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Mannheimer Abendzeitung — 1848

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No. 187 - No. 208 (6. August - 31. August)
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No. 188.





55. Sitzung der konſt. Nationalverſammlung.
Freitag, 4, Auguſt. 1848.

Die Verzögerung des Anfangs der Sitzung bis halb 10 Uhr ſcheint un-
widerruflich beſchloſſen; auch heute ertönt die Klingel des Präſidenten erſt um
dieſe Stunde.

Nach Genehmigung des Protokolls erſtattet Vicepräſident v. Hexmann Be-
richt über die Behandlung ver Urlaubsgeſuche, Er ſchlägt vor, künftig die Ur-
Jaubegefuche motivirt einige Tage vor der Abreiſe einzuretchen, den Fall un-
aufſchlebbarer Veranlaſſung zu ſchleuniger Abreiſe ausgenommen. Dieſex Vor-
jlag wird angenommen. Naͤchdem man noch dem Ausfchuß für Sefchäfts-


vuͤrch die Austrittẽ verſchiedener Mitglieder einen Ausfall erlitten, geeignete Voͤr—
ſchlaͤge zu machen, geht man zur Tagesordnung über.


ſagen, er ſetze hierüber Uebereinſtimmungein der Verſammlung voraus. Ueber
Todesſtrafe bemerkt derſelbe⸗ daß er jede Strafe für gerecht anerkenne, die noth-
wendig ſei; die Nothwendigkeit hänge mit den Verhältuiſſen der einzelnen Staa-
ten zuſammen, und ſei von der, Wirkſamkeit bedingt. Seitdem man aber die
Todesſtrafe in einigen Staaten im @g‘f)etmep vollziehe, könne er nichts weiter
fagen, als, die Geſetzgebung ſchäme ſich, die Todesſtrafe zu vollziehen. (Veb-

über das Schickſal der Todesſtrafe eytfernt, und er, der Reduer, ſei ſich des-
ſelben klar bewußt (Beifall); doch wolle er heute nur übex die Todesſtrafe für
politiſche Verbrechen ſprechen. Er erklärt ſich entſchieden dagegen; des Charak-
iers des Verbrechens wegen, welchen er im Kampf der Syſteme fieht, der feh-
leuden Abſchreckung und des erweckten Märtyrerthums wegen, und wegen der
Verlegenheit des Regenten, der, wenn er begnadige, in die Geſetzgebung ein-
greife, wenn er nicht begnabige, perſönliche Rache zu üben ſcheine! Der Red-
ner unterſcheidet weiter zwiſchen rein politiſchen Verbrechen, und gemiſchten, und
fuͤhrt die Aufhebung der Todesſtrafe auf letztere zurück. (Schließt unter lau-
tem Beifall.) ; ;
Präſident zeigt an, daß ein Antrag eingegangen, die Abſchaffung der To-
7 nicht in den Grundrechten auszuſprechen, ſondern die Frage darüber
dem Geſetzgebungsausſchuß zuzuweiſen. —
Wigaͤrd: Beſtimmungen über Leben, Ehre und Freiheit dürfen in den
Grundrechten nicht fehlen; körperliche Züchtigung und Todesſtrafe ſeien Schand-
flecke in der Geſetzgebung und Aufgabe der Nalionalverſammlung ſei es, dieſel-
ben aug den Criminalgeſetzbüchern Deutſchlands zu ſtreichen.

Siemens vertheidigt den oben aufgeführten Antrag! Die Aufhebung ſtehe
im engſten Zuſammenhang mit den ganzen Strafgeſetzbüchern der einzelnen Staa-
ten, in die könne man nicht eingreifen; eben ſo wenig den einfachen Satz hin-
ſtellen, die Todesſtrafe ſoll abgeſchafft ſein. (Warum nicht? es gilt ja nnr
Principien aufzuſtellen!! Der Redner ſelbſt iſt von der unbedingten Räthlich-
keit der Abſchaffung nicht überzeugt. Er gibt ſich viel Mühe, die Verfammkung
zu überzeugen, allein dieſe converſirt ſo laut, daß man ihn nicht verſteht.
Heiſterbergkt: Der Gegenſtand ſei ſo wichtig, daß man nicht formeller
Gründe wegen ihn aufgeben ſolle! Todesſtrafe, Brandmarkung und köperliche
Züchtigung ſeien gleich fürchterliche Verletzungen aller Humanität. Auch den
Pranger müſſe man als unzeitgemäß ahſchaffen. Durch dieſes und die Prügel-
ſtrafe werde der letzte Funken Eßrgefühl ausgetrieben und nur Erbitterung und
Rachegefühl geweckt. Das Proletariat, gegen welches die letztere hauptſächlich
angewendet werde, werde dadurch meraliſch nur noch mehr erniedrigt; erniebrigt
werde aber, was ſehr hervorzuheben ſei, derjenige, der die Straͤfe vollſtrecke


