Freunde in Rom cingetroffen sind.
Euch kann ich ja alles sagen", dämpfte
er seine Stimme, „euch ja, aber den
andern nicht. Mein Vater war ein
bayrischer Graf und ich war Offizier,
jawohl, Offizier im ersten Leib-Regi-
ment. Ich hatte ein Herz in der Brust
und zwei Augen im Kopf, die Unge-
rechtigkeit der Welt trieb mich aus
die linke Seite und da ging ich zum
Bund. In Rußland war ich auch und
habe dort gekämpft. Gefangengenom-
men haben sie mich und nach Sibirien
geschickt. An die Lena. In die Gold-
bergwerke. Sieben Jahre. Mein Herr
Vater hat mich verstoßen. Überall
finde ich Freunde. Und nun seid ihr
gekommen . . . Waö ist die Uhr?
Fünf Minuten nach zwölf? Da muß
ich gehen. Zwölf Uhr siebzehn ist die
Parole in der Sektion. Auf Wieder-
sehen und vorsichtig sein. Glaubt nicht,
weil der Papst hier wohnt, müßten in
Rom alle Leute heilige Engel sein."
Lachend schüttelte er unsere Hände und
verschwand.
Wir freuten uns auf den Bund und
das große Geheimnis, das uns Hans
Wild anvertraut hatte, befolgten sei-
nen Rat, — schlugen viele Verbrüde-
rungsversuche der anderen Kameraden
ab und bummelten vergnügt nach dem
Forum Romanum, besuchten die pala-
dinischen Hügel, die Peterskirche und
was man sonst in dieser Stadt stau-
nend und begeistert betrachtet. Erst
am Abend kamen wir in die Herberge
zurück. Dort wurden wir schon wieder
von unserem Freunde erwartet.
„Da kommt ihr endlich", sagte er,
„und denkt euch, der Bund läßt euch
durch mich brüderlich begrüßen. In
den nächsten Tagen sollt auch ihr ein-
geführt werden. Ist das Goldschiff
schon gekommen?" fragte er dann und
fügte, als er unser verneinendes Kopf-
schütteln sah, heiter hinzu: „Macht
nichts, eö wird schon kommen. Seid
vorsichtig, Kinder, die Kunden m Rom
sind als Bruchkunden in ganz Italien
bekannt."
„Ach", sagte der Schlosser, „so
leicht fallen wir doch nicht herein. Wir
sind doch nicht von heute."
„Das weiß ich", antwortete Wild,
„auch ich kenne ein wenig die Men-
schen. Und weil ihr richtige Kerle seid,
habe ich mich euch angeschlossen."
Noch lange saßen wir in großen Gesprächen zusammen und
ließen uns von Sibirien erzählen, von den Goldbergwerken an der
Lena, vom Bund und vom Grafen Wildenfels, dessen Sohn Hans
Wild hieß und in Italien landftrcicherte. Sehr spät gingen wir
schlafen . . .
Auch noch in den nächsten Tagen war der Sibirier sehr um uns
besorgt. Aus Deutschland waren zwanzig Lire gekommen, doch wir
verschwiegen ihre Ankunft. Irgendein falscher Zungenschlag in den
Erzählungen unseres alten Freundes hatte uns doch ein wenig miß-
trauisch gemacht. Seine Freundschaft hatte er zwar mit einem Liter
roten Chianti befestigt, aber dafür hatten wir ihm schon einige Male
das Abendessen bezahlt. Und dann verlockte uns Rom zu selbständi-
ger Forschung.
„Aufstehen, aufftehen", weckte uns am dritten Tag unserer Be-
kanntschaft eine Stimme. Hans Wild stand vor unseren Betten.
„Aufftehen", sagte er, „ein Kurier war eben da und noch heute
sollt ihr dem Bund vorgeftellt werden. Wie ist es um eure Kleider
bestellt? Ah, der Schlosser hat einen blauen Anzug in Reserve?
Das ist gut. Ich brauche ihn für eine Stunde zu einer geheimen
Mission. Um elf Uhr treffen wir uns am Obelisk an der PeterS-
kirche. Holt euch doch endlich das Geld von der Post, glaubt ihr
denn, es verdoppelt sich, wenn es am
Schalter liegen bleibt? Und noch eins:
nehmt euch vor den andern in acht.
