Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

„Und nun wollen wir das Programm für
die Tournee festsetzen!‘c sagte Prakosch,
der Impresario, und Hess seine vorahnende
Seele in jene Gefilde hinüberschweben, in
denen sich ausverkaufte Säle, glänzende
Kritiken und grossartige Kasseneinnahmen
zu lieblichen Gesammtbildern ergänzen.
„Gut, setzen wir fest!“ entgegnete Anton
Madrewsky, der jugendliche Pianist, der
sich in relativ kurzer Zeit zu einem Star in
der Musikwelt emporgeschwungen hatte.
„Die Hauptfrage lautet: wo beginnen wir
diesmal?“
„In Amerika, selbstverständlich,“ erwiderte
Prakosch; „wir müssen die Konjunktur aus-
nutzen, die das Resultat des spanischen
Krieges geschaffen hat: auf dem amerika-
nischen Geldmarkt ist Ueberfülle vorhanden,
alle Unternehmungen floriren gegenwärtig, da
erscheinen auch wir rechtzeitig auf dem
Schauplatz, um uns an der Dollar-Ernte zu
betheiligen. Aber eins wollen wir nicht ver-
gessen: Sie dürfen sich da drüben nicht auf
Sonaten,Fugen undRhapsodieen beschränken,
Sie müssen vielmehr auch solche Stücke
vortragen, welche der allgemeinen Stimmung
entsprechen, ich meine solche, die ge-
eignet sind, den neugebackenen amerikani-
schen Kriegsruhm zu verherrlichen.“
„Drücken Sie sich deutlicher aus, Herr
Prakosch; Sie kennen mein Repertoire und
wissen wohl, dass sich darin keine Kriegs-
tänze befinden.“
„Das ist ganz gleichgiltig, lieber Ma-
drewsky; Ihre Vortragsstücke werden eben
von uns umgetauft und von Ihnen unter
anderer Titelbezeichnung gespielt werden,
das merkt da drüben kein Mensch. Sie
spielen doch eine recht bravouröse Oktaven-
Etüde?“
„Allerdings, die von Alfred Grünfeld.“
„Eh bien, dieses Bravourstück wird in
Amerika eben nicht mehr Oktaven - Etüde
heissen, sondern: „Der Sturm auf Santiago“;
und die As-dur-Polonaise von Chopin spielen
Sie vorläufig unter dem Titel: „Die Erobe-
rung von Kuba“. Wenn wir ein wahrhaft
nationales Amerika - Programm zusammen-
stellen, steigern wir die Einnahmen um
wenigstens hundert Prozent, und diese Mehr-
einnahme zu erzielen, ist Pflicht des Impre-
sarios . . .“
„Sagen Sie lieber, des Sklavenhalters, Herr
Prakosch,“ entgegnete der Klaviervirtuose.
„Sie oktroyiren mir da Bedingungen, die ich
mir als anständiger Musiker eigentlich gar
nicht gefallen lassen dürfte. Aber was will
ich dagegen machen? Ich habe mich Ihnen
nun einmal auf Gnade und Ungnade verkauft,

4

Simson am Klavier.
Musik-Humoreske von Alexander Moszkowski.
und Sie disponiren über mich, wie über einen
Leibeigenen.“
„Zu Ihrem Besten, theuerster Apollosohn,
zu Ihrem eigenen Besten!“ rief der Manager
mit dem Brustton, der nur der edlen, sitt-
lichen Persönlichkeit eigen ist. „Was waren
Sie, als ich Sie aufgriff? Ein talentvoller
Techniker mit einem zweifelhaften Frack und
einem zweifellosen Ungeschick in allen ge-
schäftlichen Arrangements; und was sind
Sie heute? Der verwöhnte Liebling des
Publikums, der Künstler par excellence, der
wie ein Fürst reist und lebt, der sich jede
Caprice erfüllen kann, der grosse Madrewsky!
und wem verdanken Sie das?“
„Natürlich Ihnen, ganz allein Ihnen!“
ironisirte der Pianist; „meine Begabung,
meine Studien, meine ganz persönlichen
Leistungen, was wollen die am Ende besagen
gegen Ihre Geschäftskniffe und die Erfolge
Ihrer Reklame-Trics! Dafür lassen Sie
mich auch in diesem Jahre vierzig-
tausend Mark verdienen, während Sie muth-
masslich in der bevorstehenden Tournee den
vierfachen Betrag einsacken werden.“
„Hoffentlich mehr, das nennt man eben
Provision,“ sagte Prakosch, indem er eine
frische Havanna in Brand setzte. Mit Behagen
sog er die ersten Züge ein, blickte wie ver-
klärt den Rauchwölkchen nach und bemerkte;
„Ein köstliches Kraut, riechen Sie mal!“
Madrewsky setzte sein verdriesslichstes
Gesicht auf und entgegnete: „Das ist nun
schon seit einem Jahre meine Art des Tabaks-
genusses! ich darf mitriechen, wenn Sie
rauchen; und da wagen Sie zu behaupten,
dass ich meinen Capricen fröhnen dürfe!“
„Den erlaubten Capricen, nicht aber
denen, die Ihnen in Ihrem Berufe schädlich
werden können. Sie halten mich doch nicht
für geizig? Die elementarste Höflichkeit
würde mir ja gebieten, Ihnen von meinen
Havannas zu offeriren, wenn ich nicht wüsste,
wie Ihnen das schadet. Besinnen Sie sich
nicht mehr auf Odessa? wie Sie da durchs
Rauchen so nervös wurden, dass Sie die
Herrschaft über Ihre Finger und Handgelenke
verloren? Nun also!“
„Wenn ich nur nicht immer von meinen
Nerven hören müsste! eine gute Cigarre —
geht nicht, die Nerven! ein paar Flaschen
Wein — höchst bedenklich, die Nerven! eine
Partie Karten — regt zu sehr auf, die Ner-
ven! ein amüsanter nächtlicher Bummel —
strengstens verboten, die Nerven und immer
wieder die Nerven!“
„Ja allerdings, so ist es und so soll es
bleiben,“ sagte der Impresario in einem Ton-
fall, der jeden Widerspruch ausschloss; „da
Sie selbst leichtsinnig genug wären, Ihre
Nerven bei jeder Gelegenheit aufs Spiel zu
setzen und sich Ihre Zukunft zu verderben,
so sollten Sie Ihrem Schöpfer danken, dass
Sie in mir einen weisen und energischen
Hüter Ihrer Karriere gefunden haben. A pro-
pos, Madrewsky, was haben Sie denn mit
Ihrer Frisur gemacht?“
Madrewsky schüttelte seine prachtvolle
rothblonde Mähne und antwortete: „Was soll
ich denn damit gemacht haben?“
„Es kommt mir so vor, als ob die Haare
gestern länger oder dichter gewesen wären;

