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Lustige Blätter: schönstes buntes Witzblatt Deutschlands — 25.1910

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No. 42
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https://doi.org/10.11588/diglit.47454#0912
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©er 2)1 orb in bet ^haboja-Scßlm'ht.
Bon Rudolf presber.

<Sf)e id) morgen vor ben ©efeßworenen
erfeßeine, um mid), beß vorfät)lid)en
FJlorbcß an ber ©orothea Bathinfa
Babel j au angcflagt, 311 verteibigen, muß id)
mir fclbft, gans fühl unb ruhig, ohne su be-
fd)önigcn, opne ju fälfd)en, baß Bilb jener
furchtbaren Sage ßeraufbefd)Wören, bamit id)
eß meinen Fließfern in feiner ganzen graufigen
Farbenpracht malen fann.
Fliemanb verffeßt, wie id), gerabe id),
basu fomtne, eine Fvau in ben fpäten Faßten
ißreß FHäbcßentumß in bie Siefe ber ^aboja-
Scßlucßt 311 ftürsen. Unb bod) tat icß’ß;
fann’ß unb will’ß nid)t leugnen. 3tvar ift ber
Ceidmam nid)t gefunben. ©iefeß faffe id)
aber nur alß eine bewußte ©auer - Flef (ame
ber Same auf.
3d) war immer galant. Qllß meiner
fleinen Scßwefter baß Flad)ttöpfd)en serbrad),
habe id) — vierjährig — baß meine geliehen
unb für fie bie prügel besogen. 3d) war ber
einsige, ber Wußte, baß Sante Caura falfd)e
3äßne unb feine ed)feren Coden hatte; benn
id) hatte einmal bei ihr übernachtet, alß mein
©roßvater alß einiger in ber Familie ben
Beudjßuften befam. Unb id) habe mein ©e-
ßeimniß biß heute bewahrt.
Bei unferen Binberfpielen heiratete id)
immer baß Cießcßen vom Budjbinbcr Sd)uls,
baß eine Stuppßnafe unb frumme Beine
hatte. 3d) Würbe and) mit bem £ießd)en ein-
gefegnet, weil niemanb anberß mit ihr in bie
Bird)e geßen wollte. Später, alß id) wirflid)
heiratete, ba nahm id) — meineß älteren
Bruberß Braut. ©ie hatte id) tröffen müffen,
weil fie ber Scßlingel fttjen ließ. Unb id)
ließ mid) erft von ihr fd)eiben, alß fie gern
ben Qlpotßefer heiraten wollte, ber baß un-
fehlbare ©Flittel gegen ben Sunbefloß erfunben
hatte unb 311 (Selb getommen war.
©amalß fing id) an Büd)er 3U fd)reiben.
3d) Weiß nid)t, ob fie gut waren; aber
moralifd) waren fie gewiß. Qßenn swei Ceute
fid) barin fußten, fo waren fie verheiratet
ober verlobt. Unb meine ©ßen trennte nur
ber Sob im leßten Bapitel. ©ß gibt Böfe-
Wid)ter barin, aber feine weiblid)en. ©ie
Frauen, bie barin vorfommen finb alle woßl-
gefittet unb in guten Fahren. Sinb ebel unb
ßilfßbereit unb gut gefleibet. Sroßbem
ernährten fie mid) nicht. ©ie Büd)er
nämlid).
3d) nahm alfo bie leitenbe Stellung an
einer belletriftifd)en 3eitfd)rift an. ©aß
ftanb aud) in ben 3eitungen; unb biefe eilige
Befanntgabe meiner 3Mäne würbe mein Un-
glüd. ©ureß biefe Flotis unter „SCQofaif"
würbe id) 3um Sd)Werverbred)er.
©f)e id) mid) ber neuen Qlufgabe wibmete,
unternahm id) eine ©rßolungßreife unb
mietete mid) auf bem „Ulirotßfopf" ein. ©er
Ulirotßfopf ift ein Berg, ber bamalß eigent-
lid) erft erfunben Würbe. ©r hat einen
„Sößenfurort", ber befteßt auß einem Sotel,
einem Seid), einer Qlllee unb einem 2lußfid)tß-
tcmpel. 3n bem Sbotel riedd’ß egal nad)
Serlaffenem Fett, an bem Seid) ried)t’ß nad)
toten Fifd)en, in ber Qlllee ried)t’ß nad)
lebenben Bül)en unb in bem Qlußßcßtß-
tempeldjen ried)t’ß nad) Binbern. Blan ficht
von bem Ulirotßfopf auß elf Seen. Oluf
bem '©rofpeft. Qlm Sage meiner Qlnfunft,
bem 4. 3ali, fah man swar feine elf Seen,

