nern. Erst ab dem fünften Dezennium ähneln sich die Werte der Lebenserwartung bei beiden Ge-
schlechtern wieder, wobei im siebten Lebensjahrzehnt sogar etwas günstigere Bedingungen im
weiblichen Geschlecht zu beobachten sind. Die höhere Sterblichkeit bzw. niedrigere Lebenserwar-
tung von Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter entspricht durchaus der zur Zeit gängigen For-
schungsmeinung, daß Frauen dieser Altersstufen - bis ins 19. Jahrhundert hinein - aufgrund einer
Vielzahl von Belastungen als Frau und Mutter sowie im Haushalt einer Übersterblichkeit ausgesetzt
waren und sich ihre Lage oftmals erst nach dem vierzigsten oder fünfundvierzigsten Lebensjahr
besserte, wenn keine Schwangerschaften mehr eintraten (vgl. Imhof 1981, 158). Wenngleich sich
derartiges auch bei der Bearbeitung von Skelettfunden zeigt, so konnten doch daran zumindest für
die Verhältnisse der Neuzeit Zweifel angemeldet werden. Anhand einer Zusammenstellung von 19
Stichproben fand Caselitz (1984, 188 f.) bei 12 Bevölkerungen eine höhere Lebenserwartung bei
den zwanzigjährigen Frauen als bei den gleichaltrigen Männern. Eine analoge Betrachtung für vor-
und frühgeschichtliche Zeiten ist immer noch ein Desiderat der Forschung, so daß wir die Gods-
horner Befunde erst einmal für sich sprechen lassen möchten.
4.3. Rekonstruktion einer Lebendbevölkerung
Während wir uns im vorangehenden Kapitel mit dem Sterbeverhalten der Bevölkerung Godshorn
beschäftigt haben, soll im folgenden der Versuch unternommen werden, Aussagen über einige Para-
meter einer Lebendbevölkerung zu tätigen. Im Einzelnen wird auf den Altersaufbau, die Bevölke-
rungsgröße der Bestattungsgemeinschaft und ansatzweise auf die Fertilitätsstrukturen einzugehen
sein. Damit wird bewußt ein Weg eingeschlagen, der sich deutlich vom traditionellerweise beschrit-
tenen unterscheidet. Er dürfte jedoch nicht nur für osteoarchäologische Fragestellungen neue Er-
kenntnisse erbringen, sondern vielmehr auch zur Lösung von Problemfeldern der allgemeinen Ar-
chäologie beitragen. Es sei darauf hingewiesen, daß nicht alle der im folgenden herangezogenen
Methoden in der wissenschaftlichen Diskussion bereits vollständig abgehandelt sind. Ferner sei
auch angemerkt, daß angesichts des nicht sehr großen Umfanges des vorliegenden Gräberfeldes die
Angaben nicht zu absolut gesehen werden sollten.
4.3.1. Altersaufbau
Die Größe des Altersaufbaues bezieht sich auf die Gesamtheit der Individuen einer lebenden Be-
völkerung und unterscheidet sich damit deutlich von der altersmäßigen Verteilung innerhalb der
Bestatteten eines Gräberfeldes. Im Gegensatz zur Demographie rezenter Bevölkerungen, die diesen
Altersaufbau in Form einer Alterspyramide anschaulich darzustellen vermag, muß dies bei nicht re-
zenten Populationen in Form einer Lebenspyramide geschehen (vgl. Diskussion bei Caselitz 1984,
159 ff.). Dabei wird wie bei der Betrachtung des Sterbeverhaltens zwar auch von den Gestorbenen
einer Altersklasse ausgegangen, jedoch wird aus dieser Meßgröße auf die Summe der von allen In-
dividuen der Bevölkerung gelebten Jahre pro Altersklasse geschlossen, die dann als relativer Wert,
bezogen auf die Summe aller gelebten Jahre, angegeben wird (vgl. Gebühr 1975, Anm. 12). Bei die-
sem Verfahren ist von primärem Interesse, wieviele Individuen der zu analysierenden Bevölkerung
die einzelnen Altersklassen durchlebt haben. Da jede dieser Altersstufen von den in diesem Alter
Gestorbenen nicht sämtlich ganz ,durchlebt' worden sind, rechnen wir für diese Personen den Zeit-
abschnitt, in dem sie gestorben sind, nur zur Hälfte ein, also gerade so, als seien sie in der Mitte der
Stufe verstorben (Gebühr 1975, Anm. 12).
