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Mannheimer Morgenblatt — 1843

DOI Kapitel:
Juli (No. 152 - 177)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44564#0682
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Folgen einer Boule⸗Partie.

Schulzs Gattin war mir eine freue Freundin; doch ſchon nach
einent Jahre ſenkie man ſte in's Grab. Der Kunmmer über das Un-
gluͤck ihres Gatten, der durch den Stutz mehrerer Handelshaͤuſer in
kurzer Zeit ſein unter Fleiß und Sörgen erworbenes Vermoͤgen verlo-
ren hatte, untergrub ihr Daſein. Ihr Gatte, der ſie zaͤrtlich liebte,
uͤberlebte ſie nur um wenige Monden. Die Pflicht gebot mir nunmehr,
Mutterſtelle an dem verwaiſ'ten, damals erſt zehnjaͤhrigen Karl zu
uͤben. Ich verließ Hamburg, wo mich ſo vieles Schmerzliche getroffen,
wendete mich nach Leipzig, wo Niemand mich kannte, und ernaͤhrte
mein Kind und meinen Pflegeſohn von meiner Haͤnde Arbeit. Scham
und Reue ließen mich ſtrenge uͤber meine fruͤheren Schickfale ſchweigen;
Karl, ja ſelbſt meine Tochter erfuhren nicht das Mindeſte daruͤber.
Fruͤhzeitig hatte ſich zwiſchen beiden eine Neigung entſponnen, welche
mit den Jahren wuchs. Als Karl in das Juͤnglingsalter trat, reiſte

er nach Hamburg zuruͤck, um die Handlung zu erlernen. Unterſtuͤtzt
von einigen ſeiner Verwandten, gelang es ihm, ein Geſchaͤft anzulegen,
das anfangs gute Erfolge zeigte.
ſten Wunſche zu gewaͤhren; ich und Emilie mußten ihm nach Hamburg
folgen, letztere ward ſeine Gattin. Doch auch ihm wollte kein dauern-
des Gluͤck bluͤhen. Widrige Zeitumſtaͤnde untergruben ſeinen jungen
Wohlſtand. Aermer als je, verließen wir vor einem Jahre Hamburg
abermals, und wendeten uns hieher, wo Karl noch einige ausſtehende
Schulden einzutreiben hoffte, und wo er auf eine mir raͤthſelhafte Weiſe
ploͤtzlich zu einem anſehnlichen Vermoͤgen gelangte. Jetzt, mein Gatte,
wiſſen Sie Alles, entſcheiden Sie nun uͤber meine Schuld.

Staunton ſchloß ſie mit ungewohnter Waͤrme in ſeine Arme.
Ich war ein Wahnſinniger, ſagte er mit bitterem Selbſtvorwurfe. Ich
haßte thoͤricht eine Welt, die ihr Edelſtes und Schoͤnſtes verſchwenderiſch
an mich wegwarf; begehrte Dank von einer Menſchheit, der ich nie
etwas Anderes, als Verachtung und Hohn erwieſen hatte! Hier auf


und nie geahneter innerer Seligkeit, erkenne ich erſt die frech von mir
verletzten Rechte der Menſchheit, die Bedeutung meines verlornen Le-
bens. In vernunftloſem, allgemeinem Haſſe quaͤlte und verkannte ich
ein treues Weib, verfolgte einen wohlmeinenden Freund, brach, da ich
mein Kind todt glaubte, alle Verbindungen mit der Welt ab, tobte
über eine bloße Geſichtsaͤhnlichkeit mit meinem vermeinten Gegner, und
veinigte deſſen ſchuldloſen Sohn, ja war nicht weit davon ihn zu mor-

den O der Menſch iſt ein furchtbares Geſchoͤpf, wenn er verlernt, zu
hoffen und zu lieben!

Jetzt wird mir Alles klar! ſagte Schulz.
meinem verſtorbenen Vater war es alſo, die gleich bei unferm erſten
Zuſammentreffen Sie ſo ſehr gegen mich einnahm, und ſpaͤter haßten
Sie mich um meiner Herkunft willen!

