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Mannheimer Abendzeitung — 1848

DOI Kapitel:
No. 209 - No. 234 (1. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44565#0903

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5 Die erſte Miniſter⸗Criſis in der Central⸗Gewalt.

Maͤn erinnert ſich, welche unendliche Mühe der „edle“ Gagern hatte, ver
einigen Wochen ein Miniſterium für Se, unskrantwortlichteit den Reichs-Ver-
wefer zu Stande zu bringen, wie er dahin und dorthin nach abgenutzten Eeli-
pritäten und Lach aufgeblähten Unbexühmtheiten, nach Hoffarth, nach Wanfel-
muth, nach Verrath und Treubruch griff, wie er allſeits Körbe auf Körbe
empfing, bis endlich nach langer ſaurer Arbeit es ihm glückte, ein neues Sie-
bengeſtien am politiſchen Horizont Deutſchlands heranfzuführen. Aber, ach, matt
mar ſein Glanz, kurz ſeine Dauer, es vexſchwand ploͤtzlich — wie ein Metror,
ein ſchimmerndes Nebelgebild, dem der feſte Hern fehlt. Weder die {üßlächelnde
diplomatiſche Gewandiheit des Herrn von Schmerling noch von. Bekeraths
breiteſter Phraſenſtrom, weder Heckſchers ſchulmeiſterliche Arroganz noch Peu-


aug Mangel an Muth, der es dahin brachte, daß es anſtatt Deuiſchland
auf der Baͤhn der Ehre kühn axzuführen, ſchüchtern hinter den Vorwärtsſtreben-
den zurückblieb und ſie durch Orohungen, daß ſie ſich möglicher Weiſe in ei-
nen Krieg verwickeln könnten, zurückzuhalten fuchte. Doch diefer Mangel an
Muth iſt — ohne daß wir deshalb den geweſenen Herrn Miniſtern irgendwie


das gus Prinzip ein ſchwaches, energieloſes, feiges deshalb ſein mußte, weil
im Gegentheil durch ein muthiges, energiſches und konſequentes Berfahren die
trotz des fürſtlichen Reichsverweſers revolutionäre Centralgewalt gekräftigt,


tet, überhaupt die Sache der Freiheit, die Sache des Volkes die weitere Ent-


heit war es, die den Kriegsminiſter Peuker veranlaßte, die ihm den Gehorſam


die Miniſter haben gelogen, wenn ſie erklärten, daß ſie mit tiefem Schmerz,


migen; es war wohl überlegte Abſicht, es war das Syſtem, überall, alluͤberaͤll


mit dem Willen des Volkes kam.

die Mahnung des Berliner Dombau-Protectors hinnchmen: „vergeßt, nicht,
daß es Fürſten gibt, und ich auch einer bin!“ — Dieſes Syſtem iſt es,


einigermaßen entfernt befriedigenden Zuſtand entwickeln will, das es aber viel-
leicht noch lange nicht abſchütteln wird, weil die Fürſten noch zu mächtig, zu
einig und zu verſchmitzt, die Ariſtokratie noch zu einflußreich, das Volk


außerhalb derſelben zu wenig einig, zu wenig entſchloſſen und zu wenig Hug

iſt.

Die Miniſter haben ihre Dimiſſion eingereicht. Wie wird ſich die Zentral-
gewalt neu konſtituiren? Was haben wir zu erwarten von dieſem Reichsver-
weſer? Viel Gutes gewiß nicht.
hat er bewieſen, ſelbſt wenn die Worte unwahr wären, die er in Cöln zu dem
preußiſchen Regiment geſprochen haben ſoll, das ſeinen Namen trägt: „Es