benn eß war Flegenwetter, aber feßr viel
mehr ©amen. Fließt mehr gans junge ©amen,
©ie faßen in ber Salle in Scßaufelftüßlen
um swei Spiritußöfcßen unb waren in feßr
malerifcße Südjer gewicfelt. ©inige trugen
Bneifer auf ber Flafe unb hatten ©mporlefe-
büdjer in ben Sänben. Qlnbcre häfelten.
2llle fpraeßen von ben Obermüllerß auß
Bremen, bie eben abgercift waren, weil Serr
Obermüller Fvoftbeulen befommen hatte.
Flid)t gut fpraeßen fie; benn bie Sod)ter ber
Obermüllerfd)en hatte fid) hier oben mit
einem Fleferenbar verlobt, ber fid) nid)t
einmal vorgeftellt, bloß verlobt hatte. Unb
fie fprachen aud) von ben Bleperß auß
Franffurt, bie eben angefommen waren. Flid)t
gut fprachen fie; beim bie Bleperß hatten
vier Sutfcßacßteln für swei ©amen bei fid)
unb Wollten an einem Sifd)d)en für fid) allein
elfen, nid)t an ber großen Safel. ©iefeß
macht 50 Pfennige mehr pro Sag unb ^erfon
unb einen fd)led)ten ©inbruef.
Qllß id) meinen Flamen in baß Fvemben-
bud) eingetragen hatte — befd)eiben flein unter
bie Fliefenbud)ftaben eineß Öfonomieratß auß
Sannover — unb von ber Sreppe $ufällig
Surücf faß inß Beftibül, beugte fid) eine fpinbel-
bürre ©ame, bie feineßfallß alß fold)e auffiel,
über baß Bud). Sie fd)ien fehr befriebigt
von ber Ceftüre. Sie hatte weit ßerauß-
gefämmte rotblonbe Saare, unb — id) weiß
nid)t warum — ein lila Banb barin, baß fid)
wie ber führte Schienenffrang einer Sod)-
gebirgßbaßn burd) bie Quellen ber Fvifur 30g
unb fehr neefifeß mit gans fleinen Blufcßeln
benäht war. Qlußerbem trug fie einen golbenen
Bneifer mit Bonfavgläfern, am vierten Finger
einen Siegelring mit einer Brone im Stein
unb hieß ©orotßea Batßinfa Babeljau.
©ieß fagte fie mir am Qlbenb bei Sifcß,
benn fie faß neben mir. ©ie anbern Wußten
eß offenbar feßon. 2lud) baß ihre Fllutter
ablig gewefen, — ber Siegelring, bad)t’ id)
— war am Sifd)e befannt. Qßie ich auß bem
bißfreten Cächeln beß Öfonomieratß auß
Sannover unb feiner ©amen gegenüber ent-
nahm. ©ie Clutter hieß „Cuja" — wiefo
weiß id) nid)t, id) hätte and) biefen Flamen
eher für eine 23eseid)nung für Seife ober
Frud)tbonbonß gehalten. Cuja würbe in ihrer
Fugenb nur „baß 23aroneßd)cn" genannt,
war hinreißenb fd)ön unb beraufd)enb talent-
voll unb ftarb beßhalb früh- 23om 23ater,
ber bürgerlid) war unb nid)t fd)ön, war nid)t
bie Flebe. ©och eyiffierte er beftimmt. ©ie
Sod)ter fah ihm offenbar ähnlich; benn —
id) fagte baß fd)on — bie FDlutter war hin-
reißenb fd)ön.
©ie Serrfd)aften gegenüber fprachen von
ben elf Seen, bie man nid)t feßen fann;
unb von bem Spasiergang in ber Qlllee, in
ber eß nad) 5?ühen rod); unb von bem Spasier-
gang nad) bem Sempeldjen, in bem immer
gerabe ein 23abp ein natürlid)eß QSebürfniß
verrid)tete, wenn fid) ein 5Turgaft bort nieber-
laffen Wollte, ©iefeß aber würbe nur bißfret
angebeutet.
©orothea Statl)infa Kabeljau aber fprad)
nur von fid). Unb von ber FJlutter, bem
pinreißenb fd)önen, beraufdjenb talentvollen
23aroneßd)en, alß beffen Fartfeßung fie fid)
gewiffermaßen auffaßte, ©ie 23cteiligung beß
QSaterß blieb burdjauß im ©unfel.

