möglich sein soll, der philosophische Texte Ciceros und Senecas weitaus weniger behandelt als mili-
tärische, politische und poetische Texte. Der Philosophiegehalt des durchschnittlichen Lektüreka-
nons des Lateinischen dürfte daher dem Champagnergehalt von Dieselöl entsprechen. Das müßte
nicht so sein, schrieben doch Thomas von Aquin, Francis Bacon, Thomas Hobbes, Baruch de Spino-
za, Rene Descartes und viele andere Philosophen bedeutende Werke in gepflegter lateinischer Spra-
che. All diese Autoren aber gehören nicht zu der rein traditional legitimierten Vorauswahl der Au-
toren des Schulunterrichts
Gute Sachen benötigen gute Argumente. Der Anspruch des Lateinunterrichts war und ist außerge-
wöhnlich hoch. Mit dem Lateinunterricht, so wird suggeriert, steht und fällt nahezu jede Bildung
und jede Wissenschaftsfähigkeit.
Latinistik und Graezistik haben ihren überzogenen Anspruch als Gralshüter der abendländischen
Rationalität längst aufgegeben und begreifen sich als Philologien neben anderen Philologien. Sie
nehmen auch keinen besonderen Anteil an dem Rechtfertigungsgeschehen des Lateinunterrichts.
Es kommt darauf an, daß in der Öffentlichkeit einer funktionierenden Demokratie die Diskussion
um den Stellenwert des Lateins sich versachlicht. Wenn Latein tatsächlich Rationalitätsvorsprünge
impliziert, so müßten die Argumente für den Lateinunterricht dies auch erkennen lassen.
Ergänzender Zusatz: Die bisherigen Reaktionen auf meine zuerst in Forschung und
Lehre 9/94 abgedruckten Überlegungen lassen neben einer gezielten Diskussion meiner Argu-
mente vor allem zweierlei außer acht:
1. Lateinunterricht wird als mit griechischer Philosophie verbundenes Fach dargestellt. In diesem
Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß das Schulfach Griechisch per se besser
geeignet wäre, authentische Zugänge zum philosophischen Logos Alteuropas zu stiften, in wel-
chem zugleich viele Weichen für unser heutiges Selbstverständnis gestellt worden sind. Der La-
teinunterricht ist kaum in der Lage, philosophiehaltige Teilfunktionen der Sprache des Logos zu
übernehmen. Daraus folgt aus philosophischer Sicht: Man tue alles, um ein gymnasiales Angebot
des Griechischen zu bewahren, zu fördern und zu stärken!
2. Lateinunterricht verschafft Studienvorteile für - vor allem - ein Studium der hermeneutischen
Wissenschaften. - Auch wenn dieses Urteil zutrifft, so muß dennoch folgende Gegenrechnung auf-
gestellt werden: Studienvorteile sind potentielle Berufsvorteile. Berufliche Vorteile werden in der
heutigen Welt jedoch stets auch danach bemessen, ob man neben Englisch eine zweite mo-
derne Fremdsprache in Wort und Schrift beherrscht. Mir sind zahlreiche Fälle von Stu-
dierenden bekannt, die sich bitter darüber beklagen, daß sie durch Latein als zweite Fremdsprache
bereits in ihrem Studium und auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Sie können, wie sie selber
bemerken, weder richtig Latein noch vor allem auch die chancensteigernde zweite moderne
Fremdsprache (in der Regel Französisch). BERNHARD H. F. TAURECK, Plamburg
Latein iiegt im Trend der Zeit
Ein Plädoyer für den Lateinunterricht
Ohwoh/ das fach Lafe/'n heute unter er'nem sfünd/'gen Rechf/erdgungszwang steht, gen/'eßt es nach
wr'e vor hohe AttrafhVr'tät. Ueder zwer'te Gymnas/'asf und dam/'t jeder sechste Deutsche beschü/dgf
sr'ch während se/ner Schu/zed m/'t der /ate/d/schen Sprache. Was s/'nd d/'e Grunde dafür, daß üate/'n
;'m Trend derZe/'t fegt?
