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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.29616#0050
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36

Erstes Buch.

ausbreiteten. Hatte man aber auf diese Weise sich die Möglichkeit eines
annehmlichen Daseins geschaffen, so strebte man auch danach, die Spuren
desselben in bleibenden Denkmälern der Nachwelt aufzubewahren: es er-
wachte der Trieb nach historischer Existenz,
ä Noch einen tieferen Einfluss aber gewann der wunderbare, wohlthätige
Strom auf die Menschen, indem er ihnen das Bild einer strengen Regel und
Gesetzmässigkeit gab und sie selbst zu Ordnung und Regelmässigkeit an-
hielt. Allen ihren Einrichtungen prägte sich dieser Geist festbegründeter
Norm, die kein Irren und Schwanken kennt, ein, und der Volkscharakter
erhielt eine scharfe und einseitige Ausbildung des Verstandes. Doch dürfte
nicht jede Eigentümlichkeit der alten Aegypter aus jenen Naturbedingun-
gen allein herzuleiten sein. Dieses merkwürdige Volk scheint einen ange-
bornen Sinn für ernste, würdevolle Auffassung des Daseins, für Betrach-
tungen von weniger mystisch-spekulativer, als praktisch-moralischer Fär-
bung gehabt zu haben. Gewiss ist, dass keinem Volke des Altertumes die
Vorstellung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Le-
bens und von der Fortdauer der Seele nach dem Tode, und daraus hervor-
gehend der Kultus des Todes, so geläufig war wie den Aegyptern. Daraus
ergab sich die Macht des Priesterthumes, das die vornehmste Kaste bildete
und durch seinen Einfluss, der vermöge der bekannten Todtengerichte über
dieses Leben hinausreichte, selbst die Person des Königs beherrschte. In
den Händen der Priester war die Pflege der Wissenschaften, besonders der
Geometrie und Astronomie, und durch die strenge Kasteneintheilung, wel-
che alle Einrichtungen des Lebens durchdrang, war die Erblichkeit jener
Lehren und Kenntnisse gesichert.

Die Religion des Volkes war zwar eine vielgötterigev aber in den
Hauptgottheiten Isis und Osiris waren zunächst nur die natürlichen Er-
scheinungen der Nilanschwellung symbolisch ausgedrückt. Im fiebrigen
gesellte sich ein Thierkultus von ziemlich roh sinnlichem Gepräge hinzu,
wie denn auch selbst den Göttern Thierköpfe gegeben wurden. Neben die-
ser allgemein verbreiteten Lehre wird jedoch auch eine mehr philosophische
Auffassung bestanden haben, die indess eine klare Ausprägung um so we-
niger gewonnen zu haben scheint, als die Geistesrichtung der Aegypter der
philosophischen Spekulation keineswegs günstig war. Für den vorwiegen-
den Trieb nach geschichtlichem Leben, so wie für das Bedürfniss bildne-
rischer Thätigk eit spricht die merkwürdige Erfindung der Hieroglyphen,
in welcher ungefügen Schrift denkwürdige Thaten und Ereignisse den Mauern
der Denkmäler eingegraben sind.

Aegyptens Geschichte reicht bis in die graueste Urzeit hinauf, bis zu
Jahrhunderten, aus denen von keinem anderen Volke der Erde eine Kunde
zu uns gedrungen ist. Eine etwa 2000 Jahre vor Chr. stattgehabte Erobe-
rung durch ein fremdes barbarisches Nomadenvolk, die Hyksos, macht
einen Einschnitt in die Geschichte des Landes, die danach als die des
alten und des neuen Reiches sichtheilt. Vor mehr als 3000 Jahren
vor Chr. errichtete man schon die Kolossalbauten der Pyramiden, die dem
alten Reiche von Memphis in Unter-Aegypten angehören. Die letzte Zeit,
den Blüthenpunkt des alten Reiches, bezeichnen die Felsengräber von
Beni-Hassan in Mittel-Aegypten und wahrscheinlich der als grosser Was-
serbehälter ausgegrabene Mörissee. Die Herrschaft der Hyksos wurde nach
 
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