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Galerie Matthiesen; Manet, Edouard [Ill.]
Ausstellung Edouard Manet 1832-1883: Gemälde, Pastelle, Aquarelle, Zeichnungen : 6. Februar bis 18. März 1928 — Berlin: Galerie Matthiesen, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.70109#0021
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EIN AUGE UNENDLICH BEGABT, TON- UND FARBENWERTE
voneinander zu unterscheiden, ein Blick von unvergleichlicher Behendigkeit und
ein bejahender Geist, der beglückt die Erscheinungen hinnahm — ohne Vorurteil,
ohne Kritik oder Pathos: das war Manet. Und er liebte, was er sah, und fand es
schön. Leidenschaft entschied, nicht etwa das Prinzip, wahr zu sein. Das halb
ethische Programm der Naturalisten, unproduktiv wie jedes Programm, gab ihm
nichts, half höchstens zu dem Erfolge seiner Kunst. Manets Freunde und Bewunderer
verkündeten nämlich zuerst — nach dem Programme —: dies ist zwar unschön,
aber wahr und deshalb wertvoll; später sagten sie: dies ist schön, weil wahr; endlich
schlechthin: es ist schön.
Wahrheit bedeutet in diesem Falle nichts anderes als, daß Leute in Frankreich,
in Deutschland, in Skandinavien und schließlich auch in England so sahen, wie
Manet gesehen hatte, wohlverstanden: nachdem sie bei Manet sehen gelernt hatten.
Was als vermeintlich richtig gespiegeltes Objekt gültig wurde, war das Weltbild,
das ein genialer Meister erblickt und gewissermaßen erschaffen hatte.
Einen Apfel mit eigenen Augen sehen, ist kinderleicht, ist leicht für ein Kind,
schwer aber für einen Maler, der sein Handwerk in irgendeinem Atelier erlernt hat.
Manets Größe besteht darin und bewährte sich dabei, daß er malen lernte, aber,
alle Formeln, Konventionen und Rezepte überwindend, ein Selbstseher wurde —
in dem Sinn, in dem Schopenhauer vom Selbstdenker spricht. Wieviel Charakter,
in Wechselwirkung mit der genialen Anlage, gehörte dazu, gegen den Geschmack
seiner Generation anzukämpfen, allen Ansprüchen und Bestechungsversuchen zu
widerstehen und sich dem Zauber so verlockender Vorbilder, wie sie Delacroix,
Millet und Corot boten, zu entziehen.
Nun, da Hinz und Kunz sehen, wie Manet gesehen hat, wird die Leistung des
Meisters unterschätzt. Harmlose Kunstfreunde wähnen: nur Mangel an Technik
hindere sie daran, ganz wie er zu malen. Was hier schief und unpassend Technik
genannt wird, also etwa Leichtigkeit, Schlagfertigkeit und Sicherheit der Hand, ist
ein sekundäres Vermögen. Erregung beim Schauen und der Wunsch, das fließende
und farbige Leben zu bannen, lenkten Manets Hand und gaben ihr Geschicklichkeit.
Er liebte die Natur und sah in der Kunst ein mangelhaftes Mittel, während Andere
die Kunst lieben und in der Natur einen mangelhaften Stoff sehen.

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