uns zusammen. Zwischen
Schwermut und Begeiste-
rung lebten wir dahin.
In der schwarzen Cam-
pagna blühten die ersten
Blumen und Bäume. In
der Stadt wurden blühende
Zweige verkauft. Wir stro-
merten durch Rom, saßen an
der Spanischen Treppe, lie-
fen durch das Pantheon und
Kolostrum und rückten die
Welt in neue Bahnen.
Rom macht vermessen. Das
verschüttete Blut vieler Völ-
ker und Zeilen liegt zu dick
in der Erde - die Kriege,
die Siege und Niederlagen.
„Vielleicht liegt ein Vor-
fahre von mir, der unter
Cäsar focht, mit vermorsch-
tem Schädel hier in der
Erde", sagte ich einmal zu
dem jungen Hamburger, als
wir durch das Forum Ro-
manum liefen. „Vielleicht
stürzte ein anderer in den
Alpen ab, als die Barbaren
in Italien einfielen . . ."
„In Rom und im Kampf
um Rom ist alles möglich",
antwortete er und blickte
mich mit klaren Augen an.
„Bist du heute abend bei
Pauli?" fuhr er fort, „alle
Kunden treffen sich heute
zum Weihnachtsabend bei
Pauli."
„Ja", sagte ich, „also
heute abend bei Pauli!"
Am Abend waren alle
Landstreicher versammelt.
Sie waren aus ihren Löchern
gekommen, aus den Kala-
komben, aus den Waggons,
unter den Brücken hervor, aus den Asylen und Herber-
gen. An den mächtigen runden Tischen nahmen wir Platz und frier-
ten das Fest. Jeder schwamm heute in Geld und eine Korbflasche
Chianti nach der anderen kam angetanzt. Bald stiegen die Wellen
der Trunkenheit empor und schlugen über unseren heißen Köpfen
zusammen.
Tabak, Wein, Geschrei und Lieder . . . Lieder, die aus dem
Schlamm emporftiegen und doch Duft und Farbe hatten, Lieder,
die die Wellen des gelben und roten Weines teilten und heimatliche
Landschaft zeigten, Kindheitstage, die ersten bewußten Tränen, das
erste bewußte Gelächter, ein wolkenloser Himmel, in früher Kindheit
erlebt mit hohem, seidenen Kuppelhorizont, die veilchenblaue Wolke
der Schwermut, aus der ein leiser Regen der Trauer fällt . . .
Da saß und sang nun die zerlumpte Tafelrunde die alten, schon
lange vergessenen Lieder. Sie sangen Wanderlieder, mit denen sie
zum ersten Male in die Welt hinauszogen, sie sangen Liebeslieder,
Kinderlieber, die nach einem verworfenen Leben immer noch keusch
und lieblich aus den lasterhaften Mündern knospeten.
Reden stiegen hoch und wurden wie Brandraketen in die Nacht
geschossen. Über dem Schlachtfeld des Lebens standen sie dann und
glänzten. Viele Gräber sahen wir in ihrem Licht, Gräber der Sehn-
sucht, Gräber der Hoffnung. Als sich die Zote an den runden Tisch
setzen wollte, wurde sie niedergeschrien. Jawohl, wir waren gemein,
aber nicht jetzt in dieser Stunde. Wir hatten uns in die Welt ge-
wagt, wir hatten das Leben gewagt und nun mußten wir es ertra-
gen und die Zähne zusammenbeißen. Jeder von uns hatte einen
Käfig zerbrochen und war in die Welt gerast. Und wenn nun auch
die Welt ein großer Käfig war, wir hatten sie nicht gemacht. Wir
waren schuldlos und wuschen die Hände in rotem Wein.
Aus jener Nacht geistern auch jetzt noch die Fetzen großer Ge-
spräche um mich. Bleiche Gesichter schimmern durch wölkenden Ta-
1>akSrauch. Schmerzlich aufgerissene Augen strahlen. Trunkene
Münder reden.
