136 Meggendorfer-Blätter, München
Pünktlich
„Warum läßt denn der Maurer den Lut, den er sast wieder er-
reicht hatte, weiterfliegen?"
— „Er ist ihm gerade bis zum Arbeitsschluß nachgelaufen."
Eignor ^enente Von Peker Robinson
Maddalena Banchi war von ihren früh verftorbenen
Eltern ein kleines Kapital hinterlassen worden. Der Vater
war Kasflerer eines Abzahlungsgeschäftes gewesen. Seine
solchem Amt entsprechende Gemütsart, die hier (nämlich
wenn richtig bezahlt wird) untertänig lächelnde Verbindlich-
keit, dort ruhige Entschlossenheit zu bezeigen vermag, hatte
sich auf die schon frühzeitig mit großer Selbstsicherheit be-
gabte Tochter vererbt. Die Mutter hatte sich vortrefflich
auf die Künste der Küche verstanden und es stch angelegen
sein lassen, ihrem Kinde diese schätzenswerte Fähigkeit in
Theorie und Praxis gründlich beizubringen.
Allein in der Welt, ohne andere Verwandte als eine
einzige, etwas kränkliche' und unbeholsene alte Tante, hatte
Maddalena überlegt, wie sie ihr Geld am besten in einer
Unternehmung anlegen könnke, die auch ein entsprechendes
Gebiet zur Ausnutzung ihrer Gaben darstellte. Sie brauchte
nicht lange zu überlegen: zweifellos war es das einzig
Richtige für ste, eine Fremdenpension aufzumachen. Deren
gab es freilich schon eine gehörige Anzahl in Florenz, aber
für eine neue dazu würden sich auch noch die nötigen Frem-
den finden, dafür sorgten die Natur und die Listorie des
Vaterlandes im allgemeinen und der Vaterstadt im beson-
deren. So mietete also Signorina Banchi am
Lungarno delle Grazie eine Etage, kauste aus dem
Warenhause Bocconi eine Ausstaktung für zehn
Zimmer, stellte zwei Dienstmädchen an und cr-
öffnete mit dem rein formellen Beistande der
Tante ihre Behausungs- und Ernährungsanstalt,
in der zunächst der Durchschnittspreis sechs Lire
für den Tag betrug, alles inbegriffen, tont eom-
xris, kull donrä, tutto oomxrsso. Im ersten Jahre
wurde zugesetzt, im zweilen ging die Rechnung
auf, im dritten war ein Aeberschuß da, der in
den folgenden mehr und mehr stieg. Im sechsten
Iahre des Betriebes erwies es stch als nötig,
die Nebenwohnung im gleichen Stock hinzuzu-
nehmen; im achten Iahre wurde auch das Stock-
werk darüber noch hinzu gemietet. Das Per.
sonal wurde entsprcchend verstärkt; es kam sogar
ein Lausdiener dazu. Signorina Banchi leitete
ihr Anternehmen mit der vom Vater ererbten
untertänig lächelnden Verbindlichkeit gegenüber
pünktlich zahlenden und ruhigen Entschloffenheit
gegenüber säumigen Gästen, mit Strenge gegen
ihre Angestellten, mit unermüdlicher Anspannung
der eigenen Kräfte und zähester Beharrlichkeit in
dem Bestreben, ein bei der Kauou oomruereiLls
gemietetes Stahlfach mehr und mehr zu füllen.
Die Tante war übrigens schon im dritten Jahre
wegen allmählich immer ausdringlicher gewordenen
und doch so ganz überflüsstgen Besserwissens ver-
abschiedet worden.
