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Über ein halbes Jahrhundert, dreiundfünfzig Jahre, hat Großher^og Cosimo III. regiert - allzu lange, als daß sich sein
Einfluß nicht hätte tödlich für das Land auswirken müssen. Mag man vieles an seiner Persönlichkeit den Bedingungen
des Zeitalters zuschreiben: Er stellte dennoch eine extreme Ausprägung, ja Übersteigerung »barocken« Wesens dar.
Zeitgenossen und Geschichtsschreiber heben zwei Eigenschaften als besonders folgenschwer hervor. Pater Arcan-
giolo Piccioli, den man kaum antireligiöser Einstellung beschuldigen wird, betont, »ehe in Cosimo III predomina-
vano due voglie violente: una pietä simulata e una splendidezza insolente: facendo con questa bene argomentare della
ipocrisia della prima ponendo in disordine gli interessi dello Stato, a tal segno, ehe spesso mancava il denaro per le
paghe dei pubblici ufficiali e della milizia«4. Der Historiker Alfred von Reumont bestätigt dieses Verdikt: »Cosimo
hatte eine absonderliche Sucht, sich bemerklich zu machen. Er wollte für den splendidesten Souverän gelten, während
sein sich steigernder Hang zu Frömmelei zu den seltsamsten Contrasten in Leben und Hofhaltung Anlaß gab.«
Die verhängnisvolle außenpolitische und innenpolitische Lage hätte klare Staatsführung, schärfste Konzentrierung
aller Mittel auf den Verteidigungszustand des Landes und einschneidende wirtschaftliche Maßnahmen erfordert; statt-
dessen wirkten sich die beiden hervorstechenden Charakterzüge des Großherzogs immer verderblicher aus. Sie stei-
gerten sich gegenseitig, vereitelten Reformen und lähmten die Diplomatie. »Cosimos Gesandtschaften«, schreibt
Reumont, ». . . schienen aber häufig nur um des Prunkes willen da zu sein oder um die oft eigenthümlichen Lieb-
habereien des Souveräns zu befriedigen, wenn sie nicht gar, wie es mit der Residentur in Hamburg der Fall war, um
religiöser Interessen willen da waren.«
Die »splendidezza insolente« verschlang riesige Summen für Geschenke an Könige und Fürsten, inländische und aus-
ländische Herren. Sie ließ auch dann nicht nach, als Cosimo im Jahre 1708 wegen einer zusätzlichen Kriegstribution
an die Armee des Prinzen Eugen in Oberitalien gezwungen war, die Kronjuwelen zu verpfänden. Noch folgenschwe-
rer aber wurde die »pietä simulata«. Unter dem Einfluß widriger familiärer Verhältnisse versteifte sich die engstirnige
Haltung des Fürsten immer mehr zu Bigotterie. In der Toskana verwandelte sich nach Piccioli »tutta la vita civile ad
una mostruosa parodia di convivenza monastica«. Ein von Cosimo bestellter Inquisitor, ein Dominikaner, bereiste
alljährlich das Land, um dem Großherzog über den Zustand der öffentlichen Moral Bericht zu erstatten. »Continue
feste religiöse« hatten zur Folge, daß in Florenz insgesamt während mehr als fünf Monaten des Jahres die Arbeit
ruhte. Religiöse Ereignisse bildeten ein Hauptthema der gesamten Korrespondenz Cosimos. Zwangsbekehrungen
gefangener Türken waren ihm Staatsaktionen; über einen Engländer, der seinen Glauben nicht zu wechseln gedachte,
konnte er sich ereifern; wie die handschriftliche, im Staatsarchiv bewahrte »Memoria« über Cosimos Regierung her-
vorhebt, galt den Proselyten eine seiner Hauptsorgen: »faceva spesso venire dei Giovani d’ogni Nazione, anche meno
concosciuta e culta, per fargli cattolico e fargli bene allevare nella sua Corte, nella quäle vi era continuamente un’buon
numero di questi Neofiti Forestieri 5.« Florenz zählte bei seiner Thronbesteigung über einhundertfünfzig Kirchen,
einhundertsechzehn Klöster und vierundachtzig Bruderschaften6. Aber eine seltsame Vorliebe für extrem strenge
Orden zog immer neue Mönche herbei. Schon 1677 errichtete er den spanischen Alcantarinern Kirche und Konvent
neben seinem Lieblingsaufenthalt, der Villa Ambrogiana bei Montelupo, wo er mit ihnen »esercitava la sua devo-
zione«. Man hat gesagt, Cosimo »habe seinen Ruhm darin gesehen, von allen geistlichen Orden irgendein Specimen in
seinem Lande zu haben«. 1703 wurde für die Trappisten aus Frankreich, die er mit päpstlicher Lizenz herbeiholte, die
Abtei Buonsollazzo in der Wildnis am Monte Senario freigemacht und umgebaut. In demselben Jahre mußten die
Scopetiner die Kirche S. Iacopo oltr’Arno den römischen »Preti della Missione« räumen.
