Zeitschrift sür Humor und Kunst 139
Signor Tenentc
Also her mit dem Magnet! Polidoro Scappini
bekam ein Zimmer angewiesen, ließ sein Gepäck —
für den Geschmack der Penstonrwirtin war es ctwas
zu wenig — vom Bahnhof holen, erschien an der
Abendtafel gegenüber den beiden Engländerinnen
und bezauberte ste pflichtschuldig, als ahnte er, wes-
halb er hier Aufnahme gefundcn. Zu Lause, auf
ihrer kühlen Insel, hätten sich die Damen natürlich
nicht so leicht bezaubern lassen, aber auf Reisen ist
das eben elwas anderes. Engländerinnen gehen gern
auf Neisen. Nach dem Effen, als Signor Scappini
mit ciner anmutigen Verbeugung und geradezu ver-
hcxcndem p'ächeln verschwunden war, erkundigten sich
die Damcn, wer denn der Äerr wäre; sie vermuteten
einen Tenor in ihm. Mit dem Leutnant waren ste
aber auch zufrieden; sie rieten auf einen Reiteroffizier.
Gerade heute hatten ste im Kino die halsbrecherischen
Aebunge» einer italienischen Reitertruppe gesehen.
O, was fllr kühne Kelden das warenl Sie kündigten
auch richtig eine Verlängerung ihres Aufenthaltes
an und verlangten aufs Zimmer einen Extra-Tee
mit viel Gebäck, das Signorina Banchi sehr teuer
berechnete.
Der Tenente erwies sich wirklich als eine für den
Pensionsbetrieb erfreuliche Erscheinung. Bereits zwei
Tage später begleitete er die englischen Damen am
Nachmittag in die Lascine, den Prater von Florenz,
und entwickelte bei dieser und andern, in den nächsten
Wochen folgenden Gelegenheiten als ein bezaubern-
der Gentiluomo derartig magnetische Eigenschaften,
daß die Engländerinnen richtig erst Ende Iuni ab- Die
reisten. Signorina Banchi schloß nun fast alle ihre
Zimmer ab, — die für sie unerfreulichste Iahreszeit
war gekommen. Polidoro Scappini blieb wohnen; er
schien sich überhaupt auf einen dauernden Aufenthalt
einzurichten. Maddalena Banchi war sich jetzt ziemlich im
llaren über diesen Gast. Daß er stch Tenente nannte, war ein
ihm nicht mehr mit vollem Recht zukommendes gesellschaft-
liches Schönheitspflästerchen, — der Leutnant lag, wie so
vieles Gute, bereits in der Vergangenheit. Seine Rech-
nungen bezahlte er schlecht, meistens in unregelmäßigen
Raten. Seine Einnahmequellen mußten nicht besonders
glatt fließen. Vielleicht brandschatzte er Verwandte. Spiel-
gewinne mochten auch bei der Bestreitung seines Anter-
halts mitwirken; er trug sie wahrscheinlich aus dem Cafö
Giappone davon, wo er Stammgast geworden war. Nach
einem neuen Beruf schien er sich nicht umzusehen. Nun,
das ging Signorina Banchi nichts an.
Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, spätestens im
Oktober, wenn sie das Laus wieder voll haben würde, den
Tenente sanft hinauszusetzen. Es wurde aber nichts daraus;
Polidoro Scappini sorgte dafür, und das lag in einer
Abstcht begründet, die er insgeheim als einen Wegweiser
in ein angenehmes Schlaraffenland aufgestellt halte. Er
war natürlich ohne diese Absicht in die Pension am Lun-
garno delle Grazie gekommen, — nur der Zufall hatte ihn
dorthin gcführt oder vielleicht sein glücklicher Stern. Denn
wahrhastig: großartig hatte er es wieder getroffen, nach-
dem ste ihn eben aus seinem Regiment in Genua wegcn
einer Spielaffaire hinausgeworfen hatten. Das war ja
einfach ein ideales Laus hier. Diese Pension, die von
Ooolr sull 8ons empfohlen wurde und im Baedeker stand
und glänzende Einnahmen brachte, war im alleinigen Be-
sttz eines Fräuleins, das zwar verdammt energisch zu sein
verräterischen Handschuhe
— „Lerr Adolar, Ihren Äandschuhen nach
scheinen Sie öfters Treue zu schwören!"