Kaiſer.“ Sein Privatleben, ſeine Zurückgezogenheit vom Hofe, ſeine bürger-


welche dieſer dem Erzherzog Johann beimaß, der vom Kampfplatz wegblieh.
Aber die Hintertreibung der Aufhebung des Jeſuiten-Ordens in Tyrol, die Wei-
ſung an die Grafen Brandis, die Wiener Studenten unter polizeiliche Aufſicht
zu ſtellen, die Wahl des bisherigen Miniſteriums, die Anſtellung Mathy's als
Unterſtaatsſekretär, die Annahme der von den Regierungen ihm übertragenen
Befugniſſe des Bundestags u. ſ. w. beweiſen deutlich genüg, daß er recht
wohl weiß, daß es in Deutſchland noch Fürſten gibt, und er auch einer von
ihnen iſt; daß er ebenfalls dem Syſtem der Fürſten zugethan iſt. Wen wird
er alſo zu ſeinen Miniſtern wählen? Man glaube doch fa nicht, daß er nun
volksthümlichere, freiſinnigere, kraftvollere Maͤnner ernennen werde. Dahlmgun
wird das Cabinet neu bilden, und Dahlmann iſt ein Anhänger des alten Sy-
ſtems. Es werden daher Maͤnner mit denſelben politiſchen Anſichten und Ab-
ſichten, von derſelben diplomatiſchen — Zuverläßigkeit, mit derfelben zögernden,
verſchiebenden und unentſchiedenen Cabinetspolitik, kurzum Männer deſſelben
Syſtems, Männer, die die Fürſtengewalt auf Koſten der Volksrechte und des
Voltswohls neu zu kräftigen ſtreben, in das Cabinet berufen werden. Die
däniſche Frage, vielleicht auͤch die limburger, wird um ein Weniges anders be-
ndelt werden, im Nebrigen abex Alles in dein Gleiſe fortgehen, das die bisherigen
Miniſter befahren haben. Der Miniſterwechſel wird ein reiner Wechſel der Per-
ſonen werden, und die Götheſche Stelle: „Den Böfen find wir Ios, die Bö-
fen find geblieben , Vieße fich jeßt füglich in dieſer Weiſe parodiren: „Die Boͤ—
fen find wir los, das Böfe ift geblieben.“ Diefen VBerlauf wird die erfte
Miniſter⸗Kriſis der deutſchen Zentralgewalt nehmen. Bald werden ihr mehrere


machen; — aber wenn das deutſche Volk glauben ſoͤllte, für ſich etwas Gutes
aus dem Miniſter Wechſel hervorgehen zu fehen, ſo dütfte ſich's wohl ſchwer
und bitter täuſchen. — P, R.








Deutſchland.

+ Mannbheim, 7 Sept. Den Berichten der oberländer Blätler zufolge
ſoll demnächſt dasjenige gr badiſche Regiment, welches hier die ſtändige Gar-
niſon bildete, wiederum die Stadt beziehen; ein Batailloͤn deſſelben iſt indeffen
bekanntlich mit nach Schleswig-Holſtein gezogen. Das Kriegsminiſterium foͤlt
ferner eine allgemeine Beurlaubung angeordnet haben, doch werde die Compag-
nie immer noch 80 Mann behalten. —

Ueber Beſtrebungen der Regiernng, eine Volkswehr, oder auch nur die
Bürgerwehr nach dem Geſetze vom Mätz, einſtlich ins Leben zu rufen, ver-
nimmt man Nichts, obgleich vieler Orte der Wunſch und das Bedürfniß ſich
laut ausgeſprochen, Daß hier der Wunſch, eine Bürgerwehr, wie man ſie „hd-
hern Ortsu gerne ſteht, nicht lebhaft hervortritt, iſt begreiflich. Man hat die
Tage des Kriegszuſtands, der über die friedliche Stadt verhängt wurde, noch
nicht vergeſſen; man glaubt auch den brutalen Ausbrüchen, zu denen man neuer-
dings „brüdexliche“ Bajonette von Polizei wegen benüßte, auf anderem Wege
begegnen zu können. * 4

M, Mannheim. Privatnachrichten aus Frankfurt zufolge ſoll Ht.
Heckſcher von der Centralgewalt nach Berlin geſchickt worden fein, die obwaͤl—
tenden Differenzen nach Möglichkeit auszugleichen. Bei der landkundigen
Feinheit dieſes gewiegten Diplomaten dürfte an einem günſtigen Nefultate faum
zu zweifeln fein. Fuͤnf Tage lang, bis zu ſeiner Rückkehr, follen die Sitzungen
in der Paulskirche Unterbrechung erleiden. Als ob außer der ſchwebenden Frage
weiter nichts zu erledigen wäre. 2 *

Herr Dahlmann hat noch kein Miniſterium zu Stande gebracht und wurde
in der Nationalverſammlung ſcharf deßhalb angegriffen, daß er den Muth nicht
gehabt habe, jetzt, wo es ſich um raſchen Vollzuͤg des in der fchleswig-holftet-
niſchen Sache gefaßten Beſchluſſes handelt, ſelbſt zu übernehmen, was er dem
abgetretenen Miniſterium zugemuthet hatte.

So eben hören wir, daß die Berliner Nationalverſammlung in der ſchles-
wig holſteiniſchen Waffenſtillſtandsangelegenheit einen ähnlichen Beſchluß, wie
die Frankfurter, gefaßt habe.