LUSTIGE BLÄTTER.

gewiss haben Sie sich wieder ein Paar Locken
abschneiden lassen “
„Nicht der Rede werth,“ versetzte der
Künstler; „nur fünf Medaillon-Strähnen, um
die mich Verehrerinnen gebeten hatten;
übrigens vorwiegend hübsche Damen, — ich
konnte ihnen das nicht gut abschlagen.“
„Honorar?“
„Das übliche: einen Kuss von jeder.“
„Hüten Sie sich, Madrewsky! auch das
schlägt schliesslich auf die Nerven; und ab-
gesehen davon: Sie sollten auf Ihrem Haupt
keinen Waldfrevel treiben lassen, die Er-
haltung Ihrer Mähne ist Lebensbedingung für
uns beide.“
„Machen Sie sich darüber keine Sorge,
Prakosch; diese Damen sind keine Delilas,
die es auf meine Enthaarung abgesehen
haben; wie Sie sehen, ist der Bestand noch
ganz anständig, und bis zum nächsten Konzert
in New-York . . .“
„Wir beginnen nicht in New-York.“
„Sie sagten doch vorher, dass wir mit
Amerika anfangen?“
„Ganz recht; aber ich habe die Arrange-
ments dahin getroffen, dass Sie das erste
Konzert der neuen Tournee auf der ,Nor-
manne während der Ueberfahrt geben.“
„Ich glaube doch nicht, dass ich dazu
verpflichtet bin-.“
'„Lesen Sie sich unseren Kontrakt durch:
Sie haben überall zu spielen, wo es mir
beliebt,“
„Jawohl, auf dem festen Lande.“
„Und auch auf dem Schiffe, natürlich nur
bei ruhigem Seegang, für den ich übrigens
garantire; das gehört mit zu meinen Arrange-
ments.“
„Sie werden mich schliesslich noch im
Luftballon konzertiren lassen!“
„Gewiss, wenn es was einbringt; aber
nun wollen wir endlich die Programmfrage
erledigen.“
Damit nahmen sie wieder den ursprüng-
lichen Gesprächsfaden auf, den sie nunmehr
bis zum befriedigenden Ende verfolgten.
Wenige Tage später erbrauste Madrewsky’s
erstes Konzert an Bord der ,Normannia£,
während drüben in New-York bereits haus-
hohe Plakate mit dem Bildniss des löwen-
mähnigen Tastenstürmers das Publikum zum
Billetkauf ermunterten.
Die amerikanische Expedition übertraf
in ihren Ergebnissen die kühnsten Erwar-
tungen. Seit dem Auftreten Anton Rubin-
steins in den Vereinigten Staaten war ein
ähnlicher Klavier-Erfolg nicht dagewesen.
Die Städte der Union überboten einander an
Enthusiasmus, der Beifall erreichte in jedem
Konzerte eine Stärke, die an das elementare
Tosen der Niagarafälle erinnerte, und wieder-
holt kam es vor, dass die Klavierdecke des
Steinway-Flügels unter der Last der auf-
gethürmten Lorbeerkränze zusammenbrach.
Madrewsky war die Parole der Saison, die
grössten Zeitungen leitartikelten über Ma-
drewsky, an den Börsen wurden Madrewsky-
Konzertbillets gehandelt, und in Washington
Hess der Senat eine Abendsitzung ausfallen,
um einer Madrewsky-Soiree in corpore bei-
wohnen zu können. Und in ähnlichen Er-
scheinungsformenwiederholte sich derErfolg,

No 36.
 
Annotationen