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Vie Schmuckformen

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erste fast ganz zurücktritt, die zweite aber sehr eingeschränkt wird. Es
kommt also darauf an, ob man in der zierlichen Linienführung, die
jedes einzelne Stück nach der ihm innewohnenden konstruktiven Be-
deutung erhält, schon einen Ausfluß ornamentalen Sinnes sehen will
oder nur die Tätigkeit des jedes Stück nach seiner Aufgabe abmessen-
den Konstrukteurs. In dem ersten Kalle wäre die gotische Ornamen-
tik reich, in dem zweiten sehr arm zu nennen. — Zweiten; gewinnt
das geometrische Element, welches der Antike fast fremd blieb, in der
Gotik die größte Bedeutung, was ebenfalls mit der strengen Kolge-
richtigkeit des gotischen Systems zusammenhängt. Es mag immerhin
sein, daß auf diese Zierlust das Bekanntwerden mit dem reichen
Kormenschatze des Orients nicht ohne Einfluß geblieben ist. — Mr
machen uns das Gesagte bei dem beschränkten Raume an der Be-
trachtung der Säule und des Maßwerkes klar.
Von den drei Teilen der Säule verändert sich der Schaft am
wenigsten. Er wird schlanker, dünner und höher, zuweilen vieleckig,
bleibt aber in der Regel glatt, ohne Kannelierung und ohne Ver-
jüngung. In der Krühzeit ist er zuweilen mit Laubwerk belegt. —
Auch die Basis hält sich noch an das bekannte attische Gesetz. Der
Untersatz (Stglobat) wird höher und polggonal gehalten. Vie Basis
selbst besteht nach wie vor aus zwei Wulsten (Vorus) und dazwischen
liegender Einschnürung (Vroeliilus), nur daß die Wulste jetzt stärker
hervorquellen und die Einschnürung tiefer ausgekehlt wird. Vie Lck-
zier fällt weg, schon deshalb, weil die untere Mulst oft über den Stylo-
baten hinausquillt. — Vie allergrößten Veränderungen weist das
Kapitell auf. Es verliert von vornherein dadurch an Bedeutung,
daß es hochgerückt wird und sich nur als eine ganz geringfügige Unter-
brechung des bis zum Schlußstein durchlaufenden RipMnstabes dar-
stellt. Vie Kelchform, die wir schon in der Übergangszeit kennen lern-
ten, gelangt zur ausschließlichen Herrschaft. Insofern ist die Gotik also
weit ärmer als die romanische Kunst. Vie Kapitelle unterscheiden sich
voneinander wesentlich nur durch den um den Kelch gelegten Schmuck.
An der Art dieses Schmuckes wird der Gegensatz zur antiken und zur
romanischen Ornamentik am deutlichsten. Dort herrscht die Vorstel-
lung, daß die kräftigen Blätter selbst den tragenden Kopf der Säule
bilden. Sie sind gleichsam unter der Last umgebogen. Oie Gotik ist
zu verstandesmäßig, um diese an sich ja unmögliche Vorstellung auf-
recht zu erhalten. Sie unterscheidet scharf zwischen dem eigentlich
 
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