„Mohammed hat seinen
Anhängern den Wein verbo-
ten, weil man im Rausch
in den Himmel sehen kann",
sagte ein junger Mensch,
der lange in Konstantinopel
gelegen hatte und „der
Türke" genannt wurde.
„Ich sehe de» Himmel
und sehe das Paradies",
sagte der „Journalist", der
vor einigen Tagen von Zü-
rich gekommen war. „Ich
sehe den alten müden Herrn
und weiß, daß auch er an
der Welt unschuldig ist. Wir
alle sind unschuldig und dar-
um wird ja immer wieder
das weiße Lamm geschlachtet,
das der Welt Sünde trägt."
„Du redest mit Men-
schenzungen und wirft nicht
verstanden", sagte nun der
junge Hamburger, der lange
nicht mehr kühl war, son-
dern vom Wein glühte.
„Mit Engelszungen müssen
wir der Welt das Gesetz des
Lebens verkünden. Und das
Gesetz heißt Unsterblichkeit.
Es gibt keinen Tod. Auch der
Tod ist nur Wandlung."
„Eva, hat mir ein Der-
wisch erklärt, soll eigentlich
Schlange heißen", fiel der
Türke ein, „Eva heißt
Schlange und der Schlange
müssen wir den Kopf zer-
treten . . ."
„Die Frauen sind rätsel-
hafter als a^e Welträtsel",
höre ich jetzt eine Stimme
aus jener Nacht. „Eine habe
ich gekannt, die lief aus
ihrem Reichtum davon, um
mit einem Jüngling in einer Dachkammer zu leben. Der Knabe
war noch unschuldig. Da nahm diese Frau die Schuld auf sich wie
das weiße Lamm Gottes. Sie liebte ihn so sehr, daß er daran starb.
Sein Leib war noch warm, da lief sie schon von ihm fort, einem
anderen Mann nach und keuchte unter ihrem Dämon. Nach zwei
Jahren hatte sie auSgeraft. Sie kam in ihr Haus zurück. Ihr
Mann liebte sie immer noch. Sie lebten dann glücklich zusammen
und bekamen auch Kinder . . ."
„Als ich noch an meiner Zeitung war", sagte der Journalist,
„habe ich eine Frau gekannt, die ich niemals vergessen werde, trotz-
dem ich sie verlassen habe. Sie wußte jedes Wort, das wir mitein-
ander gewechselt hatten. Auf einem Spaziergang durch den Wald
flüsterte sie einmal: „An dieser Buche, Liebster, hast du einmal:
„Ich liebe dich, wie ich noch keinen Menschen auf dieser Welt ge-
liebt habe", zu mir gesagt. „Der Wald, durch den wir gingen, war
ein Buchenwald, aber sie fand doch den richtigen Baum."
„Hier hast du mir erzählt", begann diese Frau auf demselben Weg,
„bier hast du mir erzählt, daß du gestern nacht von mir geträumt
baft." Wir gingen weiter. Da sagte sie: „Und dann gab ich dir,
Geliebtester, zum ersten Male das Letzte . . ,"
Der Journalist stützte den Kopf in die Hände und seufzte.
„Und einmal war ich „der Geliebtefte", sagte er mit so hoff-
nungsloser und verlorener Stimme, wie sie nur ein Mensch haben
kann, der weiß, daß alles dahin ist, unwiderruflich dahin . . .
Um Mitternacht sind wir schwer und schwankend von Pauli auf-
gebrochen und über die Tiberbrücke gezogek, erfüllt vom Wein und
unseren Gesichten. Die Stadt lärmte und schrie. Es war ja: „Na-
tale", das Fest der Geburt. Der süße Knabe, der die Welt erlösen
sollte, war geboren. In der schwarzen Campagna blühten die ersten
Blumen. Der Frühling war nicht mehr fern. Das Licht war aufer-
standen:
Geburt! Geburt!