In Abbildung 12 wird die Lebenspyramide der Bevölkerung von Godshorn auf der Basis von Al-
tersklassen mit einer Zehn-Jahres-Spanne - unter Vernachlässigung geschlechtsspezifischer Unter-
schiede (vgl. unten) - wiedergegeben. Die Wahl einer kleineren Klasseneinteilung ist angesichts der
oftmals recht langen Spannen der Sterbealtersangaben nicht sinnvoll. Einem hypothetischen Besu-
cher der bronze- und ältereisenzeitlichen Bevölkerung hätte sich folgende altersmäßige Zusammen-
setzung der Gruppe geboten: Fast die Hälfte (49,38 Prozent) bestand aus Kindern und Jugendli-
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schlechtern wieder, wobei im siebten Lebensjahrzehnt sogar etwas günstigere Bedingungen im
weiblichen Geschlecht zu beobachten sind. Die höhere Sterblichkeit bzw. niedrigere Lebenserwar-
tung von Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter entspricht durchaus der zur Zeit gängigen For-
schungsmeinung, daß Frauen dieser Altersstufen - bis ins 19. Jahrhundert hinein - aufgrund einer
Vielzahl von Belastungen als Frau und Mutter sowie im Haushalt einer Übersterblichkeit ausgesetzt
waren und sich ihre Lage oftmals erst nach dem vierzigsten oder fünfundvierzigsten Lebensjahr
besserte, wenn keine Schwangerschaften mehr eintraten (vgl. Imhof 1981, 158). Wenngleich sich
derartiges auch bei der Bearbeitung von Skelettfunden zeigt, so konnten doch daran zumindest für
die Verhältnisse der Neuzeit Zweifel angemeldet werden. Anhand einer Zusammenstellung von 19
Stichproben fand Caselitz (1984, 188 f.) bei 12 Bevölkerungen eine höhere Lebenserwartung bei
den zwanzigjährigen Frauen als bei den gleichaltrigen Männern. Eine analoge Betrachtung für vor-
und frühgeschichtliche Zeiten ist immer noch ein Desiderat der Forschung, so daß wir die Gods-
horner Befunde erst einmal für sich sprechen lassen möchten.
4.3. Rekonstruktion einer Lebendbevölkerung
Während wir uns im vorangehenden Kapitel mit dem Sterbeverhalten der Bevölkerung Godshorn
beschäftigt haben, soll im folgenden der Versuch unternommen werden, Aussagen über einige Para-
meter einer Lebendbevölkerung zu tätigen. Im Einzelnen wird auf den Altersaufbau, die Bevölke-
rungsgröße der Bestattungsgemeinschaft und ansatzweise auf die Fertilitätsstrukturen einzugehen
sein. Damit wird bewußt ein Weg eingeschlagen, der sich deutlich vom traditionellerweise beschrit-
tenen unterscheidet. Er dürfte jedoch nicht nur für osteoarchäologische Fragestellungen neue Er-
kenntnisse erbringen, sondern vielmehr auch zur Lösung von Problemfeldern der allgemeinen Ar-
chäologie beitragen. Es sei darauf hingewiesen, daß nicht alle der im folgenden herangezogenen
Methoden in der wissenschaftlichen Diskussion bereits vollständig abgehandelt sind. Ferner sei
auch angemerkt, daß angesichts des nicht sehr großen Umfanges des vorliegenden Gräberfeldes die
Angaben nicht zu absolut gesehen werden sollten.
4.3.1. Altersaufbau
Die Größe des Altersaufbaues bezieht sich auf die Gesamtheit der Individuen einer lebenden Be-
völkerung und unterscheidet sich damit deutlich von der altersmäßigen Verteilung innerhalb der
Bestatteten eines Gräberfeldes. Im Gegensatz zur Demographie rezenter Bevölkerungen, die diesen
Altersaufbau in Form einer Alterspyramide anschaulich darzustellen vermag, muß dies bei nicht re-
zenten Populationen in Form einer Lebenspyramide geschehen (vgl. Diskussion bei Caselitz 1984,
159 ff.). Dabei wird wie bei der Betrachtung des Sterbeverhaltens zwar auch von den Gestorbenen
einer Altersklasse ausgegangen, jedoch wird aus dieser Meßgröße auf die Summe der von allen In-
dividuen der Bevölkerung gelebten Jahre pro Altersklasse geschlossen, die dann als relativer Wert,
bezogen auf die Summe aller gelebten Jahre, angegeben wird (vgl. Gebühr 1975, Anm. 12). Bei die-
sem Verfahren ist von primärem Interesse, wieviele Individuen der zu analysierenden Bevölkerung
die einzelnen Altersklassen durchlebt haben. Da jede dieser Altersstufen von den in diesem Alter
Gestorbenen nicht sämtlich ganz ,durchlebt' worden sind, rechnen wir für diese Personen den Zeit-
abschnitt, in dem sie gestorben sind, nur zur Hälfte ein, also gerade so, als seien sie in der Mitte der
Stufe verstorben (Gebühr 1975, Anm. 12).
In Abbildung 12 wird die Lebenspyramide der Bevölkerung von Godshorn auf der Basis von Al-
tersklassen mit einer Zehn-Jahres-Spanne - unter Vernachlässigung geschlechtsspezifischer Unter-
schiede (vgl. unten) - wiedergegeben. Die Wahl einer kleineren Klasseneinteilung ist angesichts der
oftmals recht langen Spannen der Sterbealtersangaben nicht sinnvoll. Einem hypothetischen Besu-
cher der bronze- und ältereisenzeitlichen Bevölkerung hätte sich folgende altersmäßige Zusammen-
setzung der Gruppe geboten: Fast die Hälfte (49,38 Prozent) bestand aus Kindern und Jugendli-
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