Still davon! bat Staunton. Moͤge Niemand, als ich ſelbſt, mich
hinfort an meinen Wahnſinn, an meine ſchwere Schuld erinnern!

Nur Eine Frage noch — fuͤgte Schulz hinzu. Wie kam das Bild
meiner Emilie in ihre Haͤnde? Ich erblickte es, als wir unſern Ver-
trag abgeſchloſſen, zu meinem groͤßten Erſtaunen auf Ihrem Tiſche.

Sie irren ſich, erwiederte Staunton, es war nicht das Portrait
Emilien's, ſondern das ihrer Mutter Eliſe, aber um achtzehn

Jahre juͤnger, und daher meiner Tochter zum Sprechen aͤhnlich. Ich
bemerffe damals ihre Ueberraſchung, und glaubte allerdings, daß das
Bild Sie an Eliſen, die vermeinte Geliebte Ihres Vaters, erinnere.

- So iſt denn durch die wunderbare Fuͤgung der ewigen Vorſtcht Alles
aufgeklaͤrt, ſagte Schulz erſchuͤttert, und ſchloß den im Innerften ſei-

ner Seele zerknirſchten Staunton in ſeine Arme. Und werden Sie,
mein Bater, auch jetzt noch die Ruͤckzahlung des Eapitalè verbieten,


D ich will ja Alles, waͤs zum Gluͤcke und zum Rechte fuͤhren


der Wahrheit und der Menſchlichkeit, entgeguete Staunton mit ge-
preßter Stimme. Ich nehme die Summe zuruͤck, aber nur um die
- Hälfte auf der Stelle Eurem Kinde zu fchenken. Die andere Haͤlfte
bleibt mein, bis ich die Augen ſchließe;
em einen Gluͤcklichen zu nähren. Nur das Ungluͤck hat übertriebene Bes
duͤrfniſſe! Und jetzt, mein theures Weib, meine heißgeliebten Kinder,
kommt und fuͤhrt mich zu meinem Enkel. Das Gluͤck iſt unerſchoͤpflich
in ſeinen Syenden, ſeit ich es erkennen gelernt habe. Nachdem ich
ſchen ſo Viel gewonnen, hat es mir noch immer einen neuen Schatʒ




vorbehalten, meinen ſuͤßen Enkel. Ach, wie ſehne ich mich! in an
mein Herz zu ſchließen! R
Noch eine lange Umarmung erfolgte, und daun führte der Wagen
vier Gluͤckliche, mit ſich und dem Leben Verföhhte, nach Haufe, wo
die Ruͤheſtätte der Unſchuld, das Bett des lieblich ſchluͤmiliekuden Kin-
des, den Wiedervereinigten ein neuer Altar des Entzuͤckens uuͤd des
Dankgebetes an die waltende Gottheit wurde.

Die Franzoſen in Lahore.
(Fortſetzung.)

In hohem Grade merkwuͤrdig iſt Allards und Venturas erſtes Zu-
ſammentreffen mit Rundſchit-Sing, das der Profeſſor Jubinal In der
Revue du Midi nach Falcons muͤndlichen Mittheilungen berichtet.

Durch den Umſchwung der Dinge im Jahre 1815 aus Frankreich
vertrieben, ging Allard mit ſeinem Freunde und Zeltgenoſſen Bentura
nach Conſtautinopel, wo Beide bei dem Großherrn Kriegsdienſte zu fin-
den hofften. Aber vom damaligen franzoͤſiſchen Geſandten bei der ho-
hen Pforte als entſchiedene Bonapartiften verfolgt, ſahen ſich die uu
ternehmende Maͤnner durch die endloſen Plackerelen endlich gezwungen,
die Tuͤrkei zu verlaſſen. Faſt von Allem entbloͤßt gingen ſie nach Per-
ſien, wo ſie als Oberſten vom Schah angeſtellt wurden. Hier zeichne-
ten ſie ſich bald ſo aus, daß Rußland deim Friedensſchluffe mit Per-
ſien die Bedingung ſtellte, der Schah ſoilte Allard und Bentura aus
ſeinem Dienſte entlaſſen und aus dem Lande jagen.

