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Benedikt Löchelmaier, der zu allen heiligen
\) Zeiten an seinem Fensterbrett Räucherkerzen

lj abbrannte, auf allen Türrahmen C+M-fß

J/ angekreidet hatte und noch tagelang hinter der

FronleichnamSprozeffion nach Weihrauch roch, wollte
um jeden Preis noch in diesem Leben ein echter
Heiliger werden.

So etwas war nie leicht — auch wenn man Ablaßbilder
druckte, als Portier am bayerischen Kultusministerium angestellt
war öder seit zwanzig Jahren den Winterfensterwechsel in Pfarr-
Höfen zu besorgen hatte. Benedikt Löchelmaier aber war noch dazu
durch keine ähnliche Beschäftigung begnadet; denn bas grausame Schick-
sal ließ ihn zum Chef für Reklame in Bedürfnisanstalten werben! . . .

Er mußte also mehr als andere Sterbliche aus «dem Leben alles Weihevolle
und Segnende >herausfinden, um damit zunächst seine berufliche Belastung auS-
zuradieren — und den Weg zum Herligen frei ju schaufeln. So aß er nur Ge-
räuchertes, wenn es fett und geweiht war — und trug nur abgelegte HerrschaftS-
anzüge, wenn sie noch gut erhalten waren und wenn der Träger seinen Glauben bis
zur Christenverfolgung zurück Nachweisen konnte.

Eines Morgens stand Benedikt Löchelmaier mit einem erleuchteten Blick, wie er nur
selten aus seinem bogenlampenvollen Antlitz strahlte, vor einer Plakatwand - und
ließ seine glanzlackierten Augäpfel so weit herauShängen, daß sie beinahe an den«
frischen Kleister haften blieben. Da waren in papageigrellen Farben auszugtischgroße
Ankündigungen angeschlagen, di« den beginnenden Ausschank der schwerprozentigen
Märzbiere in die weite Welt hinausschrien ....

Und seht und schaut! .... Da waren «S lauter Biere, die «inen wirklichen Heiligen
zum Taufpaten und Protektor hatten. Und sie nannten sich Sankt Ulrich, Sankt
Markus, Sankt Iosephus, Sankt Antonius — und sogar ein „Erlöser-Bier" war
zum Ausschank angepriesen. Alle Heiligen tx« Kalenders und Kirchenjahres wurden
in einen religiösen Zusammenhang mit Bier gebracht, wobei die Hochprozentigkeit
an Alkohol die Größe d«S Heiligen darzustellen hatte.

Löchelmaier war bis ins Innerste seiner Seele hinein überwältigt. Die Pracht des
Nordlichts, eine Fata Morgan« oder die Magie eines Vulkanausbruches hätten ihn
als Naturschauspiele nicht mächtiger zu ehrfurchtsvoller Bewunderung hinreißen
können. Und er zitterte vor Freude bis zu seinen Grundmauern hinab: „Dös laß
i' mir g'fall'n! . . . Mir hab'n Haft no a' Religion, di« ins Volk eindringt! . . .
Dö macht's dem schwachen Kinde im Manne leicht, zu den sogenannten Gefilden
emporzusteigen! ...A heiliges Bier!... So was gibt's halt nur in der
Münchener Stadt und bei unserer Religion! . . . Wo anders siehgt ma so vui Lieb-
reichigkeit halt net! . . . Dös iS was für mi! Dös pakt ma! . . ."

Und heiler bewegt, wie das Sonatenspiel einer Klavierlehrerin, verabschiedete
er sich von der Plakatwand. Wilde und verheißungsvoll« Vorstellungen zogen als
Prozessionen durch seine Gedankenschublade. Und immer mchr gewann in ihm die
Überzeugung an Kraft, daß <S nicht nur allein der heilige Name sein könnte, der in
dieses Bier gelegt werde. Denn in einem Karton mit der Aufschrift „Hosenträger"
wird niemals ein „Apfelstrudel" in Originalpackung eingewickelt fein . . . DaS wär«
ja Schwindel! . . . Ja, in diesem Bier ist nicht nur der Name mit eingebraut! . . -
Oh na! . . Sonst wär's nicht so teuer! . . Ja, da muß auch «ine gewisse Kraft und
Weihe deS Heiligen Mischen Hopfen und Malz eingesotten liegen, etwas — Geistiges,
das auf den andachtsvollen Trinker übergeht und ihn heilig bewegt und erhebt. — —
Mit diesen Überlegungen marschierte Benedikt Löchelmaier, den Schirm gewehr-
über geschultert, dem Bräuhaus mit dem „Sankt Antonius-Bier" zu, vor dessen
Schenke er in der Kriegerdenkmalsstellung mit Vorgesetztem Fuß stehen blieb, um di«
erste heilige Maß auf dem Kaufwege zu erwerben.

Und er trank den irdisch-irdenen Krug mit einem jähen D-Zug aus, wobei Bene-
dikt als bisheriger Antialkoholiker merkte, daß in diesem Bier wirklich geheim«
Kräfte verborgen lagen — und seine ganzen Gefühle, die er daraufhin noch auf dem
Herzen hatte, faßte er zusammen in dem Befehle: „No a Maß vom St. Antonius!"

Jetzt konnte er sich erst richtig vorstellen, wie «ine Himmelfahrt dem Menschen
vorkomme! . . . Immer leichter wurde er und immer seliger! . . . Ein Seliger! . . -
„Mit a so a zehn bis zwölf Maß, glaab i, kann ma sich mit d e m Bier pfeigrad
in Himmi eina faufa und mit die Engrrl Weißwürst essen ... Ja — i glaab

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^st, daß alle die Engel früher Schenk-
'^llner oder Kellnerinna waren ... Aber
^ari's nur, i sauf mi schon zu euch zuawa! . . .

