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Schwarz-Mackensen, Gesine
Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Heft 12): Jägerkulturen zwischen Harz und Aller: Oberflächenfundplätze der älteren und mittleren Steinzeit im Braunschweigischen — Hildesheim: Verlag August Lax, 1978

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.65518#0029
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und sich nutzbar zu machen. Damit in Zusammenhang wird man Rituale abgehalten haben, die
den Reichtum der wichtigsten Nahrungsquelle, der Tiere— bestimmter Tiere — sichern und unvor-
hergesehene Katastrophen verhüten helfen sollten. Unsicher bleibt freilich, ob die Deutung ganzer,
versenkter zweijähriger Renkühe im Teich von Stellmoor als Opfer stichhaltig ist (RUST 1943, S.
133—135). Weshalb sollte nicht nach erfolgreicher Jagd vom Überfluß der Beute ein Teil im Teich
aufbewahrt worden sein (POHLHAUSEN 1953)? Damit stoßen wir an die Grenzen der Deutungs-
möglichkeiten archäologisch festgestellter Tatbestände.
Den aus dem Süden Frankreichs und aus Spanien bekannten Höhlenmalereien des
Magdalenien entsprechen figürliche Gegenstände der Kleinplastik und impressionistisch anmutende
Ritzungen auf Steinplatten, die überall dort gefunden werden, wo man die Einflüsse des Magdale-
niens auch aus den Formen der Steingeräte zu fassen meint. Die Darstellungen umkreisen zwei
Themen: es werden Tiere — offenbar Jagdtiere — abgebildet (in Gönnersdorf im Neuwieder Becken
fand man Darstellungen von Elch, Hirsch, Nashorn, Mammut, Wildpferd (BOSINSKI 1975, vgl.
auch FEUSTEL 1974). Zu diesen treten gelegentlich ihre Jäger hinzu. Außerdem ritzte man betont
weibliche Figuren in den Stein. Wertet man die Tierritzungen überwiegend als Bestandteil eines
Jagdzaubers, so ging es bei der Darstellung weiblicher Gestalten wohl um den Bestand oder die
Zunahme der Fruchtbarkeit des Menschen. Zwar sind beide Deutungen nicht zu sichern, doch
macht sie die Wiederholung dieser Themen über weite Teile von Europa glaubwürdig, und es liegt
nahe, daß damit zwei der wichtigsten Lebensbereiche, um die das Denken jener Menschen kreiste,
angesprochen werden.
Aus dem Mesolithikum kennt man Kopfaufsätze, die aus dem Schädeldach mit darangelassenem
Geweih eines kapitalen Hirsches hergestellt worden sind (z. B. Star Carr: CLARK 1954,
S. 107 f.). Diese Hirschmasken wertet man als Reste einer Tierverkleidung, in denen ein einzelner
aus der Gruppe die Gestalt des wichtigsten Jagdtieres annahm, um damit im Ritual Jagd-
zauber (?) zu vollführen, sich der Kräfte des Jagdtieres und zugleich der Kräfte über das Jagdtier
zu versichern. Ob die dahinter stehenden Vorstellungen und das Ritual selbst schamanistische Züge
trugen, bleibt für diese Zeit mehr als fraglich (ELIADE 1957, S. 148 ff.; VAJDA 1964, S. 288). Im
Mesolithikum vielfach auf Knochen- oder Geweihgeräten eingeritzte oder eingekerbte, rein
ornamentale Muster sind nicht deutbar. Die Ähnlichkeit zu australischen Motiven auf Kultob-
jekten, Rinden- und Felsmalereien ist zwar unverkennbar (MC CARTHY 1966, chapt. 8), und wahr-
scheinlich stellten diese Ornamente Zeichen und Symbole dar, die nicht mehr zu entschlüsseln sind.
Doch die australischen Gegenstücke sind zeitlich und räumlich zu entlegen, als daß es statthaft
wäre, dort erfaßte Deutungen auf die mesolithischen Zeichen hier anzuwenden.
Die Gräber und ihre Ausstattung erlauben einen letzten Zugang in die Geisteswelt jener Zeit.
Hier soll nicht erörtert werden, was daraus zu erschließen ist, wenn der Tote in hockender Stellung
oder in Strecklage, mit angewinkelten oder gekreuzten Armen beigesetzt wurde. Gräber aus
vorneolithischer Zeit sind verhältnismäßig selten. Das kann mehrere Ursachen haben. Entweder
fand man die Gräber einfach nicht, oder man erkannte sie nicht, weil darin zu wenig kennzeichnende
Formen lagen. Möglicherweise erklärt sich dieser Sachverhalt aber auch du ch die Analogie zu
rezenten Jägergruppen, bei denen die Bestattung nur der letzte Abschnitt eines umfangreichen
Handlungsablaufs gewesen ist, dem jeder Tote, je nach Geschlecht, Lebensalter beim Tode und
Stellung in der Gemeinschaft, in unterschiedlicher Form unterworfen wurde, um nicht die Gruppe
der Lebenden zu gefährden. So lassen sich einmal die nur sehr sporadisch gefundenen Gräber er-
klären, zum anderen merkwürdige Erscheinungen, die an Bestattungen aus mesolithischer und epi-
mesolithischer Zeit bemerkt wurden, deuten, wie Einzelbestattung des Kopfes oder des Unter-
körpers, das Fehlen von Händen und Unterarmen oder Füßen, eine Doppelbestattung, bei der die
Frau durch einen Schlag auf den Kopf zu Tode kam, Senkrechtbestattungen offenbar bedeutender
Personen der Gemeinschaft und Gruppenbestattungen auf „Inseln der Toten“ (HÄUSLER 1962,
S. 1142—1170). Diese Vielfalt konnte für allerdings recht späte Jägergruppen Osteuropas gezeigt

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