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Loewy, Emanuel
Neuattische Kunst — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 35: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.61242#0007
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1.
Kurz nach der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. war
in Kleinasien ein neues Königtum, das pergame-
nische, emporgekommen. Ein unansehnliches, stilles
Landstädtchen war gleichsam über Nacht die Haupt-
stadt eines mächtigen Reiches geworden. Bauten und
Denkmäler aller Art wuchsen aus dem Boden. Aber
eines fehlte: eine Vergangenheit. Und doch wollte man
es den älteren Stätten griechischer Kultur gleichtun.
Und man war reich: so erwarb man ältere Kunstwerke,
wie man sie haben konnte. Und war Begehrtes nicht
im Original zu gewinnen, ließ man es — kopieren, ähn-
lich wie aus Abschriften von Werken der Literatur eben
damals die ersten Bibliotheken entstanden.
Den mächtigsten Antrieb zur Nacheiferung bot Athen,
der kulturelle Inbegriff des Hellenentums. Aus den
Trümmern der Königsburg von Pergamon ist mehr als
eine Kopie von Statuen der Akropolis zutage gekommen,
darunter eine der großen goldelfenbeinernen Athena des
Phidias mit ihrem reliefgeschmückten Sockel (1), im
Stile freilich nur annähernd treu. Sie stand nicht im
Tempel, sondern vor der Bibliothek, im Freien. In
anderen Fällen schloß sich auch die Verwendung eng
an die ursprüngliche an. Bei einem Fleiligtum des Dio-
nysos in Pergamon wurden Stücke einer zylindrischen
Basis, wahrscheinlich eines Dreifußes, mit lebensgroßen
tanzenden Mädchen (2) gefunden. Es war die in den
Maßen getreue, wenn auch wieder etwas eigenwillige
Kopie eines gleichem Zwecke dienenden, wohl sicher
athenischen Denkmals.
Damit geschah ein in der Kunst, zum mindesten des
Abendlandes, Neues: Gegenwartsbedarf greift auf ver-
gangene Kunst zurück. Es ist der Beginn einer tiefer
und weiter reichenden klassizistischen Bewegung. Der
gewohnte Kreis statuarischer Aufgaben war im wesent-
lichen abgeschlossen; immer ausgedehnter bedienen sich

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