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Lange, Konrad von
Schön und praktisch: eine Einführung in die Ästhetik der angewandten Künste — Führer zur Kunst, Band 16/​17: Esslingen: Paul Neff Verlag (Max Schreiber), 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.67338#0008
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EINLEITUNG

Unter den Schlagworten, die der Kampf um das
moderne Kunstgewerbe gezeitigt hat, ist wohl
keines, das in den letzten Jahren öfter vernommen
worden wäre, als das von der Entste hung der
dekorativen Kunstformen aus demGe-
brauchszweck und dem Material. Die Form in der
Architektur und den übrigen angewandten Künsten, so heißt
es, ist kein Erzeugnis der frei schaffenden Phantasie, sondern
ein Ergebnis praktischer, rein materieller Erwägungen. Sie ent-
steht nicht aus dem Belieben des Künstlers, sondern aus dem
Zwang äußerer Verhältnisse. Diese Verhältnisse aber sind:
erstens der praktische Zweck, dem der betreffende Gegenstand
dient, zweitens das Material, aus dem er angefertigt ist. Nur
ein Gebrauchsgegenstand, dessen- äußere Formen diese
doppelte Herkunft verraten, der nicht nur in Wirklichkeit
zweckmäßig und materialgerecht ausgeführt ist, sondern der
dies auch in seiner äußeren Erscheinung zeigt, kann als schön
gelten. Seine Schönheit besteht dann eben in dieser äußer-
lich zutage tretenden Zweckmäßigkeit und materialgerechten
Konstruktion. Einem Stuhl muß man ansehen, daß er aus
Holz ist, und daß man bequem darauf sitzen kann, einem
Gebäude, daß es aus Steinen besteht und wohnlich einge-
richtet ist. Diese Gegenstände müssen schon äußerlich etwas
Einladendes haben, ihren Zweck und ihre Konstruktion klar
und deutlich erkennen lassen. Ihre Schönheit besteht dann
eben in dieser ihrer einladenden und zweckentsprechenden
Form.
Dieser Grundsatz, der für praktisch veranlagte Menschen
etwas außerordentlich Ueberzeugendes hat, wird zunächst von
den Gegnern des modernen Kunstgewerbes mit Entschieden-
heit proklamiert. Sie glauben damit eine Kritik an den Will-
kürlichkeiten gewisser moderner Dekorätionskünstler üben zu
können, die ihrer Ansicht nach allzuwenig auf die praktischen
Verhältnisse Rücksicht nehmen. Er wird aber auch — und
 
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