Im Frühjahr 1908 war das Geschäft ganz
besonders gut gegangen. Ende Mai aber, das
war nun einmal nicht anders, wurden die Zimmer
im oberen Stockwsrk doch verhängt und abge-
schloffen, und im Speisezimmer brauchte der Eß-
tisch nicht mehr zur vollen Länge ausgezogen zu
werden. Es kam wieder die tote Iahreszeit, in der
Maddalena Banchi auf ihren ursprünglichen Pen-
sionspreis von sechs Lire pro Tag zurückzugehn
pflegte. Zu diesem Preise aufgenommen zu wer.
den wünschte eines Tages ein jüngerer Lerr, der,
sich Signorina Banchi als Polidoro Scappini, Tcnente
vorstellte. Sie begrüßte den Gast ohne besonderes Ent-
gegenkommen, Landsleute waren ihr überhaupt nicht die
liebften Gäste, und die Standesbezeichnung „Tenente" schien
ihr auch nicht gerade eine Empfehlung. Sie hielt das Mili-
tär fllr eine überflüssige, ja schädliche Einrichtung, da es
seinen Daseinszweck ja nur von Möglichkeiten herleiten
konnte, die zweifellos eine starke Beeinträchtigung des
Fremdenverkehrs bedeuteten. Ein Leutnant, — du lieber
Gott, Signorina Banchi sah unbezahlt gebliebene Wochen-,
ja Monatsrechnungen voraus und war schon im Begriff,
zu erklären, sie hätte augenblicklich kein passendes Zimmer
frei. Da aber fielen ihr die beiden englischen Damen ein,
die noch das teuerste Vorderzimmer inne hatten und sich
neben „boarck ancl loäKillA" bedeutende Extraaufwendungen,
die Freuden jeder Pensionsinhaberin, gestatteten. Leider
hatten sie gerade an diesem Morgen erklärt, sie würden
nun auch bald abreisen; es fange an, langweilig zu werden.
Maddalena Banchi sah sich den Tenente genauer an.
Der Anzug, — nun, wer will es einem Leutnant verargen,
wenn er als Ziviltracht billige Konfektion wählt! Die
Krawatte freilich hätte in ihren Farben etwas zurückhal-
tender sein können. Allgemeine Laltung, — an der war
höchstens auszusetzen, daß man (Signorina Banchi hatte
Pünktlich
„Warum läßt denn der Maurer den Lut, den er sast wieder er-
reicht hatte, weiterfliegen?"
— „Er ist ihm gerade bis zum Arbeitsschluß nachgelaufen."
Eignor ^enente Von Peker Robinson
Maddalena Banchi war von ihren früh verftorbenen
Eltern ein kleines Kapital hinterlassen worden. Der Vater
war Kasflerer eines Abzahlungsgeschäftes gewesen. Seine
solchem Amt entsprechende Gemütsart, die hier (nämlich
wenn richtig bezahlt wird) untertänig lächelnde Verbindlich-
keit, dort ruhige Entschlossenheit zu bezeigen vermag, hatte
sich auf die schon frühzeitig mit großer Selbstsicherheit be-
gabte Tochter vererbt. Die Mutter hatte sich vortrefflich
auf die Künste der Küche verstanden und es stch angelegen
sein lassen, ihrem Kinde diese schätzenswerte Fähigkeit in
Theorie und Praxis gründlich beizubringen.
Allein in der Welt, ohne andere Verwandte als eine
einzige, etwas kränkliche' und unbeholsene alte Tante, hatte
Maddalena überlegt, wie sie ihr Geld am besten in einer
Unternehmung anlegen könnke, die auch ein entsprechendes
Gebiet zur Ausnutzung ihrer Gaben darstellte. Sie brauchte
nicht lange zu überlegen: zweifellos war es das einzig
Richtige für ste, eine Fremdenpension aufzumachen. Deren
gab es freilich schon eine gehörige Anzahl in Florenz, aber
für eine neue dazu würden sich auch noch die nötigen Frem-
den finden, dafür sorgten die Natur und die Listorie des
Vaterlandes im allgemeinen und der Vaterstadt im beson-
deren. So mietete also Signorina Banchi am
Lungarno delle Grazie eine Etage, kauste aus dem
Warenhause Bocconi eine Ausstaktung für zehn
Zimmer, stellte zwei Dienstmädchen an und cr-
öffnete mit dem rein formellen Beistande der
Tante ihre Behausungs- und Ernährungsanstalt,
in der zunächst der Durchschnittspreis sechs Lire
für den Tag betrug, alles inbegriffen, tont eom-
xris, kull donrä, tutto oomxrsso. Im ersten Jahre
wurde zugesetzt, im zweilen ging die Rechnung
auf, im dritten war ein Aeberschuß da, der in
den folgenden mehr und mehr stieg. Im sechsten
Iahre des Betriebes erwies es stch als nötig,
die Nebenwohnung im gleichen Stock hinzuzu-
nehmen; im achten Iahre wurde auch das Stock-
werk darüber noch hinzu gemietet. Das Per.
