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Die Bildnerei der deutschen Renaissance. — Riemenschneider. 211
denkmäler in Stein und Bronze, viele von einfach harmonischen Formen,
die Figuren von edler Charakteristik und vornehmer Haltung, dann zierliche
Sakramentshäuschen, phantasievoll geschmückte Kanzeln, aus dem Volksleben
gegriffene, dramatisch komponierte Stationen, empfindungstiefe Heilige Gräber
und durch die geistlichen Schauspiele beeinflußte, stimmungsvoll angeordnete
Ölberge.
Nirgends aber begegnet uns in diesen Arbeiten ein kecker Versuch zu
heißblütigem Losreißen von alten ererbten Formgesetzen, alle atmen noch den
Geist des heimatlichen gotischen Kunstideals. Nur die wachsende Vertiefung
der psychologischen Behandlung der geschilderten Vorgänge, ihre behagliche
Bereicherung mit kleinen, naiven oder derben Zügen persönlichen Erlebnisses
und die Umbildung des erstarrten Laub- und Astwerks des ornamentalen
Schmuckes zu naturwahren Lebensformen läßt bei schärferem Zusehen die innere
Umwandlung zu einer neuen, entwicklungsfähigen Stilrichtung, einem neuen
ästhetischen Ideal erkennen.
Mehr als je scheiden sich jetzt die Provinzen und die Lokalschulen:
Nord- und Süddeutschland gehen völlig getrennte Wege, aber auch Schwaben,
Bayern, Österreich, Franken, der Oberrhein und der Niederrhein bilden be-
stimmte Schulen aus. Und innerhalb dieser sehr produktiven Schulen ent-
faltet sich wieder eine blühende Heimatkunst, deren Wurzeln tief im Volks-
leben ruhen. Die Namen der Bildhauer und Holzschnitzer, die in dieser Zeit
als künstlerisch hochstehende Unternehmer, als Leiter großer Werkstätten, eine
führende Stelle behaupten, sind uns gewissermaßen Kollektivbegriffe geworden
für die mannigfache Eigenart provinzieller, lebendiger Formensprache.
Die bedeutendste Erscheinung in der niederfränkischen Plastik ist ohne
Zweifel der Holz- und Steinbildner Tilman Riemenschneider aus Osterode
am Harz (1468—1520). Meister Dill' ist kein großer Dramatiker, kein
Meister der frei bewegten Komposition, aber er zeichnet sich durch besondere
Reinheit der Empfindung, durch Wahrheit und Schönheit in den Köpfen,
durch schlichte Naivität in der Erzählung, besonders aber durch das Seelenvolle
und Elegische im Ausdruck vor den meisten Zeitgenossen aus. Vornehmlich
sind seine jugendlichen Köpfe mit dem leisen Anflug von Trauer voll sym-
pathischen Reizes. In seinen Gewändern folgt er dem scharf knitterigen
Stil der Zeit, weiß aber trotzdem Gestalt und Bewegung des Körpers darin
klar zum Ausdruck zu bringen und erhebt sich zuweilen zu feierlichem
Schwünge, zu reinem Adel. Damit verbindet sich in seinen eigenhändigen
Werken eine ungewöhnliche Sorgfalt der Durchbildung, die seinen Haupt-
schöpfungen einen Ehrenplatz unter den Meisterwerken jener Zeit verbürgt.
Zu diesen gehören das in Solnhoser Kalkstein ausgeführte, alle Vorzüge des
Meisters vereinende Grabmal Heinrichs II. und seiner Gemahlin Kunigunde
in Bamberg (Abb. 205 u. 97), der Marienaltar zu Kreglingen und die
Figuren von Adam und Eva vom Portal der Marienkapelle in Würzburg,
die ersten nackten Gestalten der deutschen Renaissance.

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