schien, aber immerhin erst 29 Iahre zählte, noch vortreff-
lich aussah und, zum Teufel, doch nicht so verrückt sein
konnte, durchaus alte Iungfer werden zu wollen. Lolla,
hier war etwas zu machen; Polidoro Scappini wollte in
dieses blühende Geschäft einheiraten. Er war klug; er hatte
erkannt, worauf es ankam. Mit Feuereifer machte er sich
in der neuen Saison nützlich, — fast wie ein Angestellter
der Pension. Er besorgte Eisenbahnangelegenheiten für
unbeholfene Gäste; anderen, die an den öffentlichen Gale-
rien nicht genug hatten, verschaffte er Eintritt zu privaten
Sammlungen; er frischte sein Französisch auf und eignete
stch etwas Deutsch und Englisch an, — er arbeitete wie ein
Lotelportier. Sehr ost wurde er von Gästen als zum
Lause gehörig angesehn. Manche sehten die engste Be-
ziehung zwischen ihm und der Dame des Lauses voraus;
Engländer nannten ihn dann Signorina Banchi gegenüber:
jour Ilusdanä; gewiffenhaftere Deutsche, die in ihren Sprach-
führer schauten, sagten: ü suo siAvor msrito.
Maddalena Banchi begann zu überlegen. Sie hatte
die Absicht, das Laus zu kaufen und ganz und gar für
ihren Betrieb einzurichten. Sie brauchte cine Lilfskraft.
Ein Ehemann aber kostete weniger als ein bezahlter Geschästs-
führer, der womöglich unterschlug oder nach einiger Zeit
in der Nachbarschaft sich als Konkurrenz etablierte. And
dies war der Lauptgrund, warum sie ja sagte, als im
Frühjahr 1909 Polidoro Scappini ihr seinen wohl vor-
bereiteten Antrag machte. — Den Triumph, den er der
Braut gegenüber verbarg, tobte der Tenente nachher im
Cafö Giappone vor seinen Freunden aus. 6bü kortuusto!
Signor Tenentc
Also her mit dem Magnet! Polidoro Scappini
bekam ein Zimmer angewiesen, ließ sein Gepäck —
für den Geschmack der Penstonrwirtin war es ctwas
zu wenig — vom Bahnhof holen, erschien an der
Abendtafel gegenüber den beiden Engländerinnen
und bezauberte ste pflichtschuldig, als ahnte er, wes-
halb er hier Aufnahme gefundcn. Zu Lause, auf
ihrer kühlen Insel, hätten sich die Damen natürlich
nicht so leicht bezaubern lassen, aber auf Reisen ist
das eben elwas anderes. Engländerinnen gehen gern
auf Neisen. Nach dem Effen, als Signor Scappini
mit ciner anmutigen Verbeugung und geradezu ver-
hcxcndem p'ächeln verschwunden war, erkundigten sich
die Damcn, wer denn der Äerr wäre; sie vermuteten
einen Tenor in ihm. Mit dem Leutnant waren ste
aber auch zufrieden; sie rieten auf einen Reiteroffizier.
Gerade heute hatten ste im Kino die halsbrecherischen
Aebunge» einer italienischen Reitertruppe gesehen.
O, was fllr kühne Kelden das warenl Sie kündigten
auch richtig eine Verlängerung ihres Aufenthaltes
an und verlangten aufs Zimmer einen Extra-Tee
mit viel Gebäck, das Signorina Banchi sehr teuer
berechnete.