Was wollte der junge Hamburger, der
euch gestern besuchte?" Ehe wir ant-
worten konnten, war Wild verschwunden.
Um elf Uhr waren wir am Obelisk
an der Peterskirche. Schon von weitem
winkte grüßend Hans Wild. Den
blauen Anzug meines Freundes hatte er
auf dem Leib. Schön sah er darin auö.
„Ihr seid pünktlich, Kinder, und das
ist recht", sagte Wild, „und nun wollen
wir zur Sektion. Aber Vorsicht, daß
wir das Haue nicht verraten. Wer von
euch hat eine Uhr? Du hast eine rich-
tiggehende Uhr? Das ist gut, denn nur
auf die Sekunde hin werden wir einge-
lassen. Zeig doch mal deine Uhr",
wandte er sich an mich und sagte, als er
sie in der flachen Hand wog, „das ist
eine schöne, schwere Uhr und die mußt
du mir zehn Minuten leihen. Jetzt ist
es elf Uhr. Wir müssen gehen. Elf
Uhr elf will euch der Bund empfangen."
Schon schritt er aus. Wir folgten
seinem Schatten. Auf die Uhr blickend,
trieb er zur Eile an, scherzte und war
guter Dinge, erkundigte sich nach unse-
rem Geld, machte ein betrübtes Gesicht,
als wir sagten, es müsse morgen kom-
men und bog dann am Vatikan in eine
enge Gasse ein. Vor einem großen,
grauen Haus blieb er stehen.
„Hier ist es", sagte er leise, „aber
ihr müßt verschwiegen sein. Kein Wort
darf über eure Zunge. Verräter er-
ledigen wir s o." Er machte die Be-
wegung des MefferftechenS. „Nun
einen Augenblick, Kinder ich gehe vor-
aus und komme in drei Minuten zurück
und hole euch ab." Darauf schüttelte er
unsere Hände, sah uns tief in die
Augen und verschwand in dem dunklen
Flur des Hauses.
Alles war totsicher. Das ganze feier-
liche Gebaren des Mannes stärkte unse-
ren Kinderglauben. Auf die Sekunde
mußte hier alles gehen. Wie leicht
konnte ein Spitzel das Versteck ent-
decken. Nein, wir würden schon ver-
schwiegen sein. Aber zum Teufel, stiege«
die ersten Bedenken auf, ja, zum Teufel,
warum lief denn der Hans Wild, der
zum Bunde gehörte, in so elenden Klei-
dern umher? Er war doch Offizier ge-
wesen! Dann: warum nahm er zu sei-
ner geheimen Mission den einzigen An-
zug meines Freundes? Warum versorgte er sich nicht aus den Ma-
gazinen des Bundes? Er hatte doch selbst erzählt, daß Millionäre
im Bund seien, Freimaurer, Kaufleute und Kapitäne! Warum gibt
der Bund keine Uhren heraus, dachte ich, möglichst solche mit leuch-
tendem Zifferblatt, daß man auch nachiS die Sekunde genau ablesen
kann?
Die drei Minuten waren verstrichen. Zehn Minuten gingen vor-
über. Wir warteten eine halbe Stunde, eine ganze Stunde, aber
kein HanS Wild kam und führte uns in den Bund ein. Vielleicht
ist er einem Spitzel in die Hände gefallen, dachten wir. Da traten
wir in den dunklen Flur des Hauses ein und sahen einen zweiten
AuSgang nach einer versteckten Gasse. Endlich wurde uns klar, daß
der Hans Wild kein Grafensohn, sondern ein ganz gewöhnlicher
Gauner war, der in „roter Schiebung" machte. Zuerst fluchten wir,
dann lachten wir laut, denn wir waren noch mit einem blauen
Auge davongekommen . . .
Das war in den Tagen um Weihnachten.