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Schwermut und Begeiste-
rung lebten wir dahin.
In der schwarzen Cam-
pagna blühten die ersten
Blumen und Bäume. In
der Stadt wurden blühende
Zweige verkauft. Wir stro-
merten durch Rom, saßen an
der Spanischen Treppe, lie-
fen durch das Pantheon und
Kolostrum und rückten die
Welt in neue Bahnen.
Rom macht vermessen. Das
verschüttete Blut vieler Völ-
ker und Zeilen liegt zu dick
in der Erde - die Kriege,
die Siege und Niederlagen.
„Vielleicht liegt ein Vor-
fahre von mir, der unter
Cäsar focht, mit vermorsch-
tem Schädel hier in der
Erde", sagte ich einmal zu
dem jungen Hamburger, als
wir durch das Forum Ro-
manum liefen. „Vielleicht
stürzte ein anderer in den
Alpen ab, als die Barbaren
in Italien einfielen . . ."
„In Rom und im Kampf
um Rom ist alles möglich",
antwortete er und blickte
mich mit klaren Augen an.
„Bist du heute abend bei
Pauli?" fuhr er fort, „alle
Kunden treffen sich heute
zum Weihnachtsabend bei
Pauli."
„Ja", sagte ich, „also
heute abend bei Pauli!"
Am Abend waren alle
Landstreicher versammelt.
Sie waren aus ihren Löchern
gekommen, aus den Kala-
komben, aus den Waggons,
unter den Brücken hervor, aus den Asylen und Herber-
gen. An den mächtigen runden Tischen nahmen wir Platz und frier-
ten das Fest. Jeder schwamm heute in Geld und eine Korbflasche
Chianti nach der anderen kam angetanzt. Bald stiegen die Wellen
der Trunkenheit empor und schlugen über unseren heißen Köpfen
zusammen.
Tabak, Wein, Geschrei und Lieder . . . Lieder, die aus dem
Schlamm emporftiegen und doch Duft und Farbe hatten, Lieder,
die die Wellen des gelben und roten Weines teilten und heimatliche
Landschaft zeigten, Kindheitstage, die ersten bewußten Tränen, das
erste bewußte Gelächter, ein wolkenloser Himmel, in früher Kindheit
erlebt mit hohem, seidenen Kuppelhorizont, die veilchenblaue Wolke
der Schwermut, aus der ein leiser Regen der Trauer fällt . . .
Da saß und sang nun die zerlumpte Tafelrunde die alten, schon
lange vergessenen Lieder. Sie sangen Wanderlieder, mit denen sie
zum ersten Male in die Welt hinauszogen, sie sangen Liebeslieder,
Kinderlieber, die nach einem verworfenen Leben immer noch keusch
und lieblich aus den lasterhaften Mündern knospeten.
Reden stiegen hoch und wurden wie Brandraketen in die Nacht
geschossen. Über dem Schlachtfeld des Lebens standen sie dann und
glänzten. Viele Gräber sahen wir in ihrem Licht, Gräber der Sehn-
sucht, Gräber der Hoffnung. Als sich die Zote an den runden Tisch
setzen wollte, wurde sie niedergeschrien. Jawohl, wir waren gemein,
aber nicht jetzt in dieser Stunde. Wir hatten uns in die Welt ge-
wagt, wir hatten das Leben gewagt und nun mußten wir es ertra-
gen und die Zähne zusammenbeißen. Jeder von uns hatte einen
Käfig zerbrochen und war in die Welt gerast. Und wenn nun auch
die Welt ein großer Käfig war, wir hatten sie nicht gemacht. Wir
waren schuldlos und wuschen die Hände in rotem Wein.
Aus jener Nacht geistern auch jetzt noch die Fetzen großer Ge-
spräche um mich. Bleiche Gesichter schimmern durch wölkenden Ta-
1>akSrauch. Schmerzlich aufgerissene Augen strahlen. Trunkene
Münder reden.