Von dem Ausmaß des Heiligen- und Reliquienkultes, dem der Großherzog huldigte, kann man kaum die rechte Vor-
stellung gewinnen. Den Gnadenbildern innerhalb und außerhalb von Florenz machte er wiederholt sehr reiche Stif-
tungen: der SS. Annunziata und der Maria Vergine von Impruneta, aber auch der Grabeskirche des hl. Franciscus
in Assisi und der Casa Santa zu Loreto. Den Kult der toskanischen Heiligen förderte er mit allen Mitteln. Die
hl. Maria Maddalena de’ Pazzi und der hl. Ranieri erhielten neue Grabstätten. Den Gebeinen des hl. Papstes
Stephanus, des Schutzpatrons seines Ritterordens, errichtete er einen kostbaren Porphyraltar in der IConventualkirche
zu Pisa; diesen Altar schmückte auch die Cathedra des Heiligen, welche Cosimo im Jubeljahre 1700 vom Papste erhal-
ten hatte. Längst vergessenen und apokryphen Heiligen verhalf er - gegen das Votum der Theologen - zu neuer Ver-
ehrung: Im Mugello rief er durch den Ausbau einer prächtigen Kirche, die zu Beginn unseres Jahrhunderts einem
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Über ein halbes Jahrhundert, dreiundfünfzig Jahre, hat Großher^og Cosimo III. regiert - allzu lange, als daß sich sein
Einfluß nicht hätte tödlich für das Land auswirken müssen. Mag man vieles an seiner Persönlichkeit den Bedingungen
des Zeitalters zuschreiben: Er stellte dennoch eine extreme Ausprägung, ja Übersteigerung »barocken« Wesens dar.
Zeitgenossen und Geschichtsschreiber heben zwei Eigenschaften als besonders folgenschwer hervor. Pater Arcan-
giolo Piccioli, den man kaum antireligiöser Einstellung beschuldigen wird, betont, »ehe in Cosimo III predomina-
vano due voglie violente: una pietä simulata e una splendidezza insolente: facendo con questa bene argomentare della
ipocrisia della prima ponendo in disordine gli interessi dello Stato, a tal segno, ehe spesso mancava il denaro per le
paghe dei pubblici ufficiali e della milizia«4. Der Historiker Alfred von Reumont bestätigt dieses Verdikt: »Cosimo
hatte eine absonderliche Sucht, sich bemerklich zu machen. Er wollte für den splendidesten Souverän gelten, während
sein sich steigernder Hang zu Frömmelei zu den seltsamsten Contrasten in Leben und Hofhaltung Anlaß gab.«
Die verhängnisvolle außenpolitische und innenpolitische Lage hätte klare Staatsführung, schärfste Konzentrierung
aller Mittel auf den Verteidigungszustand des Landes und einschneidende wirtschaftliche Maßnahmen erfordert; statt-
dessen wirkten sich die beiden hervorstechenden Charakterzüge des Großherzogs immer verderblicher aus. Sie stei-
gerten sich gegenseitig, vereitelten Reformen und lähmten die Diplomatie. »Cosimos Gesandtschaften«, schreibt
Reumont, ». . . schienen aber häufig nur um des Prunkes willen da zu sein oder um die oft eigenthümlichen Lieb-
habereien des Souveräns zu befriedigen, wenn sie nicht gar, wie es mit der Residentur in Hamburg der Fall war, um
religiöser Interessen willen da waren.«
Die »splendidezza insolente« verschlang riesige Summen für Geschenke an Könige und Fürsten, inländische und aus-
ländische Herren. Sie ließ auch dann nicht nach, als Cosimo im Jahre 1708 wegen einer zusätzlichen Kriegstribution
