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Kriegschronik der Meggendorfer-Blätter, München

67

Der Lustigmacher

Die Pariser „Lumanitö" hat auf die schlechte Stim-
mung der Soldaten an der Front warnend hingewiesen und
vorgeschlagen, es möchte ein besonderer Unterstaatssekretär
ernannt werden, deffen einzige Aufgabe es sein müßte, stän-
dig an der Front hin und her zu fahren und dort das Ver-
trauen der Krieger zu stärken und ihre Stimmung zu heben.

Die französische Regierung hat sich zu diesem Vor-
schlage nicht geäußert. Vielleicht fühlt sie sich selbst nicht
stark genug, etwas zu heben, — und gerade die einmal
gesunkene Stimmung von Soldaten ist sehr schwer wieder
zu heben; vielleicht will sie auch .alle ihre Kräfte nur dazu
verwenden, sich zu halten. Inzwischen aber hat ein Pariser
Iournalist, Monsieur Loustie, sich entschloffen, in die Bresche
zu springen und gemäß der Anregung der „Lumanitä"
an der Front für das Vaterland tätig zu sein. Mit der
nötigen Erlaubnis, die für einen Iournalisten freilich nicht
schwer zu erlangen ist, und einem guten Vorrat an Zuversicht
und vortrefflicher Laune erschien er hinter den Schützengräben.

Gleich fiel ihm auch ein Soldat auf, der trübselig den
Kopf in die Lände stützte. Dieser Mann muß erheitert
werden, dachte Monsieur Loustie; nur sröhliche Streiter
erringen den Sieg. „Nun, mein Lieber, woran fehlt's
denn?" erkundigte er sich liebenswürdig.

Der Soldat schien erst nicht Lust zu einer Antwort zu
haben. Dann aber sagte er kurz: „Ich sitze hier seit vier
Wochen ohne Nachricht von Lause."

Monsieur Loustie klopfte ihm auf die Schulter. „O, da
steht alles gut, mein Braver. Da ist alles fröhlich und
guter Dinge. Wollen Sie den neuesten Pariser Witz
hören? Also: worin besteht der Anterschied zwischen — "

Da aber haute ihm der Soldat eine so gewaltige Ohr°
feige, daß Monsieur Loustie's rechte Backe wie ein Lefekuchen
aufschwoll. „Also ihr macht noch Witze in Paris," rief er;
„gur, daß ich wenigstens emen von euch Bande erwffcht habe!"

Monsieur Loustie hielt sich die getroffene Backe und
ging weiter. Dem Mann geht es vortrefflich, dachte er; der
hat ja ganz gewaltige Muskeln. Wer über so erstaunliche
Kräfte verfügt, der braucht noch nicht getröstet zu werden.

Er kam zu einem zweiten Soldaten, der vor sich hin
fluchte. „Diese ewige Sauerei soll der Teufel holen!"
brummte der Soldat. „Jst nicht nötig, mein Tapferer,"
sagte Monsieur Loustic mit erhobenerStimme, „es wird ohne-
hin nichtmehr langedauern. Nur noch einmalalleKräftefrisch
zusammengenommen, dann ist der Krieg in drei Wochen aus."

Darauf sprang der Soldat auf. „Es tut mir leid um
Sie, mein Lerr," erklärte er, „aber was man geschworen
hat, das muß man halten. In der letzten Woche haben
mir schon zwölf Leute erzählt, der Krieg würde in drei
Wochen aus sein. Da habe ich einen feierlichen Eid getan,
dem dreizehnten eins hinter die Löffel zu schlagen, daß ihm
das Prophezeien vergeht." Kaum hatte Monsieur Loustie
diese Erklärung vernommen, da begann seine linke Backe
anzuschwellen, bis sie eine Wölbung angenommen hatte,
als ob ein großer Knödel an der Innenseite steckte. Er
hielt sich jetzt beide Backen und ging weiter. Wenn dieser
Mann vorher auch in gedrückter Stimmung war, überlegte
er, dann ist sie jetzt doch geschwunden. Es muß himmlisch
sein, solch eine Ohrfeige hauen zu können. Ich habe ein-
mal geträumt, ich hätte einem Gläubiger eine herunterge-
hauen, und schon der bloße Traum hat mich ganz glücklich
gemacht. Aber sehen wir weiter zu, was sich für die gute
Laune unserer wackeren Krieger tun läßt. —

Ein merkwürdig krachendes Geräusch in seiner Nähe
veranlaßte Monsieur Loustie, sich nach der Llrsache umzu-
schauen. Er fand einen Soldaten, der an einem Stück
Brot knabberte. Das Brot mußte sehr hart sein; es

verläßt als „Pechmarie" das bulgarische Tor

krachte zwischen den Kinnbacken des Mannes. „Nun, mein
Leld, schmeckt es?" fragte Monsieur Loustic freundlich.

„Der Lunger treibt's ein," lautete die unwillige Ant-
wort. „Ein Lundefraß ist das!"

„O, o, wer wird denn gleich so böse schimpfen!" sagte
Monsieur Loustic. ^Das sind kleine Entbehrungen, wie man
sie im Felde nun einmal in Kauf nehmen muß. Dafür
kann man sich nachher wieder schadlos halten. Dann werden
uns die guten Sachen, die wir srüher vielleicht schon etwas
über hatten, um so prächtiger schmecken. O, dem siegreich
heimgekehrten Krieger werden die herrlichsten Gerichte auf-
getischt werden. Wollen Sie mein Gast sein, wenn Sie
nach Paris kommen? Sagen Sie nur, was Sie gern
essen möchten. Wie wär's denn mit einer Oroguette
äo volaillo? Oder möchten Sie lieber ein strammes l^axin
äo §9.r6iw6? Llnd vorher eine köstliche Krebssuppe? And
eine niedliche Seezunge in Weinsauee?"

Da warf der Soldat sein Stück Brot fort. „Ietzt
schmeckt mir der schimmelige Knusten nicht mehr!" schrie
er. „Sie hat wohl der Satan hergeschickt, daß Sie mir mit
Ihrer Speisekarte die Ohren voll blasen!" Damit drehte er
Monsieur Loustie mit einem gewaltigen Landgriff herum und
versetzteihm einen noch gewaltigeren Fußtritt. Monsieur Lou-
stie flog zehn Meter durch die Luft, schlug sich die Nase blutig
und fühlte verschiedene Knochen aus ihren Gelenken weichen.
Der Lärm lockte eine halbe Kompagnie Soldaten herbei, dieihn
eingehend betrachteten, während er sich aufzurichten versuchte.

„Aber das ist ja ein Irrtum! Ich meine es ja gut,
ich will euch ja vergnügt machen, in gute Laune will ich
euch bringen." Das schrie Monsieur Loustic, und weil er
dabei zwei geschwollene Backen, eine blutende Nase und
kümmerlich schlotternde Glieder aufwies, lachten die Soldaten.

Großartig! dachte Monsieur Loustie. Sie lachen, —
sofort werde ich nach Paris telegraphieren: Llnsere Sol-
daten sind in der ausgezeichnetsten Laune. Gedanensis
 
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