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Meggendorfer-Blätter, München

8

Wie man zu einer
Tante kommen kann

Von C. A. Lennig
Tanle Laura war eine
äußerst exzentrische, zu wun-
derlichen Einfällen geneigke
Dame. Sie liebte rasche Ent-
schlüsse und führte ste ebenso
rasch aus, was natürlich nicht
seltcn zu recht merkwürdigen
Lleberraichungen Anlaß gab.

Dazu war sie von einer ver-
blüffenven Logik, unv jeder
Widerspruch machte sie reiz-
bar und halsstarrig.

Eigentlich war sie gar
nicht unsre Tante; wie ste es
aber plötzlich in einer stllrmi
schen Novembernacht wurdc,
das will ich hier erzählen.

Den Antang erlebte ich frei-
lich nicht mit, doch gehört er
der Vollständigkeit wegen
dazu.

Zn der schon erwähnten
Nacht,so gegen elf Uhr, hatte
eshefüg beidemLausmeister
geläutet, und als er das Tor
öffnete, sah er sich einer bis
über den Kopf vermummten
Dame gegenüber, die eine
Neisetasche trug und vor
Näffe triefte.

„Womik kann ich Ihnen
zu dieser späten Stunde
dienen, meine Dame?" fragte
der Lausmeister höflich.

„Mit gar nichts weiter,
als daß Sie mir die Äaustllre so weit öffnen, daß ich
hindurch kann," erwiderte die Dame kurz. „Ich will zu
meinem Reffen im dritten Stock. Ich bin seine Tante und

Kontrastwirkung — „Seit an dem Reubau gegenüber

nimmer gearbeitet wird, freut mich
das Privatierleben nur noch halb."

komme unangemeldet. Der
Zuq hat zwei Stunden Ver-
spätung gehabt und so bin
ich in die Nacht hineknge-
kommen. Außerdem bkn ich
bis auf die Laut naß gewor-
den und habe Eile, unter Dach
zu kommen."

Der Lausmeister fand
nichts dagegen einzuwenden.
Er machke die Türe etwas
weiter auf und ließ die späte
Besucherin ein.

„Werden Sie allein hin
auffinden, oder soll ich Ihnen
leuchten?" fragte er dann.

„Ansinn Mann," gab die
Dame zurück. „Drei Trep-
pen sind drei Treppen, nicht
mehr und nickt weniger.
Immer Stufe für Stufe. And
bis drei kann ich noch zählen.
Außerdem bin ich nicht das
erste Mal hier. Das ist's,
was ich meine. Lier ist et-
was für Ihre Bemühung.
Gu^e Nackt!"

Damit hat ste dem Laus-
meister eine halbe Mark in
die Land gedrückt und war
mit bedachtsamen, aber festen
Schritten die Treppe em-
porgestiegen, während der
Lausmeister sich wieder in
seine Linterwohnung zu-
rückzog.

Meine Frau und ich waren
gerade im Begriff, uns zur
Ruhe zu begeben, als wir
diese auffallenden Schritte vernahmen.

„Wer mag wohl noch zu so vorgerückter Stunde nach
Lause kommen?" äußerte sich meine Frau.

„Weiß nicht," gab ich gleichgiltig zurück.

„Der Kalkulator Aschenbrenner vom zweiten Stock ist's
nicht," fuhr meine Frau fort. „Denn der hat einen leichken,
fast schleichenven Gang. Der junge Techniker vom vierten
ist's aber erst recht nicht. Der nimmt gewiß immer die
halbe Treppe mit, und außerdem habe ich den heute schon
hinaufpoltern hören."

„So wird's halt jemand anders sein," warf ich gähnend
ein. „Was kümmert's uns?"

Plöylich aber horche ich auf. Der unbekannte Schritt
hält vor unserer Tür, eine Land tastet suchend daran her-
um, und plötzlich ertönt die Flurglocke schrill durch die
nächtlicke Stille.

„Mein Gott, es kommt zu uns," ruft erschreckt meine
Frau. „Machen wir doch lieber nicht aus!"

„Llch was, du Angsthase," beruhige ich meine Frau.
„Diebe melden sich nicht durch Sturmläuten an. Vielleicht
ist's der Depeschenbote, wenngleich ich nicht wüßte, was
der bei uns zu suchen hätte."

„So eikundige dich wenigstens zuvor durch das Schlüssel-
loch, wer da ist," riet meine Frau.

Das wollte ich gerne tun. Warum auch nicht? Es
klärte die Situation und ließ mir völlige Landlungsfreiheit.
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