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Lotz, Wolfgang
Der Taufbrunnen des Baptisteriums zu Siena — Der Kunstbrief, Band 50: Berlin: Mann, 1948

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https://doi.org/10.11588/diglit.73089#0007
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I.
Wie das Mittelalter in seiner Architektur für alle bedeutenden
Stufen des menschlichen Daseins eine steinerne Ordnung gefunden
hat, so hat es auch für die Taufe, die Dante das Tor des Lebens
nennt und die Voraussetzung aller Gnade ist, eigene Kirchen
errichtet. Diese Baptisterien lagen vor dem Eingang der Dome
wie die Taufe vor dem Eingang ins Dasein. Sie umschlossen
in ihrer Mitte große runde oder vieleckige Becken; hier wurde
die heilige Handlung, entsprechend ihrer uralten Bedeutung als
reinigendes Bad, durch Untertauchen vollzogen.
Als der Große Rat der toskanischen Stadt Siena im Jahre 1414
der Dombauhütte den Auftrag gab, für die Errichtung eines neuen
Taufbrunnens Sorge zu tragen, war die alte Form des Unter-
tauchens, eine Erinnerung an die frühchristliche Zeit, in der man
vor allem Erwachsene taufte, schon fast vergessen. Man hatte sich
im Laufe des 14. Jahrhunderts daran gewöhnt, den Täufling auf
symbolische Weise mit dem geweihten Wasser zu besprengen. So
waren die großen Becken des frühen Mittelalters entbehrlich ge-
worden; an ihre Stelle traten die brunnenähnlichen Schalen, die
wir noch heute in Taufkapellen zu benutzen pflegen.
Eine ähnliche Gestalt zeigt auch der Taufbrunnen, von dem
hier die Rede ist. Das Baptisterium von Siena liegt, anders als
seine frühmittelalterlichen Vorgänger, unter dem hochgelegenen
Chor des gotischen Domes; wie alle Taufkirchen ist es Johannes
geweiht, dem Täufer des Heilands. Wer das Innere der Kirche
S. Giovanni in Siena betritt, nimmt an der Stirnwand des Tauf-
beckens die Darstellung der Taufe Christi im Jordan, auf dem
bekrönenden Aufsatz des Brunnens die marmorne Statue des Täu-
fers wahr (Abb. 1). Hat sich der Besucher an das Halbdunkel ge-
wöhnt, so sieht er den Taufbrunnen als den Mittelpunkt eines
mäßig großen breitgelagerten Raumes vor sich: zwei breite, kon-
zentrisch angeordnete Stufen tragen ein sechsseitiges Becken, in
dessen marmorne Wände Bronzereliefs eingelassen sind. Zwischen

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