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Potsdam, Januar 1925.

Ick mechte nich mehr in Berlin
leben. Hier ha ick et sehr jut und iS es
man bannich fein. Die Ruhe un det
vornehme Leben. Un erst meine Inä-
dichste! Eene vornehme Frau! Eh'
sie mir in ihr Budowahr rinläßt, muß
ick sojar immer de Stiebeln auSziehn.

Potsdam iS ieberhaupis eine feidale
Anjelejenheit, wie meine Inädichste
immer sachd. Hier wohnen nur bessere
Leite. Lauter Offiziere, Ieistliche, echte
Irafen un Prinzen.

Meine Inädichste schimpft imma uff

Aus

einer kleinen
Resident

(Das Tagebuch eines
einfachen Menschen)

Berlin. Neilich nachts meente se:
„Maxe, sowas VadorbeneS wie das
Sündenbabel findet man ieberhaupt
nicht mehr. Wie glücklich sind wir hier
in unserer Ruhe und Abjeschiedenheit.
Hier weht wenichstenS reine Luft!"
Dann mußte ick aber leider schnell
wech, weil der Chofför kam.

Februar 1925.

Der Dienst iS zwar scheen, aba
furchbar anstrengend. Wenn'- nich so
vornehm zujinge, wär ick schonst wech.
Aba man findet selten soviel feine
Leute auf einen Haufen wiik hier.

Angeklagter, Sie haben den Strafansialtswachtmeister beim Betreten ihrer Zelle gewürgt und nieder,
geschlagen, und dann einen Ausbruchsversuch gemacht. Am Tatort habe ich mich jedoch durch Augenschein,
einnahme von Ihren idealen Motiven überzeugt. Sie werden fortab im Innendienst verwendet werden, um
gemäß Erlaß des Iustizministers den Haftzeiten einen wohnlicheren Anstrich zu geben."

Heute ham se eine Iräfin verdonnert — eine ftühre Be-
kannte von de meinigte. Die soll jeklaut Ham. Jetzt iffe bei'S
Kino.

16. Mai 1925.

In der Waldkapelle haben se heite den Herrn Pfarrer mit
een junget Meechen ertappt. Er iS schnell ins Bad jereist.
Ihr ham se verhauen.

August 1926

Nu kommt der junge, elejante Herr Iraf von Pahlen ooch
nich mehr bei uns. Zwee kleene Meechen, die er aus pure
Iefälligkeit mit uff sein Rad jenomm hat, haben ihn wat an-
jehängt. — Er iS natürlich urrschuldig. Aba vorläufig in eene
Anstalt zur jeistijen Untersuchung. Der arme junge Herr.
Wie schrecklich, da injesperrt zu sind, wo er doch janich var-
rickt iS!

September 1926.

Hier is wat Schrecklicher passiert! Meine Inädichste ie
vahaftet worn! Se soll ihren friehren Mann, eenen ollen
jüdschen Professor, umjebracht un sein Testament jefälscht ham.
Ick jloobs nich! Die kann keen Menschen wat dun. Wo se
doch zu mir imma so furchtbar nett jewesen iS.

Ick bin augenblicklich janz alleene in de Villa. Jeden
Momang kommen Leute von die Pollezei un von de Zeitung,
die wat wissen wolln. Ick sage nischt. Meine Inädichste iS
ne feine Frau un ick laß uff die feinen Leute nischt komm. . . .

Ehmd hatö telefoniert: Die Frau Iräfin iS wieder uff
freien Fuß jesetzt. Ick hatte doch jewußt, det se unschuldig iö!

Oder det se ihr nischt beweisen kenn'!

Potsdam iS doch eene feine Stadt. . . .

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