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Matthaei, Adelbert
Deutsche Baukunst im Mittelalter (1): Von den Anfängen bis zum Ausgang der romanischen Baukunst — Leipzig, Berlin: Verlag von B.G. Teubner, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.62986#0074
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64 II. Oer romanische Stil
Daß die Germanen kein neues Ornamentierungsgesetz gefunden,
sondern vielmehr in allem Wesentlichen an die antike Überlieferung
angeknüpft haben, wird nach allem, was oben über das Geistesleben
der Germanen in romanischer Zeit gesagt worden ist, ohne weiteres
einleuchten. Dieses Fortleben des antiken Formenschatzes wird jedoch
durch drei Umstände wesentlich verändert: einmal dadurch, daß antike
Vorbilder unseren vorfahren schwer und meist nur abgeleitet zur Ver-
fügung standen: Zweitens dadurch, daß diese Germanen noch sehr un-
geschickte Hände mitbrachten, und endlich drittens durch den oben be-
tonten Individualismus unseres Volkes, der sich mit dem bloßen Fest-
halten an der überlieferten Form nicht begnügte. Mas den ersten
Umstand angeht, so machen wir uns klar, daß der deutschen Welt,
abgesehen vom Süden und Westen unseres Vaterlandes, nur wenige
Bauten Muster der antiken Formengebung boten. Anders liegt das
bei den romanischen Völkern. In französischen Städten konnte sich der
Steinmetz leichter bilden. Wenn man z. V. in der Festungsmauer von
Langres noch jenen antiken Portikus sieht, so versteht man es, warum
in den mittelalterlichen Bauten dieser Stadt die antike Formengebung
reiner zutage tritt. Dort erlebt die Antike sogar gegen das Ende der
romanischen Zeit eine erste Wiedergeburt vor der Renaissance.
Unseren Steinmetzen wurden die antiken Formen mehr durch die
Buchillustration und durch ihre Anwendung im Runstgewerbe als
durch die Architektur bekannt?)
hatten diese Vorbilder von ihrer ursprünglichen Reinheit schon viel
eingebützt, so mutzte davon noch mehr verloren gehen unter Händen,
die sich die Gewandtheit in der Handhabung des Meißels erst noch er-
werben mußten. So sind die Formen vielfach plumper geworden.
Vas Verständnis für die Aufgabe, die das einzelne Zierglied in der
Architektur hatte, ist im Schwinden.
Als Ersatz dafür bringt der Germane seinen Individualismus mit,
der ihn die überlieferte Form auf das mannigfaltigste abwandeln läßt
und zu einem höchst reizvollen Spiel mit den Elementen der Antike
führt. Dabei ersetzt er manches, was das Vorbild bot, durch Züge, die
der heimischen Umgebung, der eigenen Industrie, der eigenen Flora
entlehnt sind, und es ist sicher, daß viel zahlreichere Schmuckformen,
I) Abt Eigil von Fulda besaß eine Schachtel mit aus Elfenbein geschnitz-
ten antiken Säulchen, die offenbar als Modelle bei Ausführung von Bauten
gedient haben.
 
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