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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 2.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.8804#0624
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.-töraische Wei Knackten

ERZAHUJNa VON

AWU« BARTHEL

Zeichnungen von Karl Soltz

Kamerad mitten in der Nacht. Über sich spürte er den verpesteten
Atem eines Wüstlings, der sich eine Frau suchte . . .

In der Albergo „International" kamen wir mit HanS Wild
zusammen.

HanS Wild lief unter dem Namen „Sibirier", war ungefähr
vierzig Jahre alt, eher groß als klein, und hatte ein merkwürdiges,
zusammengedrücktes Gesicht. An beiden Schläfen war er tätowiert.
Als wir ihn zum ersten Male sahen, begrüßte er uns mit großer
Höflichkeit, dienerte und bot sich als Führer und Freund an. Wir
waren stolz auf diese schnelle Freundschaft.

„Laßt euch ja nicht mit den anderen Kunden ein", sagte er schon
in den ersten zehn Minuten. „Das sind doch nur gerissene Gauner,
die euch ausbcuten wollen. Sie haben es auf euer Geld abgesehen.
Habt ihr viel Geld? Nein, aber von Deutschland ist welches unter-
wegs? Das ist schön. Den Wein bezahle ich. Heute sollt ihr meine
Gäste sein. Noch einmal, aufpaffen, Freunde, und keinen Menschen
trauen. Euch kann ich'ö ja sagen, ein Politischer bin ich, in Sibirien
war ich, jawohl, sieben Jahre an der Lena, verbannt war ich und
bin geflohen. In Irkutsk haben sie mich tätowiert. Ich gehöre dem
Bund an. Da seht!" schloß er seine Rede und zeigte uns an den
Schläfen vier tätowierte Punkte.

Natürlich wußten wir nicht, was diese Zeichen bedeuten sollten,
aber nach einer so herzlichen Begrüßung konnten wir unmöglich
unsere Fehlwissenschaft eingeftehen. Mein Freund war ein junger
Schlosser aus Dresden. Er machte ein ernstes Gesicht und sagte
geheimnisvoll:

„Ja, wir sehen, daß du dem Bunde angehörft."

„Also kennt ihr die Zeichen auch?" sagte Wild überrascht und
fuhr dann schnell fort: „Dann gehören wir ja zusammen, dann sind
wir ja Genossen. Noch heute will ich dem Bund melden, daß neue

Wir kamen von Neapel und die Stadt Rom schlug wie ein
steinernes Meer über uns zusammen. In der Via del Paline, nahe
der PeterSkirche, war unser Quartier, die Albergo „International".
Der Wirt, ein alter Feuerkopf, lief den ganzen Tag im blauen
Kittel umher und bewachte seine vierzehnjährige, blonde Tochter,
die in der Herberge die süße Madonna spielte und ein kleines Kind
auf ihren Armen wiegle. Ja, Marietta war unsere Madonna. Auch
für den ärmsten Vagabunden hatte sie ein liebliches Lächeln.

Viele von den Kameraden schliefen in den Katakomben, unter den
Tiberbrücken, auf den Bahnhöfen oder in den Waggons. Die alten
Bettler liefen Tag für Tag, über den schmierigen Kitteln die Blech-
büchsen, nach den Klöstern und bettelten sich die dünne Suppe zu-
sammen. Der Frühling war noch nicht gekommen, der sie aus dem
Dreck der Armut in das blühende Land schleuderte. Andere wieder
stellten sich jede Nacht demütig vor das strenge Tor des Asyls. Im
kalten Flur mußten die alten Lumpen zum Schwefeln abgegeben wer-
den. Für die Nacht bekamen die Schläfer ein viel zu großes, auf
dem nackten Boden schleppendes Mantelhemd. Für die wunden,
ausgelaufenen Füße klappernde Pantoffel.

Die Betten des Asyls waren mit grobem Tuch überspannte Eisen-
gestelle. Sie bogen sich unter der Last der Schläfer. Wie Grab-
gewölbe sahen die Schlafsäle aus. Manchmal erwachte ein junger

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