„Mohammed hat seinen
Anhängern den Wein verbo-
ten, weil man im Rausch
in den Himmel sehen kann",
sagte ein junger Mensch,
der lange in Konstantinopel
gelegen hatte und „der
Türke" genannt wurde.
„Ich sehe de» Himmel
und sehe das Paradies",
sagte der „Journalist", der
vor einigen Tagen von Zü-
rich gekommen war. „Ich
sehe den alten müden Herrn
und weiß, daß auch er an
der Welt unschuldig ist. Wir
alle sind unschuldig und dar-
um wird ja immer wieder
das weiße Lamm geschlachtet,
das der Welt Sünde trägt."
„Du redest mit Men-
schenzungen und wirft nicht
verstanden", sagte nun der
junge Hamburger, der lange
nicht mehr kühl war, son-
dern vom Wein glühte.
„Mit Engelszungen müssen
wir der Welt das Gesetz des
Lebens verkünden. Und das
Gesetz heißt Unsterblichkeit.
Es gibt keinen Tod. Auch der
Tod ist nur Wandlung."
„Eva, hat mir ein Der-
wisch erklärt, soll eigentlich
Schlange heißen", fiel der
Türke ein, „Eva heißt
Schlange und der Schlange
müssen wir den Kopf zer-
treten . . ."
„Die Frauen sind rätsel-
hafter als a^e Welträtsel",
höre ich jetzt eine Stimme
aus jener Nacht. „Eine habe
ich gekannt, die lief aus
ihrem Reichtum davon, um
mit einem Jüngling in einer Dachkammer zu leben. Der Knabe
war noch unschuldig. Da nahm diese Frau die Schuld auf sich wie
das weiße Lamm Gottes. Sie liebte ihn so sehr, daß er daran starb.
Sein Leib war noch warm, da lief sie schon von ihm fort, einem
anderen Mann nach und keuchte unter ihrem Dämon. Nach zwei
Jahren hatte sie auSgeraft. Sie kam in ihr Haus zurück. Ihr
Mann liebte sie immer noch. Sie lebten dann glücklich zusammen
und bekamen auch Kinder . . ."
„Als ich noch an meiner Zeitung war", sagte der Journalist,
„habe ich eine Frau gekannt, die ich niemals vergessen werde, trotz-
dem ich sie verlassen habe. Sie wußte jedes Wort, das wir mitein-
ander gewechselt hatten. Auf einem Spaziergang durch den Wald
flüsterte sie einmal: „An dieser Buche, Liebster, hast du einmal:
„Ich liebe dich, wie ich noch keinen Menschen auf dieser Welt ge-
liebt habe", zu mir gesagt. „Der Wald, durch den wir gingen, war
ein Buchenwald, aber sie fand doch den richtigen Baum."
„Hier hast du mir erzählt", begann diese Frau auf demselben Weg,
„bier hast du mir erzählt, daß du gestern nacht von mir geträumt
baft." Wir gingen weiter. Da sagte sie: „Und dann gab ich dir,
Geliebtester, zum ersten Male das Letzte . . ,"
Der Journalist stützte den Kopf in die Hände und seufzte.
„Und einmal war ich „der Geliebtefte", sagte er mit so hoff-
nungsloser und verlorener Stimme, wie sie nur ein Mensch haben
kann, der weiß, daß alles dahin ist, unwiderruflich dahin . . .
Um Mitternacht sind wir schwer und schwankend von Pauli auf-
gebrochen und über die Tiberbrücke gezogek, erfüllt vom Wein und
unseren Gesichten. Die Stadt lärmte und schrie. Es war ja: „Na-
tale", das Fest der Geburt. Der süße Knabe, der die Welt erlösen
sollte, war geboren. In der schwarzen Campagna blühten die ersten
Blumen. Der Frühling war nicht mehr fern. Das Licht war aufer-
standen:
Geburt! Geburt!
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