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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart (Band 2) — Leipzig, 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.26746#0098
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8o

Fünftes Buch.

aus ähnlichen durch die Bodenbefchaffenheit gebotenen Gründen, auf fteinerne
Gewölbe meiftens verzichtete. Nur die niederen Seitenräu'me find mit folchen
verfehen, die Wölbungen der hohen MittelfchifFe werden dagegen in der Regel durch
intereflante Holzconflructionen gebildet. Neben diefen den franzöfifchen Kathe-
dralen nachgebildeten bafilikalen Hochkirchen kommen aber auch, wenngleich
nicht in fehr großer Zahl, Hallenkirchen vor, welche ohne Zweifel von Deutfch-
land her, wo wir die früheften diefer Bauten finden, eingedrungen find. Dadurch
erhält der ganze Bau eine noch weitere felbft bis in’s Nüchterne gehende Verein-
fachung. Das Aeußere der holländifchen Kirchen trägt dasfelbe Gepräge großer
Einfachheit, wozu hauptlächlich der Umfland beiträgt, daß in Ermangelung flei-
nerner Wölbungen die Strebewerke fehr reduzirt werden. Nur der meiftens fehr
Hattlich angelegte Weftthurm mit feinen fchlichten lpitzbogigen Arkaden und
Bogengefimfen gibt den Kirchen eine bedeutfamere Wirkung. Vielleicht den
fchönften diefer Thürme befitzt die Kirche zu Vught bei Herzogenbufch*); ein
nicht minder bedeutender erhebt fich an der Kirche zu Zierikzee, diefer jedoch
unvollendet. Die Niederlande theilen überhaupt mit Deutfchland die Vorliebe
für riefig emporfleigende Thurmbauten, die freilich, wie überall, nur feiten voll-
endet wurden. Der Thurm des Doms zu Utrecht, obwohl nicht ausgebaut,
mißt immerhin 354 F.; die beiden Kirchen zu Delft zeigen dagegen vollftändig
ausgeführte Thürme und zwar, was hier fehr feiten ift, mit fteinernen Helmen.
Andere anfehnliche Thürme finden fich zu Deventer und Breda in Quadern,
zu Rotterdam, Dordrecht, Zütphen in Backflein, doch find auch die Qua-
derbauten in demfelben fchlichten maffenhaften Charakter behandelt wie die
Ziegelbauten, ln Belgien hatte der Thurm der Kirche zu Airfchot urlprünglich
eine Höhe von 488 F., derjenige der Kathedrale zu Mecheln war gar auf gegen
600 F. geplant, der Thurm von S. Waltrud in Mons foll gegen 570 F. gemeflen
haben, und die Kathedrale zu Löwen follte fogar drei coloffale Thürme fämmt-
lich nach deutfcher Sitte mit durchbrochenen Steinhelmen erhalten. Bemerkens-
werth ift noch, daß die Frühzeit nur vereinzelt vertreten ift, und eine bedeuten-
dere Bauthätigkeit erfl mit dem 14. Jahrhundert beginnt und fich bis in’s 16.
fortfetzt. In Folge deffen gehören denn auch die Einzelformen, namentlich die
Fenftermaaßwerke, meiftens den fpäteren Entwicklungen an; es find die Fiich-
blafenmufter, welche in letzteren vorherrfchen, nicht feiten in Combinationen, die
auf eine Einwirkung der benachbarten weftfälifchen Bauten, namentlich der Schule
von Münfter (Lambertikirche, vgl. Fig. 576), hindeuten. Ueberhaupt fcheint in der
Spätzeit der deutfche Einfluß an die Stelle des in der Frühepoche vorwiegenden
franzöfifchen zu treten.

Dom zu Bedeutend und großartig tritt das franzöfifche Kathedralen-Syflem hervor am
Dom zu Utrecht, defien Chor mit Umgang und fünf polygonen Kapellen fchließt,
und fammt dem Kreuzfchiff von 1251 bis 1267 errichtet wurde. Der große
Weftthurm mit zweitem verjüngten quadratifchen Stockwerk auf dem breiten
Untergefchoß und fchlankem achteckigen Auffatz ftrebt, wenngleich nicht in glück-
s. Stephan licher Weife, eine lebendigere Entfaltung an. Auch S. Stephan zu Nymwegen
Nymwegen, wurde noch im 13. Jahrh. begonnen, obwohl die wefentlichen Theile erft dem fol-
genden Jahrhundert angehören. Das Innere ift ganz in Häuflein ausgeführt, das

*) Abgebilclet bei Redtenbacher, in Romberg’s Zeitfchr. 1875. Taf. 33
 
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