74
III. Regelmäßigkeit und Proportion
ab, das gerade für einen Raum von dieser Bestimmung besteht.
In der Regel herrschen dafür in bestimmten Ländern und Zeiten
bestimmte Normalmaße. Das Minimalmaß, die Höhe eines
stehenden Menschen, genügte unseren Vorfahren im fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhundert annähernd, wird aber jetzt nur
noch in Bauernhäusern zugelassen. Die Engländer machen
noch jetzt ihre Zimmer so niedrig wie möglich. In unseren
Städten verlangen hygienische Erwägungen für Wohnräume
gebieterisch eine größere Höhe. Man hat sich dabei für
normale Wohnhäuser auf 3 bis 4 Meter geeinigt. Damit ist
aber die Proportion nicht nur der meisten Zimmer,
sondern auch derEtagen und des ganzen Hauses
festgelegt. Denn die Höhe der Zimmer bestimmt die Höhe
der Etagen. Und da die Höhe des Hauses von der Zahl der
Etagen abhängt, so ist dadurch gleichzeitig seine Gesamt-
höhe, also auch das Verhältnis von Höhe und Breite gegeben.
Die Höhe des Daches aber richtet sich ebenfalls vorwiegend
nach praktischen Gesichtspunkten. Das beweist schon der
Vergleich des flachen orientalischen Daches mit dem flach
geneigten Satteldach des griechischen Tempels und dem hohen,
steilen Dach der gotischen Kirche. Es ist bekannt, daß ledig-
lich klimatische Bedingungen und damit zusammenhängende
Lebensgewohnheiten zu dieser Verschiedenheit geführt haben.
Lebensgewohnheiten aber werden oft mit ästhetischen Be-
dürfnissen verwechselt. Wenn die Höhe unserer Wohnhaus-
dächer durch die Rücksicht auf den Schneeabfall und auf
gewisse baupolizeiliche Vorschriften, die ihrerseits wieder
durch praktische Erwägungen veranlaßt sind, in bestimmter
Weise geregelt ist, so kann man darin mit dem besten Willen
nicht den Ausdruck eines ästhetischen Bedürfnisses erkennen.
Und wenn gerade in dieser Beziehung während der letzten
Jahre ein Schwanken bemerkt werden konnte, einerseits ein
Zurückkehren zu ganz flachen Dächern, andererseits eine Vor-
liebe für besonders hohe, steile Dächer, so ist auch das kaum
als Beweis für die Existenz einer Normalproportion zu ver-
werten. Vielmehr tritt hier ein besonderes ästhetisches Gesetz,
das Bedürfnis nach Wechsel, in Kraft, das an sich schon
genügt, um die Statuierung von Normalproportionen unmöglich
zu machen.
III. Regelmäßigkeit und Proportion
ab, das gerade für einen Raum von dieser Bestimmung besteht.
In der Regel herrschen dafür in bestimmten Ländern und Zeiten
bestimmte Normalmaße. Das Minimalmaß, die Höhe eines
stehenden Menschen, genügte unseren Vorfahren im fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhundert annähernd, wird aber jetzt nur
noch in Bauernhäusern zugelassen. Die Engländer machen
noch jetzt ihre Zimmer so niedrig wie möglich. In unseren
Städten verlangen hygienische Erwägungen für Wohnräume
gebieterisch eine größere Höhe. Man hat sich dabei für
normale Wohnhäuser auf 3 bis 4 Meter geeinigt. Damit ist
aber die Proportion nicht nur der meisten Zimmer,
sondern auch derEtagen und des ganzen Hauses
festgelegt. Denn die Höhe der Zimmer bestimmt die Höhe
der Etagen. Und da die Höhe des Hauses von der Zahl der
Etagen abhängt, so ist dadurch gleichzeitig seine Gesamt-
höhe, also auch das Verhältnis von Höhe und Breite gegeben.
Die Höhe des Daches aber richtet sich ebenfalls vorwiegend
nach praktischen Gesichtspunkten. Das beweist schon der
Vergleich des flachen orientalischen Daches mit dem flach
geneigten Satteldach des griechischen Tempels und dem hohen,
steilen Dach der gotischen Kirche. Es ist bekannt, daß ledig-
lich klimatische Bedingungen und damit zusammenhängende
Lebensgewohnheiten zu dieser Verschiedenheit geführt haben.
Lebensgewohnheiten aber werden oft mit ästhetischen Be-
dürfnissen verwechselt. Wenn die Höhe unserer Wohnhaus-
dächer durch die Rücksicht auf den Schneeabfall und auf
gewisse baupolizeiliche Vorschriften, die ihrerseits wieder
durch praktische Erwägungen veranlaßt sind, in bestimmter
Weise geregelt ist, so kann man darin mit dem besten Willen
nicht den Ausdruck eines ästhetischen Bedürfnisses erkennen.
Und wenn gerade in dieser Beziehung während der letzten
Jahre ein Schwanken bemerkt werden konnte, einerseits ein
Zurückkehren zu ganz flachen Dächern, andererseits eine Vor-
liebe für besonders hohe, steile Dächer, so ist auch das kaum
als Beweis für die Existenz einer Normalproportion zu ver-
werten. Vielmehr tritt hier ein besonderes ästhetisches Gesetz,
das Bedürfnis nach Wechsel, in Kraft, das an sich schon
genügt, um die Statuierung von Normalproportionen unmöglich
zu machen.