Latein, seit dem Mittelalter Sprache der Kirche und der Wissenschaft, demnach auf diesen Ebenen
auch Mittel zur internationalen Verständigung in Europa, hat diese Funktion zu Beginn unseres
Jahrhunderts verloren. Von da an ist es als Gymnasialfach umstritten, genießt aber nach wie vor
eine unbestritten hohe Attraktivität. Aus den Trümmern des zusammengestürzten Nazi-Regimes
123
tärische, politische und poetische Texte. Der Philosophiegehalt des durchschnittlichen Lektüreka-
nons des Lateinischen dürfte daher dem Champagnergehalt von Dieselöl entsprechen. Das müßte
nicht so sein, schrieben doch Thomas von Aquin, Francis Bacon, Thomas Hobbes, Baruch de Spino-
za, Rene Descartes und viele andere Philosophen bedeutende Werke in gepflegter lateinischer Spra-
che. All diese Autoren aber gehören nicht zu der rein traditional legitimierten Vorauswahl der Au-
toren des Schulunterrichts
Gute Sachen benötigen gute Argumente. Der Anspruch des Lateinunterrichts war und ist außerge-
wöhnlich hoch. Mit dem Lateinunterricht, so wird suggeriert, steht und fällt nahezu jede Bildung
und jede Wissenschaftsfähigkeit.
Latinistik und Graezistik haben ihren überzogenen Anspruch als Gralshüter der abendländischen
Rationalität längst aufgegeben und begreifen sich als Philologien neben anderen Philologien. Sie
nehmen auch keinen besonderen Anteil an dem Rechtfertigungsgeschehen des Lateinunterrichts.
Es kommt darauf an, daß in der Öffentlichkeit einer funktionierenden Demokratie die Diskussion
um den Stellenwert des Lateins sich versachlicht. Wenn Latein tatsächlich Rationalitätsvorsprünge
impliziert, so müßten die Argumente für den Lateinunterricht dies auch erkennen lassen.
Ergänzender Zusatz: Die bisherigen Reaktionen auf meine zuerst in Forschung und
Lehre 9/94 abgedruckten Überlegungen lassen neben einer gezielten Diskussion meiner Argu-
mente vor allem zweierlei außer acht:
1. Lateinunterricht wird als mit griechischer Philosophie verbundenes Fach dargestellt. In diesem
Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß das Schulfach Griechisch per se besser
geeignet wäre, authentische Zugänge zum philosophischen Logos Alteuropas zu stiften, in wel-
chem zugleich viele Weichen für unser heutiges Selbstverständnis gestellt worden sind. Der La-
teinunterricht ist kaum in der Lage, philosophiehaltige Teilfunktionen der Sprache des Logos zu
übernehmen. Daraus folgt aus philosophischer Sicht: Man tue alles, um ein gymnasiales Angebot
des Griechischen zu bewahren, zu fördern und zu stärken!
2. Lateinunterricht verschafft Studienvorteile für - vor allem - ein Studium der hermeneutischen
Wissenschaften. - Auch wenn dieses Urteil zutrifft, so muß dennoch folgende Gegenrechnung auf-
gestellt werden: Studienvorteile sind potentielle Berufsvorteile. Berufliche Vorteile werden in der
heutigen Welt jedoch stets auch danach bemessen, ob man neben Englisch eine zweite mo-
derne Fremdsprache in Wort und Schrift beherrscht. Mir sind zahlreiche Fälle von Stu-
dierenden bekannt, die sich bitter darüber beklagen, daß sie durch Latein als zweite Fremdsprache
bereits in ihrem Studium und auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Sie können, wie sie selber
bemerken, weder richtig Latein noch vor allem auch die chancensteigernde zweite moderne
Fremdsprache (in der Regel Französisch). BERNHARD H. F. TAURECK, Plamburg
Latein iiegt im Trend der Zeit
Ein Plädoyer für den Lateinunterricht
Ohwoh/ das fach Lafe/'n heute unter er'nem sfünd/'gen Rechf/erdgungszwang steht, gen/'eßt es nach
wr'e vor hohe AttrafhVr'tät. Ueder zwer'te Gymnas/'asf und dam/'t jeder sechste Deutsche beschü/dgf
sr'ch während se/ner Schu/zed m/'t der /ate/d/schen Sprache. Was s/'nd d/'e Grunde dafür, daß üate/'n
;'m Trend derZe/'t fegt?
Latein, seit dem Mittelalter Sprache der Kirche und der Wissenschaft, demnach auf diesen Ebenen
auch Mittel zur internationalen Verständigung in Europa, hat diese Funktion zu Beginn unseres
Jahrhunderts verloren. Von da an ist es als Gymnasialfach umstritten, genießt aber nach wie vor
eine unbestritten hohe Attraktivität. Aus den Trümmern des zusammengestürzten Nazi-Regimes
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