.
Herr Hubermaier entblößt gewaltig sein Haupt
Und schiebt sich mit einem blauweißen Fähnchen
vor die Parade.
Stillgeftanden! Jetzt kommt der Generalfeld-
marschall!
Mit dem verantwortungsvollen feldgrauen
Barte!
Doch Herr Hubermaier entdeckte statt Donnerhall
Die hochverräterische schwarzrotgoldne Standarte.
Herr Hubermaier hatte sich soeben
Zum überlebensgroßen Hurra emporgereckt.
Aber das blieb ihm gleich in der Kehle
kleben,
Als er den schwarzrotgoldnen Wimpel
entdeckt.
Die Vereinsfahne der demokratischen
Bagage,
Mit der man seit Jahren nur noch in Preußen
flaggt,
An Hindenburgen seiner Staatsequipage?
Das hat Herrn Hubermaier schrecklich
gepackt!
Seitdem verzweifelt Herr Hubermaier an Gott
und Welt -
Und trainiert in Melancholie auf den dritten
Zentner -
Und an den Münchener Neuesten, die er hält,
Interessiert ihn nur noch die Rubrik: Für
Rentner! —
Einfaches Mittel
„Sehen Sie dort drüben am Bahnhof
den stattlichen, eleganten und sichtlich wohl-
habenden Herrn? Es ist einer der größten
Reeder unserer Stadt. Ich kenne ihn zu-
fällig persönlich. Seine Schiffe fahren auf
allen Ozeanen. Seine geschäftlichen Be-
ziehungen reichen nach Kamtschatka und bis
ins Innere Zentralafrikas so gut wie nach
Amerika und China. Einige tausend An-
gestellte sind in seinem Dienst. Böse Zungen
behaupten sogar, baß er Politikern Befehle
erteile. Sehen Sie, wie stolz und lebens-
sicher er dafteht. Jeder Zoll, möchte man
sagen, ein König. Und wenn es noch Könige
gäbe in Deutschland, wahrhaftig, er würde
vor keinem König einen Schritt weichen. Er
ist die personifizierte Macht. Trotzdem habe
ich es in der Hand, diesen Mann in zwei
Minuten zur tiefsten Demut zu beugen.
Mit zehn lächerlich einfachen Worten
bringe ich ihn dazu, sich vor mir als den
elendesten und erbärmlichsten Menschen
dieser Erde zu bekennen. Er wird mir an-
vertrauen, daß er finanziell ruiniert sei. Er
wird mich bitten, ihm eine Zeitting zu
leihen, weil er sich selbst keine mehr kaufen
könne. Er wird mir erzählen, daß seine
Familie hungere und daß er selbst seit drei
Tagen nichts Warmes im Magen gehabt
habe."
„Was Sie nicht sagen! Wie wollen Sie
das machen?"
„Ich werde hingehen und ihn bitten, mir
IO Mark zu leihen!"
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Zeichnung von S. Morgan
ErichWeinert /Herrn Hubermaiers Hinöenburgerlebnis
Herr Hubermaier saß im Familienkreise
Nach eines Frühschoppens Müh und Last,
Und hatte sich grade wiederkäuenderweise
Mit den Münchener Neuesten Nachrichten
befaßt.
Meistens las er nur die Rubrik: Für
Rentner!
Aber heute nahm er zuerst das Hauptblatt vor.
Ein. Schauer ging durch seine zwo Komma
vierzig Zentner:
Reichspräsidenteneinzug am Sendlinger Tor!
Schweigend begibt er sich in den SonntagSrock,
Feierlich wählt er die blauweißkarierte
Krawatte
Und dekoriert sich mit dem Medaillenberlock,
Wo er noch seinerzeit von König Luitpold
hatte.
Herr Hubermaier fühlt seine Volksseele
kochen
Und begibt sich mit aufgewertetem Schwung
Auf den Schauplatz verheißungsvoller Epochen
Mit festlich poliertem Blech und Be-
geisterung.
Da stehn in alter bajuvarischer Größe
Dekoriert« Mühen- und Schützenvereine
Spalier.
Ganz in der Ferne schmettern Fanfarenstöße.
Stillgeftanden! Nicht euch! Gleich ist er
hier!
Herr Hubermaier nimmt Flügelfühlung
Mit einem Krieger- oder Kaninchenzüchterverein.
Er hat zwar einen Hang nach innrer Durch-
spülung,
Doch durch seine Adern rollt ein energisches
Nein.
Ein Herr von der Reichswehr kommt offiziell
vorbeigeschnaubt
Mit festtäglich installierter Faffade.
Herr Hubermaier entblößt gewaltig sein Haupt
Und schiebt sich mit einem blauweißen Fähnchen
vor die Parade.
Stillgeftanden! Jetzt kommt der Generalfeld-
marschall!
Mit dem verantwortungsvollen feldgrauen
Barte!
Doch Herr Hubermaier entdeckte statt Donnerhall
Die hochverräterische schwarzrotgoldne Standarte.
Herr Hubermaier hatte sich soeben
Zum überlebensgroßen Hurra emporgereckt.
Aber das blieb ihm gleich in der Kehle
kleben,
Als er den schwarzrotgoldnen Wimpel
entdeckt.
Die Vereinsfahne der demokratischen
Bagage,
Mit der man seit Jahren nur noch in Preußen
flaggt,
An Hindenburgen seiner Staatsequipage?
Das hat Herrn Hubermaier schrecklich
gepackt!
Seitdem verzweifelt Herr Hubermaier an Gott
und Welt -
Und trainiert in Melancholie auf den dritten
Zentner -
Und an den Münchener Neuesten, die er hält,
Interessiert ihn nur noch die Rubrik: Für
Rentner! —
Einfaches Mittel
„Sehen Sie dort drüben am Bahnhof
den stattlichen, eleganten und sichtlich wohl-
habenden Herrn? Es ist einer der größten
Reeder unserer Stadt. Ich kenne ihn zu-
fällig persönlich. Seine Schiffe fahren auf
allen Ozeanen. Seine geschäftlichen Be-
ziehungen reichen nach Kamtschatka und bis
ins Innere Zentralafrikas so gut wie nach
Amerika und China. Einige tausend An-
gestellte sind in seinem Dienst. Böse Zungen
behaupten sogar, baß er Politikern Befehle
erteile. Sehen Sie, wie stolz und lebens-
sicher er dafteht. Jeder Zoll, möchte man
sagen, ein König. Und wenn es noch Könige
gäbe in Deutschland, wahrhaftig, er würde
vor keinem König einen Schritt weichen. Er
ist die personifizierte Macht. Trotzdem habe
ich es in der Hand, diesen Mann in zwei
Minuten zur tiefsten Demut zu beugen.
Mit zehn lächerlich einfachen Worten
bringe ich ihn dazu, sich vor mir als den
elendesten und erbärmlichsten Menschen
dieser Erde zu bekennen. Er wird mir an-
vertrauen, daß er finanziell ruiniert sei. Er
wird mich bitten, ihm eine Zeitting zu
leihen, weil er sich selbst keine mehr kaufen
könne. Er wird mir erzählen, daß seine
Familie hungere und daß er selbst seit drei
Tagen nichts Warmes im Magen gehabt
habe."
„Was Sie nicht sagen! Wie wollen Sie
das machen?"
„Ich werde hingehen und ihn bitten, mir
IO Mark zu leihen!"
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