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Rudolph Lepke's Kunst-Auctions-Haus <Berlin> [Hrsg.]
Katalog / Rudolph Lepke's Kunst-Auctions-Haus, Berlin: Bibliothek Josef Kainz: Versteigerung: Dienstag, den 17. Januar 1911 und folgenden Tag — Berlin, Nr. 1598.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.17829#0006
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liehen, fördernden Umgang gepflogen hat. Aber auch der
Bibliophile wird hier manchen begehrenswerten Schatz ent-
decken, besonders Erstausgaben deutscher Klassiker, und unter
den großen Raritäten des Antiquariats vor allem die vierte
Folioausgabe von Shakespeare, die Kainz als seinen stolzesten
Besitz hütete. Wenn er Lesarten verglich, wenn sein Klar-
. heit verlangender Geist von den Mängeln der Ubersetzung
an den Urtext appellierte, so empfing aus diesen ersten Quellen
auch seine schauspielerische Phantasie ihre Nahrung, und das
elisabethinische Zeitalter war ihm so gegenwärtig, wie nur sein
Hamlet es uns unmittelbar und glaubhaft versinnlichen konnte.
Kainz gehörte zu den wenigen Darstellern, die nicht nur ihre
Rolle spielen, sondern die sich für das Ganze verantwortlich
fühlen und jedes Stück von innen her durchleuchten. Shake-
speares und Goethes Werke haben ihn auf jeder Wander-
schaft begleitet, auch der Homer, als er sich selbst in die
Schule nahm, um noch einmal griechisch zu lernen. Es war
ihm Bedürfnis, mit den Großen der Weltliteratur, auch wenn
sie nicht dramatisch geschaffen haben, beständig zu verkehren,
und wenn er von ihnen sprach, machte er den Eindruck eines
Zeitgenossen jeder lebendig gebliebenen Schöne; er wurde
auch ohne Kostüm zum Griechen und Römer, zum Renaissance-
menschen oder zu einem Bürger Weimars. Seine Bücher
bestätigen uns, was seine künstlerische Persönlichkeit uns
empfinden ließ, daß er, was ein Schauspieler immer sein sollte,
ein vorbildlicher Mensch war, eine Harmonie von Schwerem
und Leichtem, von dunkler Leidenschaft und hellem Bewußt-
sein, eine vollendete Einigung von Natur und Kultur. Er war
so lebendig wie keiner und wird es bleiben; denn ihn bewundern
und ehren heißt nicht im Kultus der Persönlichkeit schwelgen,
sondern sich selbst eine Aufgabe setzen.

ARTHUR ELOESSER.
 
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