Steffi Roettgen • Abbild und Urbild im Dialog.
werden müsste. Die Bronzekopie auf dem Piazzale Michelangelo würde dagegen mit
periodischen Reinigungen der Oberfläche auskommen und wäre im übrigen jederzeit
ersetzbar da sich der Gipsabguß von Papi in der Gipsoteca erhalten hat. Für das
Original wurde im übrigen auch schon eine erneute Translozierung in die ehemalige
Stazione Leopolda erwogen, um das Stadtzentrum von den Touristenschlangen
zu befreien und um so der einseitigen Wahrnehmung der Galleria dellÄccademia
entgegenzuwirken, in der sich außer den Werken Michelangelos auch noch andere
bedeutende Kunstwerke befinden112.
Während die Bewunderung bestimmter Werke in früheren Epochen zur graphischen
und skulpturalen Nachahmung führte, generiert sie heute eine Hyperprotektion
der Originale, die mit Hilfe moderner Technologien in eine Art Dornröschenschlaf
versetzt werden können, was ihre Exklusivität hebt und zugleich der Massenproduk-
tion der Souvenirs förderlich ist. Die Praxis der Substitution, die ohne den Abguss
nicht möglich wäre, gründet sich nicht nur auf rational nachvollziehbare Fakten.
Je berühmter ein Werk ist, um so schutzwürdiger und fragiler wird es vom Publikum
und von der Fachwelt eingeschätzt. Werke, die sich nicht der Gunst des großen
Publikums und der Kunstgeschichte erfreuen, blieben lange Zeit von Schutzmaß-
nahmen dieser Art ausgeschlossen113. Das zeigt sich etwa an Baccio Bandinellis, seit
ihrer Enthüllung im Jahr 1534 heftig kritisierten Gruppe „Herkules und Cacus" vor
dem Palazzo Vecchio"4, deren Verdoppelung bisher noch nicht erwogen worden ist,
obwohl auch sie das für Statuen im Außenraum übliche Schadensbild aufweist115.
Der Abguss dient aber nicht allein als Matrix für die Surrogate und als Assistent für
die Konservierung des Originals. Die Porta del Paradiso ist dafür ein prominentes
Beispiel. So ist es belegt, daß der Abguß in der Pariser Ecole des Beaux-Arts Rodin
zu seinem Höllentor inspiriert hat116. Aber auch die Kunst des 20. Jahrhunderts hat
seit dem concettismo Giulio Paolinis117 das Inspirationspotential des reproduzier-
ten Kunstwerks wiederentdeckt. Werke mit Ikonenstatus sind davon besonders
betroffen, da ihnen durch Fragmentierung, Verdoppelung oder Maskierung neue
künstlerische Botschaften abgewonnen werden können. Wenn heute moderne
Abgüsse von Michelangelos Sklaven mit den Werke Cy Twombly's gepaart werden,
wie jüngst im Hamburger Bahnhof in Berlin geschehen, um den „künstlerischen
Prozeß des Ringens mit dem Material" zu demonstrieren118, so zeigt dies nur, daß
sich der Gipsabguss historischer Werke in der musealen Inszenierung eine neue
ästhetische Dimension erobert hat119. Auch der Abguss der Florentiner Akademie
wurde kürzlich zum Gegenstand einer temporären Inszenierung, bei der die Flä-
che der Tür mit 441 kleinen Papierblättern behängt wurde (Abb. 16). Der Künstler
benutzte den Abguss als Folie für den Symbolcharakter des „Übergangs und der
Öffnung auf die Innerlichkeit der Dinge und des Ichs"120. An die Stelle der Aneignung
des Kunstwerks über den Gipsabguss ist hier die assoziative Idee getreten, die das
inspirierende Objekt teilweise dem Blick entzieht. Der Betrachter muß allerdings
etwas über dessen Funktion wissen, um die Botschaft zu verstehen.
