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2 Meggendorfer-Blätter, München


— „Ia, Sie-was treiben denn Sie da hinten?"

— „Treiben? — — — Ich treibe doch Maniküre."

Die Musik

Tante Marianne kommt zu uns zum Besuch. Sie lebt
mit ihrem Sohn zusammen, einem schon recht bejahrten
Junggesellen, der es nie zu etwas gebracht hat, weil seine
Tage mit den Besorgungen für den Laushalt ausgefüllt
werden. Man hatte in der Familie deshalb eigentlich ver-
geffen, daß er dem männlichen Geschlechte angehörte —
um so erstaunter war man, daß er sich bei Kriegsbeginn so-
fort zur Verfügung stellte und nacheinander allen wohl-
tätigen Vereinen seine Lilfe anbot. Lange fand sich keine
Verwendung für ihn — nun endlich ist er mit einem Liebes-
gaben Auto an die Front gesandt worden.

Tante Marianne will uns seinen Brief vorlesen. „Aller-
dings, die Beschreibung geht erst bis Breslau," sagte sie,
„so recht in Feindesland war Friedrich also noch nicht."
Sie nimmt tiefatmend auf dem Lehnstuhl Platz — und wir
bemerken mit Entsetzen, daß es den beiden hoffnungsvollen
Söhnen der Famllie doch wieder gelungen ist, „die Musik"
von unten in die Polster zu schieben. Gleich merken wir es,
sobald Tante Marianne niedersitzt. „Dle Musik" entsteht
durch das Zusammenfalten und Ausdehnen einer Art Blase-
balgs, einst von einem Neger gekrönt, der zu den langpie-
penden Tönen tanzte. Der Neger ist längst in die Lölle
der Schwarzen gefahren — die Musik ist unsterblich.

Sie nimmt auch nun an allen Wendungen des Briefes
teil. Wenn Tante Marianne aufblickt, um zu erforschen,
ob wir auch alle begriffen haben, daß Friedrich eine lange,
gefahrvolle Fahrt — bis Breslau — hinter sich hat, und

sie sich dabei vor Wichtigkeit emporrichtet, holt unter ihr
auch die Musik neu Atem, mit einem hilfesuchenden Schrei.
Wenn Tante Marianne konstatiert, daß Friedrich zwei
Gewitter und „einmal so naß" zu bestehen hatte, und sie
deswegen schwer und gedrückt vor sich hin nickt, verläßt die
Musik mit gepreßtem Laut ihren unterirdischen Käfig und
jammert lange und eindringlich.

Tante Marianne hört nichts. Sie sieht auch nicht die
krampfhaft verzerrten Mienen ihres Publikums noch die
Köpfe der Aebeltäter, die von Zeit zu Zeit dicht über der
Schwelle des Nebenzimmers auftauchen und wieder ver-
schwinden. Dann vernehmen unsere doppelt geschärften
Ohren von nebenan ein gurgelndes Gelächter — und der Aus-
druck gespanntesten Intereffes bei uns allen verstärkt sich noch.

„And nun," Tante Marianne faltet den Brief zusammen
und schwingt ihn wie eine Fahne, „nun kommt mein Friedrich
wirklich in die Front! Kanonen wird er donnern hören
undTrommeln wirbeln—" sie macht sich ein eignes Schlachten-
bild zurecht und erhebt sich ein wenig — „und das Sieges-
geschrei wird ihn umrauschen!" Wie erlöst sinkt sie zurück
in den Stuhl — die Musik kreischt auf. Sie horcht.

„Kinder,"sagtsieplötzlich,„wie dieserKrieg veriüngt! And
die Phantasie belebt! Ganz, ganz deutlich habe ich es eben ge-
hört, Fanfaren, Trompetenstöße und schmetternde Signale!"

Nebenan erleiden zwei Sünder einen Erstickungsanfall.
Wir andern bringen es an diesem Tage nicht fertig, sie zu
schelten — erst am nächsten. Eva Gräfin von Baudissin
 
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