Sie ließ burcßblicfen, baß id) ihr biefen
bevorsugten QMaß am Sifd)e 3U verbanfen
hätte, ©ie „©eiftigen" müßten „sufammen-
halten", fagte fie; unb fie aß fehr viel Sammel-
feule mit 23ohnen basu. £lnb ße freute fid),
gehört ober gelefen 3U haben, baß id) bie
Ceitung einer illuftrierten 2Clonatßfd)rift über-
nehme, fagte fie; benn h^r fönne man
wahrhaft ©uteß unb ©roßeß Wirten, ©asu
aß fie eine Portion 5?irfchenfompott, bie eine
befcheibene vegetarifd) lebenbe Familie in
3citen ber Flöt burd)auß genügenb ernährt
hätte, ©ß fei fd)abe, meinte fie, baß id) ihre
FDlutter nid)t gefannt habe, bie Cuja hwß unb
baß 23aroneßd)en genannt würbe. Sß fei
eine bebeutenbe Frau gewefen. Sie felbft
habe fie leiber aud) nid)t gefannt; aber fie
freue fid), mid) fennen 3U lernen, ©asu aß
fie swei F?lohntörtd)en, woburd) bie ötonomifeße
23ered)nung beß Flad)tifd)ß nicht aufging unb
ber Öfonomierat auß Sannover ohne FJlohn-
törtd)en blieb. Sr beftellte grollenb bafür
Sarser 5?äfe, waß feine Beliebtheit am Sifdje
nid)t erhöhte.
Oluf meiner anbern Seite faß ein ßübfcheß
jungeß FJläbd)en, bie immer rot würbe, wenn
fie mir bie Saucen reid)te. Sie erinnerte mid)
mit ihrem glattgefdjeitelten Saar unb ihren
langbewimperten Qlugenlibern an ein QSilb
ber heiligen ßäcilie im FDlufeum su Brüffel
ober Qlntwerpen. Mnb id) mußte, währenb
©orothea ^athinfa Kabeljau fprad), immer-
Su benfen, ob biefe heilige ©äcilie nid)t bie
^atalognummer 243 habe, ©enn id) habe
suweilen ben 3al)len--©rall.
Für ben Qlbenb war F?lonbfd)ein prophe-
seit. ©er Saußfned)t mad)te baß. ©r war
auß bem Seffin unb fehr wetterfunbig. Sonft
fehlte ihm jebeß Salent unb ein Borbersahn.
Öfonomieratß hatten feßon ben emsigen S^aßn
auf bem Seid) — er „FDlöwe", rod) nad)
Seer, war immer halb voll QBaffer unb fehr
hart in ben Flubern — für eine „Benetianifd)e
Fladßt" beftellt. ©ß regnete aber, fo baß
Öfonomieratß ftatt ber venetianifd)en Bahn-
fahrt in ber Salle Sarof fpielten unb auf
baß Qßetter, bie Semperatur, ben Seid), ben
Bahn unb eine Familie in Sannover, bie
nid)t mit ihnen verfehren wollte, fd)impften.
3d) ftanb in bem ©laßbau ber Borhalle
unb fah in ben Flegen unb überlegte mir,
warum id) bei folcßem QBetter außgereeßnet
1095 FOletcr über bem Bleereßfpiegel mid)
beftnben müffe. 3um erften fiel mir ein, baß
1905 bie Birößenverfammlung su ©lermont
war, auf ber ^apft Urban II ben erften
Breussug empfahl; unb baran anfcßließenb
befcßäftigte id) meine ©ebanfen bamit, baß
im Faßre meiner 3immernummer — „48" im
erften Stocf — ©äfar über ben Flubico ging
unb ^ompejuß in ©gppten erftoeßen Würbe,
©a ftanb ©orotßea Batßinfa Babeljau neben
mir, lächelte unb hatte immer nod) baß lila
Bänbd)en mit ben vielen Blüfcßelcßen im
Saar.
Sie teilte mir mit, baß fie einen 3pfluß
„F31onb--©ebid)te" gefd)rieben ober eigentlich
mehr unbewußt „empfangen" habe, an ben fie
hier bie leßte Feile 311 legen benfe. Unb fie
prieß mid), baß id) in meiner neuen Stellung
bie Cprif pflegen werbe; wovon id) nod) gar
nid)tß gejagt hatte. 3d) hatte überhaupt
nid)tß gejagt. Qßeber von Cprif, nod) vom
 
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