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Der Geift des Lerrn Aktuarius

„Oho," rief Fiedler dazwischen, „nimm mir
die Buchhalter nicht aus. Eine bierehrlichere
Zunft gibts auf der Welt nicht. Ich habe
einen Kollegen in der Lolzbranche, der trinkt
zweiundzwanzig Maß Salvator auf einen Sitz."

„Nespekt, Fiedler," versetzte Baumann.

„Aber sorgt euch deshalb nicht. Llnter dem Sofa
stehen zwei dutzend Flaschen, und sind die leer
getrunken, gibts eine feinere Sorte. Langt
nur immer zu. Schon fängt der Lachs an zu
zischen und zu sprühen und gleich kanns
losgehen."

!lnd gleich darauf gings auch los. Der
Lachs schnellte sich sörmlich auf den Tellern
herum, so knusprig war er und doch dabei so
zart und saftig, und nachdem er gegessen war,
folgte eine würdige Fortsetzung in Stuttgarter
Leberkäse, kalter Gans, einer butterweichen
Rindszunge und einem goldgelben Mond eer
Käse. Dazu eingemachte Früchte in Menge
und als Verdauungszusatz eine Flasche echten
Wacholderbranntweines. Es wurde nach
guter alter Sitte nicht viel gesprochen beim
Essen, denn man kann vernünftiger Weise nicht
zween Lerren dienen; als aber dann der Leib
sein ehrliches Teil hatte, trat auch der Geist
in die ihm gebührenden Rechte. Bei qual°
menden Pfeifen mit „Bergkraxler extra fein"
und schäumenden Gläsern floß der Strom der
Unterhaltung in lustigen und kühnen Windungen
dahin. Man vergaß auch nicht des Ernstes
der Zeit, erörterte die politische Lage in scharf-
sinnigen Deduktionen und ließ die braven Feld-
grauen draußen im kalten Echützengraben wohl ein halbes
dutzend Mal hochleben. Zede Waffengattung besonders und
alle zusammen noch ein Mal.

In dem Maße aber, in dem das Flaschenarsenal ab-
nahm, wucbs die Stimmung der alten Knaben in eine
herzhafte Fidelnät hinein. Der Buchhalter Fiedler war
n'cht umsonst zwei Semester lang Senior einer Pennalver-
bindung gewesen; sein Bestreben, das kleine Zechgelage auf
die höhere Warte studentischen Komments zu heben, glückte
nahezu vollkommen und brachte die alte Bur'chenherrlich-
keit zu eincm ganz ungeahnten Glanz. Man ließ einen
fulminanten Rundgesang steigen, und Fiedler schwang sich
sogar zu einer Rede an seine „lieben Bvndesbrüder und
x. t. Conphilister" auf. Es war wirkckch großartig.

Mittlerweile war es elf Ahr geworden und der letzte
Schluck Bier ausgetrunken. Das aber war das Signal
zum Aebertritt in die edleren G.nüsse. Das Wasser zischte
schon längst ungeduldig auf dem Lerde, und die verschie-
denen Ingr^dienzien harrten nicht minder sehnsüchtig der
kundigen Land, sie zu einer köstlichen Mischung zu ver-
einigen. Llnd so dauerte es nicht lange und ein würziger,
rauschiger Duft erfüllte den alten Ahrmacherla^en. Die
Bowle dampfte auf dem Tische, und funkelnd floß die rote
Flut in die schwitzenden Gläser. Die alten Lerzen wurden
warm und die grauen Köpfe fingen an zu glühen. Die
frohe Laune stieg auf den Gipfel der Ausgelassenheit, und
die Gedanken bekamen allmählich Flügel und flogen und
flatterten in regellosem Durcheinander im rötlichen Dampfe
des Silvesterpunsches. Scherzhafte Einfälle, mitunter ge-
wagter Art, erschütterten dre alten Väuche, daß sie aus
dem Wackeln gar nicht mehr herauskamen, und der Buch-

— „Alio hoffen wir, Lerr Bröselnrann, daß

das neue Iahr besser und-"

— „Sie, wenn Sie anfangen wollen, mies
zu machen, gehn Sie lieber gleich weiter."

halter Fiedler machte allen Ernstes den Versuch, auf dem
Kopfe zu stehen und den Torgauer Marsch auf einem
Kamme zu blasen.

Bei all dieser Allotria war die Scheideftunde des alten
Iahres in nächste Nähe gerückt, und das rnf die erregten
Gemüter wieder „zur Sache". Dieser wichtige Augenblick
mußte in geziemender Weise beaangen werden.

„Wißt ihr was," krähte der Kupferstecher, „die Stunde
der Geister, doppe't geisterhaft durch die geheimnisvolle
Wende des Iahres, soll auch ein echt geisterhaftes Will-
kommen haben. !lnd ich weiß, wie wir das machen. Wir
geben eine gute Land voll Salz auf einem Teller, gießen
Wemgeist darüber und zünden ihn an. Das gibt dann
ein ganz grünes, bleiches Licht, und wir sehen selbst aus
wie Gespenster."

„Ia. ich kenne das Experiment," versetzte lustig Fiedler.
„Eine famose Idee. Punschtrinkende Gespenster —hahaha!"

„s' ist doch nicht etwa gefrevelt?" wandte mahnend
Baumann ein.

„Keine Spur," beschw'chtigte ihn Schwerdtlein, „ein
ganz harmloser !llk, den wir als Kinder beretts trieben."

Baumann schaffte nun den Teller, das Salz und den
Weinge st herbei, Fiedler löschte das Gas aus und Lchwerdt-
lein zündete seine Geisterlampe an. Wirklich, es war eine
schauerliche Beleuchtung. Die ganze Stube war in einen
fahlen grünlich grauen Schein getaucht, der sich in zittern-
den Reflexen auch auf den Gesichtern der Anwesenden wider-
spiegelte und sie gegen das Dunkel des Lintergrundes als
geifterhaste Masken abhob. Doch man hatte nicht viel
Zeit zu gegenseitigen Betrachtungen, denn eben begannen
die Uhren die zwölfte Stunde zu schlagen.
 
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