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Matz, Friedrich
Die Naturpersonifikationen in der griechischen Kunst — Göttingen: Druck der Dieterich'schen Univ.-Buchdruckerei W.Fr. Kaestner, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.51056#0013
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Poesie zu verfolgen haben. Der Mythos, soweit er echter Mythos
ist, steht als Äußerung der naiven Volksphantasie der in Poesie
und bildender Kunst künstlerisch und bewußt gestaltenden gegen-
über. Die religiösen Vorstellungen wechseln nicht bloß mit den
Zeiten, sondern auch mit den Volksschichten, denen sie gehören,
und können also sowohl naiv, als auch aus Reflexion hervorgegangen
sein. Demgemäß scheiden wir naive oder mythische Personifika-
tionen dort, von den reflektierten und zu künstlerischen Zwecken
geschaffenen hier. Natürlich kommen auch die ersteren in Kunst
und Poesie vor; aber dann haben sie in der Regel ihren Wert
als Personifikationen eingebüßt. Und anderseits suchen die letzteren
oft echte Mythen zu imitieren. Hier kommt es aber — wie ge-
sagt ■— in erster Linie auf den historischen Wert einer solchen
Gestalt an; und wenn es auch gegenwärtig nicht beliebt ist, auf
griechischem Gebiet von Personifikationen zu reden, so ist diese
Terminologie doch durch unseren Zweck geboten.
Den Anfang mögen die Personifikationen von Ländern und
Städten machen. Sie als Natur Personifikationen zu behandeln,
fordert die oben gegebene Definition. Von den übrigen Erschei-
nungen der Gattung unterscheiden sie sich aber dadurch, daß die
zugrundeliegenden Begriffe nicht ausschließlich auf dem Gebiet
der uns umgebenden Natur liegen; denn zum Begriff eines Landes
und einer Stadt gehört nicht nur die Örtlichkeit, sondern auch
die Bevölkerung. Zwar hat Gerber1) versucht, das, was wir
als Stadtpersonifikationen bezeichnen, durchweg, von den Länder-
personifikationen eine Anzahl als personifizierte Bevölkerungen zu
erweisen. Diese Scheidung bleibt aber willkürlich, weil eben
wegen der inhaltlichen Doppelnatur des Begriffs weder der Künstler
ein Ausdrucksmittel für das eine oder das andere hat, noch wir
über irgendwelche Mittel zu dessen Bestimmung verfügen 2). Daß
diese oder jene Seite überwiegen kann, und tatsächlich der land-
schaftlichen gegenüber die menschliche zu überwiegen pflegt, liegt
in der Natur der Sache. In der Figur des Demos ist seit der
klassischen Zeit außerdem für die Fälle, wo es auf eine besondere
Darstellung der Bevölkerung ankam, eine Aushilfe vorhanden.
Gerade weil sie auf der Grenze zwischen Personifikationen ab-
strakter Begriffe und denen von Naturgegenständen stehen, sind

1) S. 257 ff.
2) Gegen diese Auffassung Gerbers hat sich schon Schultz gewandt, nament-
lich 8. 26. Seine Beweisführung steht und fällt aber mit seiner Ortsgöttertheorie.
 
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