Der Tenente erwies sich wirklich als eine für den
Pensionsbetrieb erfreuliche Erscheinung. Bereits zwei
Tage später begleitete er die englischen Damen am
Nachmittag in die Lascine, den Prater von Florenz,
und entwickelte bei dieser und andern, in den nächsten
Wochen folgenden Gelegenheiten als ein bezaubern-
der Gentiluomo derartig magnetische Eigenschaften,
daß die Engländerinnen richtig erst Ende Iuni ab- Die
reisten. Signorina Banchi schloß nun fast alle ihre
Zimmer ab, — die für sie unerfreulichste Iahreszeit
war gekommen. Polidoro Scappini blieb wohnen; er
schien sich überhaupt auf einen dauernden Aufenthalt
einzurichten. Maddalena Banchi war sich jetzt ziemlich im
llaren über diesen Gast. Daß er stch Tenente nannte, war ein
ihm nicht mehr mit vollem Recht zukommendes gesellschaft-
liches Schönheitspflästerchen, — der Leutnant lag, wie so
vieles Gute, bereits in der Vergangenheit. Seine Rech-
nungen bezahlte er schlecht, meistens in unregelmäßigen
Raten. Seine Einnahmequellen mußten nicht besonders
glatt fließen. Vielleicht brandschatzte er Verwandte. Spiel-
gewinne mochten auch bei der Bestreitung seines Anter-
halts mitwirken; er trug sie wahrscheinlich aus dem Cafö
Giappone davon, wo er Stammgast geworden war. Nach
einem neuen Beruf schien er sich nicht umzusehen. Nun,
das ging Signorina Banchi nichts an.
Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, spätestens im
Oktober, wenn sie das Laus wieder voll haben würde, den
Tenente sanft hinauszusetzen. Es wurde aber nichts daraus;
Polidoro Scappini sorgte dafür, und das lag in einer
Abstcht begründet, die er insgeheim als einen Wegweiser
in ein angenehmes Schlaraffenland aufgestellt halte. Er
war natürlich ohne diese Absicht in die Pension am Lun-
garno delle Grazie gekommen, — nur der Zufall hatte ihn
dorthin gcführt oder vielleicht sein glücklicher Stern. Denn
wahrhastig: großartig hatte er es wieder getroffen, nach-
dem ste ihn eben aus seinem Regiment in Genua wegcn
einer Spielaffaire hinausgeworfen hatten. Das war ja
einfach ein ideales Laus hier. Diese Pension, die von
Ooolr sull 8ons empfohlen wurde und im Baedeker stand
und glänzende Einnahmen brachte, war im alleinigen Be-
sttz eines Fräuleins, das zwar verdammt energisch zu sein
verräterischen Handschuhe
— „Lerr Adolar, Ihren Äandschuhen nach
scheinen Sie öfters Treue zu schwören!"
schien, aber immerhin erst 29 Iahre zählte, noch vortreff-
lich aussah und, zum Teufel, doch nicht so verrückt sein
konnte, durchaus alte Iungfer werden zu wollen. Lolla,
hier war etwas zu machen; Polidoro Scappini wollte in
dieses blühende Geschäft einheiraten. Er war klug; er hatte
erkannt, worauf es ankam. Mit Feuereifer machte er sich
in der neuen Saison nützlich, — fast wie ein Angestellter
der Pension. Er besorgte Eisenbahnangelegenheiten für
unbeholfene Gäste; anderen, die an den öffentlichen Gale-
rien nicht genug hatten, verschaffte er Eintritt zu privaten
Sammlungen; er frischte sein Französisch auf und eignete
stch etwas Deutsch und Englisch an, — er arbeitete wie ein
Lotelportier. Sehr ost wurde er von Gästen als zum
Lause gehörig angesehn. Manche sehten die engste Be-
ziehung zwischen ihm und der Dame des Lauses voraus;
Engländer nannten ihn dann Signorina Banchi gegenüber:
jour Ilusdanä; gewiffenhaftere Deutsche, die in ihren Sprach-
führer schauten, sagten: ü suo siAvor msrito.
Maddalena Banchi begann zu überlegen. Sie hatte
die Absicht, das Laus zu kaufen und ganz und gar für
ihren Betrieb einzurichten. Sie brauchte cine Lilfskraft.
Ein Ehemann aber kostete weniger als ein bezahlter Geschästs-
führer, der womöglich unterschlug oder nach einiger Zeit
in der Nachbarschaft sich als Konkurrenz etablierte. And
dies war der Lauptgrund, warum sie ja sagte, als im
Frühjahr 1909 Polidoro Scappini ihr seinen wohl vor-
bereiteten Antrag machte. — Den Triumph, den er der
Braut gegenüber verbarg, tobte der Tenente nachher im
Cafö Giappone vor seinen Freunden aus. 6bü kortuusto!