Der Hamburger, auf den HanS Wild so eifersüchtig war, hatte
sich uns angeschlossen. Ihm war eine ähnliche Geschichte mit einem
luxemburgischen Journalisten passiert. Diese Erlebnisse, aber noch
mehr die Verwandtschaft jungen und sehnsüchtigen Blutes, führten
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Euch kann ich ja alles sagen", dämpfte
er seine Stimme, „euch ja, aber den
andern nicht. Mein Vater war ein
bayrischer Graf und ich war Offizier,
jawohl, Offizier im ersten Leib-Regi-
ment. Ich hatte ein Herz in der Brust
und zwei Augen im Kopf, die Unge-
rechtigkeit der Welt trieb mich aus
die linke Seite und da ging ich zum
Bund. In Rußland war ich auch und
habe dort gekämpft. Gefangengenom-
men haben sie mich und nach Sibirien
geschickt. An die Lena. In die Gold-
bergwerke. Sieben Jahre. Mein Herr
Vater hat mich verstoßen. Überall
finde ich Freunde. Und nun seid ihr
gekommen . . . Waö ist die Uhr?
Fünf Minuten nach zwölf? Da muß
ich gehen. Zwölf Uhr siebzehn ist die
Parole in der Sektion. Auf Wieder-
sehen und vorsichtig sein. Glaubt nicht,
weil der Papst hier wohnt, müßten in
Rom alle Leute heilige Engel sein."
Lachend schüttelte er unsere Hände und
verschwand.
Wir freuten uns auf den Bund und
das große Geheimnis, das uns Hans
Wild anvertraut hatte, befolgten sei-
nen Rat, — schlugen viele Verbrüde-
rungsversuche der anderen Kameraden
ab und bummelten vergnügt nach dem
Forum Romanum, besuchten die pala-
dinischen Hügel, die Peterskirche und
was man sonst in dieser Stadt stau-
nend und begeistert betrachtet. Erst
am Abend kamen wir in die Herberge
zurück. Dort wurden wir schon wieder
von unserem Freunde erwartet.
„Da kommt ihr endlich", sagte er,
„und denkt euch, der Bund läßt euch
durch mich brüderlich begrüßen. In
den nächsten Tagen sollt auch ihr ein-
geführt werden. Ist das Goldschiff
schon gekommen?" fragte er dann und
fügte, als er unser verneinendes Kopf-
schütteln sah, heiter hinzu: „Macht
nichts, eö wird schon kommen. Seid
vorsichtig, Kinder, die Kunden m Rom
sind als Bruchkunden in ganz Italien
bekannt."
„Ach", sagte der Schlosser, „so
leicht fallen wir doch nicht herein. Wir
sind doch nicht von heute."
„Das weiß ich", antwortete Wild,
„auch ich kenne ein wenig die Men-
schen. Und weil ihr richtige Kerle seid,
habe ich mich euch angeschlossen."
Noch lange saßen wir in großen Gesprächen zusammen und
ließen uns von Sibirien erzählen, von den Goldbergwerken an der
Lena, vom Bund und vom Grafen Wildenfels, dessen Sohn Hans
Wild hieß und in Italien landftrcicherte. Sehr spät gingen wir
schlafen . . .
Auch noch in den nächsten Tagen war der Sibirier sehr um uns
besorgt. Aus Deutschland waren zwanzig Lire gekommen, doch wir
verschwiegen ihre Ankunft. Irgendein falscher Zungenschlag in den
Erzählungen unseres alten Freundes hatte uns doch ein wenig miß-
trauisch gemacht. Seine Freundschaft hatte er zwar mit einem Liter
roten Chianti befestigt, aber dafür hatten wir ihm schon einige Male
das Abendessen bezahlt. Und dann verlockte uns Rom zu selbständi-
ger Forschung.
„Aufstehen, aufftehen", weckte uns am dritten Tag unserer Be-
kanntschaft eine Stimme. Hans Wild stand vor unseren Betten.
„Aufftehen", sagte er, „ein Kurier war eben da und noch heute
sollt ihr dem Bund vorgeftellt werden. Wie ist es um eure Kleider
bestellt? Ah, der Schlosser hat einen blauen Anzug in Reserve?
Das ist gut. Ich brauche ihn für eine Stunde zu einer geheimen
Mission. Um elf Uhr treffen wir uns am Obelisk an der PeterS-
kirche. Holt euch doch endlich das Geld von der Post, glaubt ihr
denn, es verdoppelt sich, wenn es am
Schalter liegen bleibt? Und noch eins:
nehmt euch vor den andern in acht.