dieſe Straͤfe abgeſchaft. Der Stoͤck vernichte jedes beſſere Gefüyl, nur eines

werde durch ihn verſtärkt, — die Beſtialität. (Beifall.)
Wernher (aus Nierſtein) ſpricht mit großer Emphaſe für die Todesſtrafe,

deshalb, damit wenn eine Tödtung zum Wohle der Allgemeinheit nothwendig


vurch erhaiten werden ſollen. Die Todesſtrafe ſei eine tiefe menſchliche Noth-
wendigkeit (Gelächter) und ohne Kreuzestod hätten wir kein Chriſtenthum.
(Große Heiterkeit.) *
Dham erklärt ſich mit einigen Ausnahmsmaßregeln für die Abſchaffung.
Schaffrath: Es iſt dem Volke ganz gleich, ob ein Recht, das es verlangt,
in den Grundrechten oder wo anders ſteht. Darum ſolle man ſich nicht an die
foͤrmellen, ja ſo zu ſagen ſchulmäßigen Gründe ſtoßen, wores ſich um eine
Sache von ſo hoher Wichtigkeit handle. Alle Beſtimmungen der Grundrechte
griffen in einzelne Zweige der Geſetzgebung ein; aber der Zweck der Grund-
rechte ſei eben: Principien ſeſtzuſetzen, deren Ausführung den einzelnen Geſetz-
gebungen überlaſſen bleibe. Die Entbehrlichkeit der Todesſtrafe zeige die Ge-
ſchichte, aber wenn das auch nicht wäre, wer würde heutzutage noch die Si-
cherheit eines Staates von dem Leben eines einzelnen Menſchen abhängig ma-
wollen? Die Wiſſenſchaft habe längſt über die Todesſtrafe gerichtet; eben
ſo auf Grund der Beſſerungstheorie als auf den der Gerechtigkeitstheorie, die
Todeeſtrafe liege außer allem Recht, ſei geradezu ein Mord, ein Verbrechen.
Sie ſei unvereinbar mit den Theorien der Jetztzeit über die Entſtehung und den
Zweck des Staates. Es ſei heute der 4. Auguſt, die Verſammlung möge einen
der Erinnerung dieſes Tages und der Ehre Deutſchlands würdigen Beſchluß
faſſen. Geifall). *
Biedermann ſpricht von der vis inertiae, welche die Anhänger der Todes-
ſtrafe durch ihr Schweigen den Gegnern derſelben entgegengeſetzt, wird aber
vom Präſidenten mit der Bemerkung unterbrochen, daß ſich das nicht wohl ſa-


Aaͤch er entſcheidet ſich gegen die Todesſtrafe als ungerecht, unſittlich und der









N

Menſchheit unwürdig. Desgleichen Teichert, nur den Fall eines Kriegsgerichts
ausgenommen. *—

Paur (von Neiße) beleuchtet die Frage vom philoſophiſchen Standpunkte
aus und kommt zu dem Reſultat, daß die Todesſtrafe abzufſchaffen und die
Sichexſtelluug des Lebens gleich der der Freiheit in die Grundrechte aufzuneh-
men ſei. Die Debatte wird für geſchloſſen ertlärt. *

Scheller trägt auf namentliche Abſtimmung, ſowohl wegen Abſchaffung
der 244 überhaupt als für den beſondern Fall politiſcher Verbrechen
an, un
Beſeler ſpricht in gewohnter Weiſe, d. h. lang und breit, zum Schluß.

Präſident bringt die einzelnen Anträge zur Unterſtützung. Dieſe wird
nachſtehenden Anträgen zu Theil: von Leue? n

1) Jede widerrechhiche Beſchräukung der perſönlichen Freiheit iſt ein
Verbrechen, das nach Vorſchrift der Criminalgeſetze zu beſtrafen iſt.

2) Sine Verhaftung iſt nur zuläfſig

a) vermöge eines rechtskräftigen Urtheils,
b) vermöge Verhaftsbefehls des Unterſuchungsrichters.

(Bei welchen Beſchuldigungen die Verhaftung des Beſchuldigten zuläſſig,
bei welchen ſie nothwendig ſein ſoll, welche Formen zur Sicherung desſelben
vorzuſchreiben, welche Maßregeln zur Verhülung aller Mißbräuche anzuord-
nen ſind, in welchen Fällen die vorläuſige Freilaſſung mit oder ohne Kaution
geſchehen darf, — das Alles zu beſtimmen iſt Gegenſtand der Eximinalprozeß⸗—


3) Die Polizeibehörde muß Jeden, den ſie in Verwahrung genommen hat,


Der Kronanwalt iſt den Verhafteten binnen 24 Stunden dem Unter-
ſuchungsrichter zu überweiſen und biefer denſelben binnen gleicher Friſt zu ver-