So durch die eurovaͤiſche Politik von Land zu Land vertrieben, irr-
ten die Verfolgten in verzweiflendem Muthe von Reich zu Reich, bis ſie
endlich nach Vorderindien kamen, wo ſie den kleinen eingeborenen Koͤni-
gen ihren Degen und ihren Arm anboten. Aber die Stellung war zu


weiter.

In Kaſchmir, das damals noch nicht zu Rundſchit-Sings Reiche
gehoͤrte, kamen die beiden Haudegen in Gefahr, einen Kopf kuͤrzer ge-
macht zu werden. Die Treue und Schlauheit ihres Dieners befreite
ſie aus dieſer ſchlimmen Lage. Landfluͤchtig betraten ſie Rundſchit⸗Sings
Gebiet am Sutlege, wurden aber hier von dem Laͤndpfleger ſofort ver-
haftet und ins Gefaͤngniß geworfen.

Ventura, der das Perſiſche ſprechen und ſchreiben gelerut hatte,
verſchaffte ſich durch Huͤlfe jenes treuen Dieners Schreibmaterial und
verfaßte einen Brief in perſiſcher Sprache an den Koͤnig von Lahore,
deſſen Beſorgung der Diener uͤbernahm und gluͤcklich ausfuͤhrte. Ven-
tura ſchrieb Rundſchit-Sing, daß zwei franzoͤſtſche Offlziere aus dem
Heere des großen Napoleon an den Graͤnzen ſeines Reiches erſchienen
ſeien, um ihm ihre Dienſte anzubieten, doͤch daß ſie ſtatt eines gaſtli-
chen Empfanges ohne Grund und Urſache in ein ſchauderhaftes Gefaͤng-
niß geworfen worden feien. -

Als Rundſchit-Sing dieſen Brief las, wurde er zornig, daß der


gen ſei. Ein Kurier zu Kameele wurde mit dem Befehle abgeſchickt,
daß der eigenwillige, brutale Landpfleger ſelbſt ins Gefaͤngniß gewor-
fen werden ſolle, und daß die beiden franzoͤſiſchen Offiziere nach Lahore
zu bringen ſeien.

Bei ihrer Ankunft erhielten die Fremdlinge eine Wohnung in ei-


paͤern eingeraͤumt geblieben ift. Hier wurden ſie ſiebzehn Tage lang
eingeſchloſſen und fortwaͤhrend aus der Naͤhe und Ferne beobachtet und
belauſcht; bald kam der Dollmetſcher, bald der Miniſter, bald der Mund-
koch, an den orientaliſchen Hoͤfen eine eiuflußreiche Perſon, um die


nicht verdrießen, ſie durch Schiebfenſter u. ſ. w. zu betrachten.
Nachdem ſie auf dieſe Weiſe unter Furcht und Hoffnung ſtebenzehn
Tage zugebracht hatten, wurde ihnen angekuͤndigt, daß Rundſchit-Sing
ihnen eine Audienz bewilligt habe.
Es war gewiß kein bloßes Spiel des Zufalls, daß Rundſchit⸗Sing!
den Fremdlingen gerade an dem Tage Audienz bewilligte, wo er eine
Muſterung uͤber ſein Heer hielt. Auf der Ebene vor Lahores Thoren


ger bezoͤgen. Die kampfgeruͤſteten Elephanten, die Roſſe mit goldſchim-
merndem Sattelzeug, die prachtſtrotzenden Befehlsbaber, Nabobs uud
Haͤuptlinge, kurz der ganze kriegeriſche Pomp eines orientaliſchen Macht
habers war im Halbkreiſe um Rundſchit-⸗Sing's Zelte aufgeſtellt; er felbit
 
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