Was wollte der junge Hamburger, der
euch gestern besuchte?" Ehe wir ant-
worten konnten, war Wild verschwunden.
Um elf Uhr waren wir am Obelisk
an der Peterskirche. Schon von weitem
winkte grüßend Hans Wild. Den
blauen Anzug meines Freundes hatte er
auf dem Leib. Schön sah er darin auö.
„Ihr seid pünktlich, Kinder, und das
ist recht", sagte Wild, „und nun wollen
wir zur Sektion. Aber Vorsicht, daß
wir das Haue nicht verraten. Wer von
euch hat eine Uhr? Du hast eine rich-
tiggehende Uhr? Das ist gut, denn nur
auf die Sekunde hin werden wir einge-
lassen. Zeig doch mal deine Uhr",
wandte er sich an mich und sagte, als er
sie in der flachen Hand wog, „das ist
eine schöne, schwere Uhr und die mußt
du mir zehn Minuten leihen. Jetzt ist
es elf Uhr. Wir müssen gehen. Elf
Uhr elf will euch der Bund empfangen."
Schon schritt er aus. Wir folgten
seinem Schatten. Auf die Uhr blickend,
trieb er zur Eile an, scherzte und war
guter Dinge, erkundigte sich nach unse-
rem Geld, machte ein betrübtes Gesicht,
als wir sagten, es müsse morgen kom-
men und bog dann am Vatikan in eine
enge Gasse ein. Vor einem großen,
grauen Haus blieb er stehen.
„Hier ist es", sagte er leise, „aber
ihr müßt verschwiegen sein. Kein Wort
darf über eure Zunge. Verräter er-
ledigen wir s o." Er machte die Be-
wegung des MefferftechenS. „Nun
einen Augenblick, Kinder ich gehe vor-
aus und komme in drei Minuten zurück
und hole euch ab." Darauf schüttelte er
unsere Hände, sah uns tief in die
Augen und verschwand in dem dunklen
Flur des Hauses.
Alles war totsicher. Das ganze feier-
liche Gebaren des Mannes stärkte unse-
ren Kinderglauben. Auf die Sekunde
mußte hier alles gehen. Wie leicht
konnte ein Spitzel das Versteck ent-
decken. Nein, wir würden schon ver-
schwiegen sein. Aber zum Teufel, stiege«
die ersten Bedenken auf, ja, zum Teufel,
warum lief denn der Hans Wild, der
zum Bunde gehörte, in so elenden Klei-
dern umher? Er war doch Offizier ge-
wesen! Dann: warum nahm er zu sei-
ner geheimen Mission den einzigen An-
zug meines Freundes? Warum versorgte er sich nicht aus den Ma-
gazinen des Bundes? Er hatte doch selbst erzählt, daß Millionäre
im Bund seien, Freimaurer, Kaufleute und Kapitäne! Warum gibt
der Bund keine Uhren heraus, dachte ich, möglichst solche mit leuch-
tendem Zifferblatt, daß man auch nachiS die Sekunde genau ablesen
kann?
Die drei Minuten waren verstrichen. Zehn Minuten gingen vor-
über. Wir warteten eine halbe Stunde, eine ganze Stunde, aber
kein HanS Wild kam und führte uns in den Bund ein. Vielleicht
ist er einem Spitzel in die Hände gefallen, dachten wir. Da traten
wir in den dunklen Flur des Hauses ein und sahen einen zweiten
AuSgang nach einer versteckten Gasse. Endlich wurde uns klar, daß
der Hans Wild kein Grafensohn, sondern ein ganz gewöhnlicher
Gauner war, der in „roter Schiebung" machte. Zuerst fluchten wir,
dann lachten wir laut, denn wir waren noch mit einem blauen
Auge davongekommen . . .
Das war in den Tagen um Weihnachten.
Der Hamburger, auf den HanS Wild so eifersüchtig war, hatte
sich uns angeschlossen. Ihm war eine ähnliche Geschichte mit einem
luxemburgischen Journalisten passiert. Diese Erlebnisse, aber noch
mehr die Verwandtschaft jungen und sehnsüchtigen Blutes, führten
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