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38 Meggendorser-Blätter, München



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Ein Samariter Gendarm: „Was fällt Jhnen ein; machen Sie, daß Sie weiterkommen!"

Spaztergänger: „Ach, seien Sie doch nicht so hartherzig; ich will
Ihren Arrestanten ja nur 'n bißchen mtt unter meinen Schirm nehmen!"

Die Seuche

Am Freitag kam die Nummer heraus, in der mein
vaterländisches Festgedicht abgedruckt war.

Des Abends ging ich an den Stammtisch, an dem die
Vaterlandskrüppel unserer Studiengenofsenschaft zusam-
menkommen, und benahm mich meiner Meinung nach genau
so wie immer.

Aber nach dem ersten Schluck schon klopfte mir der
Affeffor Dunst auf die Schulter und spöttelte lächelnd:

„Sie preffen aber heute Ihre Brust unnatürlich heraus!"
Ich errötete ein wenig. Dunst mit seinem Infanterie II --
Kropf aber wurde plötzlich ernst und meinte: „Äabe übrigens
gar nicht gewußt, daß Sie ein so ausgezeichneter Kenner
des Strafgesetzbuches sind?"

„Ich auch nicht!" antwortete ich mißtrauisch.

„Doch! Doch! Sonst hätten Sie nicht gerade jenes
Verbrechen begangen, das es leider, leider noch nicht erfaßt

hat, trotzdem es jetzt geradezu zur Volksseuche wird.

hem hem!"

Die Anderen platzten nun los, und mein Duzfreund,
der Neallehrer Schneider — er gibt an, unabkömmlich zu
sein, hat aber in Wirklichkeit das Muster eines Bierherzens —
der Reallehrer Schneider also behauptete in Bezug auf die

zur Zeit wuchernde vaterländische Dichtkunst im Allgemeinen
und in Bezug auf mein Festgedicht im Besonderen.

Na, Streusand drauf!

Kurzum, die Anterhaltung wurde auf diese Art und
Weise fortgeführt und erregte allgemeine Leiterkeit. Ich
lachte natürlich auch mit, aber ungefähr so wie die Salzburger
Schneidersfrauen gelacht haben mögen, als sie von ihrem
liebenswürdigen Gemahl zu Tode gekitzelt wurden. —

Am nächsten Abend holte mich der Affessor Dunst vom
Büro ab. Er war überaus zuvorkommend und sprach vom
Kanonendonner und vom Schlachtenlärm. An einer Straßen-
ecke aber fuhr er plötzlich in die Brusttasche und zog ein
dickes, ein unheimlich dickes Left hervor.

„Ich habe im Sinn, es zu veröffentlichen! Lesen Sie
es durch! Bin neugierig, was Sie dazu sagen," sagte er
und verschwand im Schatten der Läuser.

Ich las:

„Patriotisches Festgedicht in zehn Bildern mit gereimtem
Vor- und Nachwort."

Brrr! Fröstelnd ging ich heim. Als ich die Tür öffnete,
stand der Reallehrer Schneider vor meinem Spiegelschrank
und probierte noch schnell die Gesten durch, mit denen er mir
fünf Minuten später seine „Vaterländischen Opfergesänge"

Copyright 1915 by I. F. Schreiber
 
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