5) Der die unrechtmäßige Verhaftung anordnende Beamte und der Ge-
fangenhaus-Vexrwalter ſind, vorbehaltlich der Beſtrafung, dem unrechtmäßig
Verhafteten ſolidariſch zur Entſchädigung verpflichtet. ;
Dieſelbe ſoll wenigſtens fünf Thaler für jeden Tag der unrechtmäßigen
Vexhaftung betragen; *
der Verbeſſerungsantrag dazu von Adams: (beim 3. Punkt des Leues


von Reichenſperger! ( Die Freiheit der Verſon iſt unvertetzlich! Die
Verhaftung einer Perfon ſoll außer im Fall der Ergreifung auf frifcher
That — nur in Kraft eines richterlichen Befehles geſchehen. — Jeder Berbhafz
tete iſt innerhalb 24 Stunden nach der Verhaftung einem richterlichen Beam-
ten vorzuſtellen. — Niemand darf ſeinem ordentlichen Richter entzogen werden);
der Zuſatzantrag dazu von Freudentheil; von Spatz: (Unveräußerlichkeit


(Den dritten Satz ſo zu faſſen: Keiner kann anders verhaftet werden, alg in
dem Fall, den das Geſetz bezeichnet, und in der Form, die das Geſetz vor-
ſchreibt); beide Anträge von Nauwerk; von Titus: (In allen Fällen hat der
Richter, welcher den Verhaftsbefehl erlaſſen hat, binnen drei Tagen an das
Collegium oder das vorgeſetzte Gericht zu berichten); von Spatz: Weglaſſung
der Worte im 4, Abſchuitt „binnen 24 Stunden“); von Meyer aus Lieqnig
ſtatt 24 Stunden 3 zu ſetzen; von Adams: (ebenda ſtatt vorgewieſen zu fegen
„zugeſtellt“); von Mittermaier: (Jeder Verhaftete muß binnen 24 Stunden ſo
vernommen werden, daß ihm der Grund der Verhaftung bekannt gemacht und
ihm Gelegenheit zu ſeiner Vertheidigung gegeben wird. Die obere Behörde
hat das Recht, nach Beſchaffenheit der Sache Freilaſſung des Gefangenen zu
verfügen); von Barth: (Wegen unbefugt verfügter oder widerrechtlich verlaͤnger-
ter Haft haben jene, die daran Schuld tragen, nöthigenfalls der Staat, Ent-
ſchädigung zu leiſten); von Jordan: (die Verpflegung der Gefangenen betffo.);
von Schaffratht (ſtatt aufgehoben zu ſetzen „aufzuheben“); von Teichert: (Vor-
behalt der Todesſtrafe für Kriegsgerichte); von Spatz! Ebſchaffung des ran
gers und der Brandmarkung) — —
Angenommen werden darauf: der 1., 2., 3. und 4. Satz des Ausfchuß-
antrags, mit Verwerfung ſämmtlicher dazugeſtellter Amendements, gegen welche
die Rechte ſich verſchworen zu haben, oder aber ſie nicht zu beurtheilen zu ver?
mögen ſcheint. Nur der 3. Satz des Leueſchen Amendements mir dem Bere.
beſferungsantrag von Adams wird als Zuſatz zu dem 4. Satz des Ausſchuß?
antrags angenommen. ; ;
Angenommen wird weiter das erſte Minoritätserachten (Jeder Angefchulbigte
ſoll gegen Stellung einer vom Gericht zu beſt mnenden Kautlon (oder Bürg chaft)
der Haft entlaſſen werden, ſofern nicht dringende Anzeigen eines ſchweren pein-
lichen Verbrechens gegen denſelben vorliegen) mit dem Zuſatz von Barth.
Hierauf ſoll der Antrag v. Bothmers: die Abſchaffung der Zodes ; und .
noch mehrerer anderer Strafen dem Geſetzgebungsausſchuß zu überweiſen, zur
Abſtimmung kommen. Von mehrexen Seiten wird widerſprochen.
Waitz will dieſe Angelegenbeit heute nicht entſchieden ſehen, weil ſie nicht


dieſen Ausdruck dahin, daß die Debatte nicht erſchöpfend gewefen.
Mittermaier erklärt, daß der Gefetzgebungsausſchuß mit dieſer Frage gar
nichts würde anzufangen wiſſen (Beifall.) ; ;
Soiron ſieht die Sache nur von der forwellen Seite an, und verlangt, daß
der einmal geſtellte, verſchiebende Antrag zuerſt zur Abſtimmung gebracht werde, -
Es entſteht eine neue Debatte darüber, ob über den Bothmer'ſchen Antrag durch
Namensaufruf abzuſtimmen ſei oder nicht. *
Präſident wilk darüber abſtimmen laſſen, die Linke proteſtirt Lärm): Präſi-
dent läßt doch abſtimmen, die Majorität entſcheidet ſich für namentliche Abſtim-
mung! Bei dieſer wiro der Autrag mit 265 gegen 175 verworfen, S
Die Frage: Ob zuerſt über den erſten Theil des zweiten Minoritäts⸗Erach-


 
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