Und no a Maß! ... — Und Benedikt trank und
Mf. Nachdem er sich schon „selig" fühlte — konnte
p* zum Heiligwerden kein allzuweiter Weg mehr
. . . aber eS war keine Zeit mehr zu verlieren, denn
?nch um sich herum sah er — wie die Krüge sich lehrten,
vielleicht wollten sie durch dies heilige Bier — auch Heilige
Zerben? Dem mußte er zuvorkommen! „No a Maß!" . . .

Ja— und dann wollte er schon ein richtiger Heiliger sein, „nämli"

Un solchener, der rot vom Abreißkalender herunterhängt, an dessen
Namenstag blau g'macht wer'n muaß, wo dö Paketzustellung ruaht! — —
d'Schutzleut mit die frischputzten Helm ausrucka müaß'n! — Nur koan
^eiliger vierter Klaff', >der neamads kennt und zu dem neamads beten tuat, der an
^»ma kriegt wia a schlechte Zigarettenmark'n und der am End im Himmi a Billet für
ewigen Stehplatz auf der Galerie kriagt! . . Nur koan solchana net! . . Nur was
Erstklassiges! . . Drum no a Maß herag'fahr'n!" . . Neben ihm aber faß ein
Droschkenkutscher, der dem Benedikt der Maßzahl nach gleich zu sein schien. Ungewollt
^ar Mischen beiden St. AntoniuS^Biertrinkern ein geheimes Wettsaufen entstanden.

„Paffen'S auf, i tauch Eahna no nach!" sprach ihn der Droschkenkutscher an.

„DöS möcht i sehg'n! . . . erwidert« ihm mit himmlischem Stolz der Benedikt.

„Also, wett' ma . . . wer mit acht Maß z'erst ferti iS?"

„Guat, gilt scho'! . . . Wer z'ruck bleibt, zahlt alle sechzehn«!"

Und sie gossen sich Krug um Krug in die Gurgel, daß ihnen das Bier zum Teil
wieder bei >den Ohren und Nasen herauslief.

„Paß auf, jetzta 'hab'n ma sechfi!" ... — „Na, fünft!" . . .

„Wa — S? — Da streit ma net lang, -da fang mer ganz einfach wieder von vorn an!"

So begannen sie wieder bei der ersten Maß. Benedikt schien es dabei, daß er mit
^dem Zug eine Sprosse der Himmelsleiter ersteige. Schon kamen weiße Tiere auf
'bn zu, das Irdische um ihn begann sich aufzulösen, der Fußboden schlug Wellen, und
tf fühlte, daß er über Meere wandelte . . . Die Wände des Saales neigten sich
öegrneinander, die Decke fuhr Karussel — und alles war so, als ob es sich in Nebel
«nflösen wollte zu einer Wolke, die ihn, den Benedikt Löchelmaier, wie «ine Stranitze
^unhülle — um ihn als erstklassigen Heiligen luftballonleicht in den Himmel zu
Etagen. — — Noch «in Schluck - und Benedikt schrie, noch mit irdischen Lauten
befleckt: „A ch t i ! . . . I hab's!"

„Was, jetzt «hast wieda erst sechse — wach Adam Riese!"

„Achti Hab i!" brüllte Benedikt in einem Zorn, der schon fast heilig war.

„Mach koan« Krampf! . . . Sechsi hast du — und i Hab die Siebte!" pfiff der
Droschkenkutscher ihm zurück.

„Achti Hab i — und i bin da Heilige word'n!"

„A Rindviech bist — und a beschissener Hund dazua!"

„Oh — du Unreiner! . . Sieh mich Makellosen und bete zu mir!" wurde
Benedikt jetzt hochdeutsch.

„Zahlst die siebzehn Maß? ... Ja oder na?"

„Knie nieder— und ich segne dich!"

„Da — — kriagst von mir an Seg'n!" . . . und der Droschkenkutscher zerschlug
^inen Maßkrug auf dem Haupt des sonderbaren Heiligen, daß daran di« Scherben in
ber Umkränzung eines Heiligenscheines stecken blieben.

Das löste in Benedikts Großhirn einen Kurzschluß aus, der ihn wie «inen Indianer
^wk läufig machte. Er rannte über den Bauch des Droschkenkutschers hinweg der
schenke zu, erstürmte sie — und erweckte bei allen übrigen Alkoholgetränkten den
Eindruck — als wolle er sich wegen schlechten EinschenkenS beschweren. DaS fand
Sympathie, denn ein Schenkkellner, der auch nur «inen Tropfen unterm Maß von
bem heiligen Bier für sich zurück hält, sei des Todes! . . .

Eine barbarische Drescherei begann. Die Fässer mit dem St. AntoniuS»Bicr
wurden wie Kerker oder Altäre falscher Götter gestürmt. Eine wilde Jagd nach dem
"BluatShun-d" von an Schenkkellner begann, wurde zur Raserei und blinden Wut,
^vbei im Eifer -der Schein-Heilige Benedikt Löchelmaier mit dem Bierschlegel leider
'2 berührt wurde, daß er jäh leichlingS einem Faß zu Füßen fiel, aus dem ihm
^2ch ein letzter Rest des St. AntoniuS-BiereS «ntgegentroppfte . . .


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