Frankfurt, 6. September. Julius Fröbel iſt im Reußiſchen an die
Stelle des verſtorbenen J. G. A. Wirth zum Abgeordneten in die deutſche Na-
tionalverſammlung gewählt worden. —
Berlin, 4. September. Der demokratiſche Bürgerwehrverein, ſowie
mehrere Compagnien der Bürgerwehr haben dem Commandaͤnten Rimpler Miß-
trauensvoten gegeben. Die nächſte Veranlaſſung dazu gab ſein Benehinen bei
Gelegenheit der berüchtigten nächtlichen Hausſuchung im Lokale des Handwer-
kervereins. Demnächſt werden mehrere politiſche Prozeſſe vor dem hieſigen
Kriminalgerichte zur Verhandlung kommen, wegen Abreißens ſchwarzweißer Ko-
karden, Lebehochs auf die Republik, Erregung von Unruhen beim Einzug eines
der bei den Märzſchlächtereien betheiligten Regimenter u. ſ. w. Das Kriminal-
gerichtsgebäude iſt, man weiß nicht warum, ſeit mehreren Tagen fortwährend
im Belagerungszuſtand. Eine, Compagnie Infanterie kampirt dafelbft Taj und
Nacht in den Eorridors, rauchend, ſpielend und trinkend! Während der Ver-
handlung der politiſchen Prozeſſe ſoll ſogar noch ein Artilleriepark vor den Einz
gängen aufgeſtellt werden. Vor dem Schönhauſer Thor fand eine Bolksver-
ſammlung ſtatt, welche das Comité des Arbeiterkongreſſes berufen hatte. Es
war erfreulich zu ſehen, wie trotz Regen und Wind das Volk zu vielen Tau-
ſenden daran Theil nahm. Die Sprecher machten die verſammate Menge mit
der beſchloſſenen Organiſation der Arbeitervereine bekannt, welche durch ein in
Leipzig niedergeſetztes Centralcomité in ſteter Verbindung untereinander erhalten
werden ſollen. Auf dieſem Wege ſoll eine gleichmäßige Vertretung und Ver-
fechtung der Arbeitex-Intereſſen in ganz Deutſchland erzielt werden. Die Frage


tert, zum einträchtigen Zuſammenwirken von Meiſtern und Geſelien zum Zweck
des gegenſeitigen Schutzes für den Preis ihrer Arbeit ermahnt! woͤbet man ſich
jedoch auf das Entſchiedenſte gegen die Hinneigung des Fraͤnkfuͤrter Arbeiterfon-
greſſes zu dem alten Zunftweſen erklärte. Der innige Zuſammenhang der po-
litiſchen mit den ſozialen Intereſſen, die Nothwendigkeit demokraliſcher Geſin-
nung für den Arbeiter erfuhr gleichfalls höchſt zweckmäßige und tiefeingehende
Eroͤrtergng, welche gleich den übrigen von der anweſenden Menge mit großer
Aufmerkſamkeit verfolgt und mit lehhaftem Beifall aufgenommen wurde. Die
Verleſung des Manifeſtes des hieſigen Arbeiterkongreſſes an die konſtituirende
Nationalverſammlung in Frankfurt bildete den Schluͤß der erfreulichen, zu vielen
Hoffnungen berechtigtenden Verhandlungen. *

+ Verlin, 4. September. Nachmittags 3 Uhr. Die Redakteure der Re-
form haben folgenden Aufruf erlaſſen und an die Mauern ſchlagen Laffen:

Die Mordthaten von Schweidnitz hatten der Kammer die moraliſche Nö-
thigung auferlegt, zu befchließen:

„Der Herr Kriegsminiſter möge in einem Erlaſſe an die Armee ſich dahin
ausſprechen, daß die Offizicre allen reaktionären Beſtrebungen fern bleiben, nicht
nur Konflikte jeder Art mit dem Civil vermeiden, zondern auch durch Annaͤhe-
rung an die Bürger und Vereinigung mit denſelben zeigen, daß ſie mit Auf-
richtigkeit und Hingebung an der Verwirklichung eines konſtitutionellen Rechts-
zuſtandes mitarbeiten wollen, und der Herr Krigsminiſter möge es denjenigen
Offizieren, mit deren politiſcher Ueberzeugung dies nicht zu vereinbaren iſt, jur
Ehrenpflicht machen, aus der Armee auszutreten,“ 3

Dieſer Beſchluß der Preußiſchen Volksvertreter vom 9. Auguſt hatte die
gerechte Entrüſtung des geſammten Volkes vorläufig in die Schranken des ge-
ſetzlichen Stillſchweigens zurückgewieſen. Niemand bezweifelte, daß das Mini-
ſterium, glücklich, mit dieſer milden Sühne ſeinex ſchuldigen Verantwortung ent-
7* zu ſein, ſich beeilen werde, den Geboten der Volksvertreter Folge zu
eiſten. , ; /

Seitdem ſind beinahe 4 Wochen vergangen, vergeblich harrt das Land,
die reaktionäre Sodateska rüſtet ſich zu neuen Gräueln, Da erklärt Herr Roth


 
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