sonal wurde entsprcchend verstärkt; es kam sogar
ein Lausdiener dazu. Signorina Banchi leitete
ihr Anternehmen mit der vom Vater ererbten
untertänig lächelnden Verbindlichkeit gegenüber
pünktlich zahlenden und ruhigen Entschloffenheit
gegenüber säumigen Gästen, mit Strenge gegen
ihre Angestellten, mit unermüdlicher Anspannung
der eigenen Kräfte und zähester Beharrlichkeit in
dem Bestreben, ein bei der Kauou oomruereiLls
gemietetes Stahlfach mehr und mehr zu füllen.
Die Tante war übrigens schon im dritten Jahre
wegen allmählich immer ausdringlicher gewordenen
und doch so ganz überflüsstgen Besserwissens ver-
abschiedet worden.
Im Frühjahr 1908 war das Geschäft ganz
besonders gut gegangen. Ende Mai aber, das
war nun einmal nicht anders, wurden die Zimmer
im oberen Stockwsrk doch verhängt und abge-
schloffen, und im Speisezimmer brauchte der Eß-
tisch nicht mehr zur vollen Länge ausgezogen zu
werden. Es kam wieder die tote Iahreszeit, in der
Maddalena Banchi auf ihren ursprünglichen Pen-
sionspreis von sechs Lire pro Tag zurückzugehn
pflegte. Zu diesem Preise aufgenommen zu wer.
den wünschte eines Tages ein jüngerer Lerr, der,
sich Signorina Banchi als Polidoro Scappini, Tcnente
vorstellte. Sie begrüßte den Gast ohne besonderes Ent-
gegenkommen, Landsleute waren ihr überhaupt nicht die
liebften Gäste, und die Standesbezeichnung „Tenente" schien
ihr auch nicht gerade eine Empfehlung. Sie hielt das Mili-
tär fllr eine überflüssige, ja schädliche Einrichtung, da es
seinen Daseinszweck ja nur von Möglichkeiten herleiten
konnte, die zweifellos eine starke Beeinträchtigung des
Fremdenverkehrs bedeuteten. Ein Leutnant, — du lieber
Gott, Signorina Banchi sah unbezahlt gebliebene Wochen-,
ja Monatsrechnungen voraus und war schon im Begriff,
zu erklären, sie hätte augenblicklich kein passendes Zimmer
frei. Da aber fielen ihr die beiden englischen Damen ein,
die noch das teuerste Vorderzimmer inne hatten und sich
neben „boarck ancl loäKillA" bedeutende Extraaufwendungen,
die Freuden jeder Pensionsinhaberin, gestatteten. Leider
hatten sie gerade an diesem Morgen erklärt, sie würden
nun auch bald abreisen; es fange an, langweilig zu werden.
Maddalena Banchi sah sich den Tenente genauer an.
Der Anzug, — nun, wer will es einem Leutnant verargen,
wenn er als Ziviltracht billige Konfektion wählt! Die
Krawatte freilich hätte in ihren Farben etwas zurückhal-
tender sein können. Allgemeine Laltung, — an der war
höchstens auszusetzen, daß man (Signorina Banchi hatte