an die Armee des Prinzen Eugen in Oberitalien gezwungen war, die Kronjuwelen zu verpfänden. Noch folgenschwe-
rer aber wurde die »pietä simulata«. Unter dem Einfluß widriger familiärer Verhältnisse versteifte sich die engstirnige
Haltung des Fürsten immer mehr zu Bigotterie. In der Toskana verwandelte sich nach Piccioli »tutta la vita civile ad
una mostruosa parodia di convivenza monastica«. Ein von Cosimo bestellter Inquisitor, ein Dominikaner, bereiste
alljährlich das Land, um dem Großherzog über den Zustand der öffentlichen Moral Bericht zu erstatten. »Continue
feste religiöse« hatten zur Folge, daß in Florenz insgesamt während mehr als fünf Monaten des Jahres die Arbeit
ruhte. Religiöse Ereignisse bildeten ein Hauptthema der gesamten Korrespondenz Cosimos. Zwangsbekehrungen
gefangener Türken waren ihm Staatsaktionen; über einen Engländer, der seinen Glauben nicht zu wechseln gedachte,
konnte er sich ereifern; wie die handschriftliche, im Staatsarchiv bewahrte »Memoria« über Cosimos Regierung her-
vorhebt, galt den Proselyten eine seiner Hauptsorgen: »faceva spesso venire dei Giovani d’ogni Nazione, anche meno
concosciuta e culta, per fargli cattolico e fargli bene allevare nella sua Corte, nella quäle vi era continuamente un’buon
numero di questi Neofiti Forestieri 5.« Florenz zählte bei seiner Thronbesteigung über einhundertfünfzig Kirchen,
einhundertsechzehn Klöster und vierundachtzig Bruderschaften6. Aber eine seltsame Vorliebe für extrem strenge
Orden zog immer neue Mönche herbei. Schon 1677 errichtete er den spanischen Alcantarinern Kirche und Konvent
neben seinem Lieblingsaufenthalt, der Villa Ambrogiana bei Montelupo, wo er mit ihnen »esercitava la sua devo-
zione«. Man hat gesagt, Cosimo »habe seinen Ruhm darin gesehen, von allen geistlichen Orden irgendein Specimen in
seinem Lande zu haben«. 1703 wurde für die Trappisten aus Frankreich, die er mit päpstlicher Lizenz herbeiholte, die
Abtei Buonsollazzo in der Wildnis am Monte Senario freigemacht und umgebaut. In demselben Jahre mußten die
Scopetiner die Kirche S. Iacopo oltr’Arno den römischen »Preti della Missione« räumen.
Von dem Ausmaß des Heiligen- und Reliquienkultes, dem der Großherzog huldigte, kann man kaum die rechte Vor-
stellung gewinnen. Den Gnadenbildern innerhalb und außerhalb von Florenz machte er wiederholt sehr reiche Stif-
tungen: der SS. Annunziata und der Maria Vergine von Impruneta, aber auch der Grabeskirche des hl. Franciscus
in Assisi und der Casa Santa zu Loreto. Den Kult der toskanischen Heiligen förderte er mit allen Mitteln. Die
hl. Maria Maddalena de’ Pazzi und der hl. Ranieri erhielten neue Grabstätten. Den Gebeinen des hl. Papstes
Stephanus, des Schutzpatrons seines Ritterordens, errichtete er einen kostbaren Porphyraltar in der IConventualkirche
zu Pisa; diesen Altar schmückte auch die Cathedra des Heiligen, welche Cosimo im Jubeljahre 1700 vom Papste erhal-
ten hatte. Längst vergessenen und apokryphen Heiligen verhalf er - gegen das Votum der Theologen - zu neuer Ver-
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