Zielten die Abgußsammlungen der Akademien während des 18. und 19. Jahrhunderts
vor allem auf den Nachahmungseffekt, so mobilisiert der Abguss heute kreative Kräfte,
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werden müsste. Die Bronzekopie auf dem Piazzale Michelangelo würde dagegen mit
periodischen Reinigungen der Oberfläche auskommen und wäre im übrigen jederzeit
ersetzbar da sich der Gipsabguß von Papi in der Gipsoteca erhalten hat. Für das
Original wurde im übrigen auch schon eine erneute Translozierung in die ehemalige
Stazione Leopolda erwogen, um das Stadtzentrum von den Touristenschlangen
zu befreien und um so der einseitigen Wahrnehmung der Galleria dellÄccademia
entgegenzuwirken, in der sich außer den Werken Michelangelos auch noch andere
bedeutende Kunstwerke befinden112.
Während die Bewunderung bestimmter Werke in früheren Epochen zur graphischen
und skulpturalen Nachahmung führte, generiert sie heute eine Hyperprotektion
der Originale, die mit Hilfe moderner Technologien in eine Art Dornröschenschlaf
versetzt werden können, was ihre Exklusivität hebt und zugleich der Massenproduk-
tion der Souvenirs förderlich ist. Die Praxis der Substitution, die ohne den Abguss
nicht möglich wäre, gründet sich nicht nur auf rational nachvollziehbare Fakten.
Je berühmter ein Werk ist, um so schutzwürdiger und fragiler wird es vom Publikum
und von der Fachwelt eingeschätzt. Werke, die sich nicht der Gunst des großen
Publikums und der Kunstgeschichte erfreuen, blieben lange Zeit von Schutzmaß-
nahmen dieser Art ausgeschlossen113. Das zeigt sich etwa an Baccio Bandinellis, seit
ihrer Enthüllung im Jahr 1534 heftig kritisierten Gruppe „Herkules und Cacus" vor
dem Palazzo Vecchio"4, deren Verdoppelung bisher noch nicht erwogen worden ist,
obwohl auch sie das für Statuen im Außenraum übliche Schadensbild aufweist115.
Der Abguss dient aber nicht allein als Matrix für die Surrogate und als Assistent für
die Konservierung des Originals. Die Porta del Paradiso ist dafür ein prominentes
Beispiel. So ist es belegt, daß der Abguß in der Pariser Ecole des Beaux-Arts Rodin
zu seinem Höllentor inspiriert hat116. Aber auch die Kunst des 20. Jahrhunderts hat
seit dem concettismo Giulio Paolinis117 das Inspirationspotential des reproduzier-
ten Kunstwerks wiederentdeckt. Werke mit Ikonenstatus sind davon besonders
betroffen, da ihnen durch Fragmentierung, Verdoppelung oder Maskierung neue
künstlerische Botschaften abgewonnen werden können. Wenn heute moderne
Abgüsse von Michelangelos Sklaven mit den Werke Cy Twombly's gepaart werden,
wie jüngst im Hamburger Bahnhof in Berlin geschehen, um den „künstlerischen
Prozeß des Ringens mit dem Material" zu demonstrieren118, so zeigt dies nur, daß
sich der Gipsabguss historischer Werke in der musealen Inszenierung eine neue
ästhetische Dimension erobert hat119. Auch der Abguss der Florentiner Akademie
wurde kürzlich zum Gegenstand einer temporären Inszenierung, bei der die Flä-
che der Tür mit 441 kleinen Papierblättern behängt wurde (Abb. 16). Der Künstler
benutzte den Abguss als Folie für den Symbolcharakter des „Übergangs und der
Öffnung auf die Innerlichkeit der Dinge und des Ichs"120. An die Stelle der Aneignung
des Kunstwerks über den Gipsabguss ist hier die assoziative Idee getreten, die das
inspirierende Objekt teilweise dem Blick entzieht. Der Betrachter muß allerdings
etwas über dessen Funktion wissen, um die Botschaft zu verstehen.
Zielten die Abgußsammlungen der Akademien während des 18. und 19. Jahrhunderts
vor allem auf den Nachahmungseffekt, so mobilisiert der Abguss heute kreative Kräfte,
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