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Rudolph Lepke's Kunst-Auctions-Haus <Berlin> [Hrsg.]
Katalog / Rudolph Lepke's Kunst-Auctions-Haus, Berlin: Bibliothek Josef Kainz: Versteigerung: Dienstag, den 17. Januar 1911 und folgenden Tag — Berlin, Nr. 1598.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.17829#0005
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Mit fünfzehn Jahren entlief Kainz dem Gymnasium,
dem er durchaus nicht zur Zierde gereicht hatte.
Ein dünnbeiniger Junge, dem die Mutter die Trikots
mit Watte füllen mußte, mit einer Mähne begabt,
die unter der Brennschere die großartigsten Effekte
leistete, spielte er an dem meist von Dilettanten besetzten
Niklastheater in Wien junge Helden, Liebhaber, Lebemänner,
Verführer und Abenteurer im unbedenklichsten Durcheinander.
Mit siebzehn Jahren fand er im steirischen Marburg das erste
Engagement; seiner grünen Jugend wird schon der Faust an-
vertraut, und in einer Woche lernt er vier oder fünf neue
Rollen. Was weiß er von der Wirklichkeit, vom Alter der
Welt, von ihren grauen Sorgen, von den rostigen Schätzen
ihres Wissens? Er träumt von Königsmänteln, weißen Atlas-
schuhen, erhabenen Ritterstiefeln, vergoldeten Rüstungen, von
klirrenden Schwertern, von Hall und Schall großer feierlicher
Worte, die das Herz der Menge erheben und rühren.

Zwanzig Jahre später ist er im Besitz einer reichen und
tiefen Bildung, die ihm ein wahrhaft faustisches Bemühen er-
worben hat, und obgleich die Schule so wenig für ihn tat,
haftet ihm nichts von flüchtigem Dilettantismus, nichts von
eigensinnigem Autodidaktentum an. Sein Geist ist jedem Gebiet
des Wissens zugänglich, aber er bleibt ebenso gründlich wie
beweglich. Seine Bibliothek, die alle Fakultäten umfaßt, gibt
den universalen Umfang seiner wissenschaftlichen und lite-
rarischen Interessen an. Trotz ihrem Reichtum und einer Voll-
ständigkeit, die sich von der Astronomie und Anthropologie
zur Philosophie und Philologie erstreckt, Josef Kainz war kein
Büchersammler, sondern vielmehr ein gewaltiger Leser, und
es dürfte kaum ein Buch da stehen, mit dem er nicht inner-

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